Ochsenziemer

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Ochsenziemer neueren Datums: 90 cm lang, 315 g schwer
Alter Farrenschwanz mit Halteschlaufe
Ochsenziemer aus Holz

Ein Ochsenziemer (regional Ochsenpesel, Ochsenfiesl, Farrenschwanz, Parreschwanz, Hagenschwanz, Stierennerv; im alemannischen Sprachraum [Schweiz, Elsass, Baden] auch Farreziemer, Munifisel, Rinderzäch)[1] ist ein Utensil aus einem gedörrten und verdrillten Stier-Penis;[2] im Endzustand hat es eine Länge von 80 bis 100 cm, ist sehr elastisch und verhältnismäßig schwer.

Das Wort geht auf mittelhochdeutsch zim(b)ere zurück, welches seinerseits aus französisch cimier ‚Schwanz, männliches Glied, Fleischstück unmittelbar beim Schwanz des Hirsches‘ entlehnt ist.[3]

Rechtliches (Deutschland)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das getrocknete Genital gilt in Deutschland als „tierisches Nebenprodukt“ und darf allenfalls mit einer Sondergenehmigung in Verkehr gebracht werden – die viele Schlachthöfe nicht haben: Deshalb hat z. B. das südbadische Freiburger Regierungspräsidium im Februar 2024 beschieden, dass die Verwendung der Fasnetsrute gemäß einer im EU-Recht vorgesehenen Ausnahmegenehmigung möglich sei, wenn sie im Rahmen der dort vorgesehenen „künstlerischen Aktivität“ rechtskonform und ohne unkontrollierbares Gesundheitsrisiko für Mensch und Tier verwendet werde.[4]

Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Futtermittel für Tiere[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Heute werden Ochsenziemer praktisch nur noch als Futtermittel für Haushunde hergestellt – dabei vorrangig als Kauspielzeug zur Beschäftigung: Wie die meisten harten Kauspielzeuge eignet sich der Ochsenziemer auch zur eigenständigen Hunde-Zahnreinigung. Der Geruch eines angekauten Ochsenziemers wird von den meisten Menschen jedoch als unangenehm empfunden, sodass sich für diesen Zweck immer mehr synthetisch hergestellte geruchlose Kaufuttermittel durchsetzen.

Schiffsbau[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf den traditionellen Holzbooten im Salzkammergut, den Plätten, wird das seitlich angebrachte Antriebsruder mittels Ochsenziemer elastisch mit dem Schiff verbunden.

Schlag- und Folterwerkzeug[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Früher wurden Ochsenziemer wie Peitschen zur Bestrafung bzw. Züchtigung von Menschen und Tieren oder zum Viehtrieb eingesetzt – bei Pferderennen wie z. B. dem Palio di Siena nach wie vor. Manche Gastwirte halten auch heute noch einen Ochsenziemer zur Selbstverteidigung griffbereit, um sich z. B. gegen betrunkene Randalierer wehren zu können.[5]

Die Wirkung des Schlags ist erheblich und kann starke Verletzungen hervorrufen: Ochsenziemer wurden unter anderem im KZ Dachau[6] und im KZ Mauthausen dazu verwendet, Häftlinge schwerst zu misshandeln bzw. zu foltern, z. B. vom SS-Mitglied und KZ-Aufseher Hans Steinbrenner oder dem „Teufel von Auschwitz“ Wilhelm Boger aus Friedrichshafen am Bodensee („Bogerschaukel“).[7][8]

Schwäbisch-Alemannische Fastnacht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Farrenschwanz bzw. Munifisel findet der Ochsenziemer Verwendung bei verschiedenen Narrenfiguren der schwäbisch-alemannischen Fastnacht; unter anderem wird er von den Figuren Bändele und Welschkornnarro aus Zell am Harmersbach[9] oder den Schuttig aus Elzach an einer getrockneten und aufgeblasenen Schweine-Harnblase (Saublotere) getragen und z. B. zum Hänseln von Zuschauenden der entsprechenden Umzüge genutzt.[4]

Namensübertragung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gelegentlich werden auch zum Viehtrieb verwendete Stöcke aus Holz Ochsenziemer genannt, insbesondere wenn sie durch entsprechende handwerkliche Bearbeitung auch im Aussehen ihren Vorbildern nahekommen.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Ochsenziemer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Ochsenziemer – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Siehe Schweizerisches Idiotikon unter den genannten Stichwörtern, dort weitere Synonyme (Digitalisat)
  2. Ochsenziemer. In: Heinrich August Pierer, Julius Löbe (Hrsg.): Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit. 4. Auflage. Band 12: Nishnei-Nowgorod–Pfeufer. Altenburg 1861, S. 201 (Digitalisat. zeno.org).
  3. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 25. Auflage, bearbeitet von Elmar Seebold. De Gruyter, Berlin / Boston 2011, S. 655
  4. a b Holger Knöferl: Fasnet ist jetzt Kunst. In: Badische Zeitung. 12. Februar 2024, abgerufen am 12. Februar 2024.
  5. Wirt schwang früher schon mal den Ochsenziemer. In: Wormser Zeitung, 4. November 2009, genios.de
  6. Ernst Goldmann. In: FürthWiki. Abgerufen am 12. Februar 2024. (Abschnitt Die Misshandlungen und die Morde in Dachau);
    Vernehmungsniederschrift Hans Steinbrenner 19.8.1948, Museum Dachau, Archiv 6454
  7. Anton Fuchsloch: „Der Teufel von Auschwitz“ hat seine Taten nie bereut. In: schwaebische.de. 13. März 2013, abgerufen am 12. Februar 2024.
  8. Hermann Langbein: Menschen in Auschwitz. 4. Auflage. Europaverlag, München / Wien 1999, ISBN 3-203-51243-2, Die Gefangenen, S. 266 (deutsch: Menschen in Auschwitz. Wien 1972.). „Die Schaukel ist die beliebteste Folter der Politischen Abteilung. Der Häftling muß sich mit angezogenen Knien auf den Boden setzen. Seine Hände werden ihm vorne gefesselt und über die Knie gezogen. Unter den Kniekehlen, aber über die Unterarme stecken sie eine Stange. An dieser Stange wird der Häftling aufgehängt, den Kopf nach unten. Dann schaukeln sie ihn, und bei jedem Schwung bekommt er einen Schlag aufs Gesäß. Das alles könnte man aushalten, aber das Schlimmste ist, daß sie die Geschlechtsteile treffen, und Boger, der berüchtigte Oberscharführer der Politischen Abteilung, zielt direkt darauf. Die Häftlinge, die in den Bunker eingeliefert werden, müssen sich nackt ausziehen und bekommen nur einen dünnen Drillichanzug, keine Unterwäsche. Ich hätte mir nie vorstellen können, daß Hoden so fürchterlich groß anschwellen können. Blau und grün! Die, die von der Schaukel kommen, können die nächsten Tage nicht sitzen und liegen.“
  9. Zeller Fasend. In: zell.de. Abgerufen am 12. Februar 2024.