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Masern: Vermeintlich harmlose Viruserkrankung
ArchivDeutsches Ärzteblatt23/2006Masern: Vermeintlich harmlose Viruserkrankung

MEDIZINREPORT

Masern: Vermeintlich harmlose Viruserkrankung

Zylka-Menhorn, Vera

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Maserviren attackieren eine Wirtszelle. Die Inkubationszeit beträgt acht bis zwölf Tage. Foto: NIBSC/SCIENCE PHOTO LIBRARY
Maserviren attackieren eine Wirtszelle. Die Inkubationszeit beträgt acht bis zwölf Tage. Foto: NIBSC/SCIENCE PHOTO LIBRARY
Der Entschluss des Deutschen Ärztetages, die Masernimpfung verpflichtend einzuführen, unterstützt das WHO-Ziel, die Viruserkrankung in Europa zu eradizieren.

Die weit verbreitete Vorstellung, Masern seien eine harmlose Kinderkrankheit, ist falsch. Nach einer aktuellen Statistik der Weltgesundheitsorganisation (WHO) starben 2004 weltweit 454 000 Menschen an den Folgen der Viruserkrankung, die meisten von ihnen Kinder aus der Dritten Welt. Obwohl Todesfälle in Deutschland selten sind, beobachtet man hierzulande aber eine deutliche Zunahme der Erkrankungsfälle (2004: 121, 2005: 778). In diesem Jahr sind bereits über 1 400 Meldungen eingegangen, was auf eine epidemieartige Häufung von Masernerkrankungen in Nordrhein-Westfalen zurückzuführen ist. Infektiologen gehen jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus.
Vor diesem Hintergrund votierte der Deutsche Ärztetag in Magdeburg erstmals für eine verpflichtende Impfung gegen Masern. Weiterhin forderten die Delegierten, dass nur solche Kinder in staatlich finanzierten oder geförderten Krippen, Kindergärten und Schulen aufgenommen werden dürften, die einen vollständigen Impfstatus gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission haben. Darüber hinaus sollen die Ärztekammern ermächtigt werden, berufsrechtliche Schritte gegen Kollegen einleiten zu können, die sich „wiederholt gegen empfohlene Schutzimpfungen aussprechen“. (DÄ, Heft 22/2006, Tätigkeitsbericht)
Bereits 1984 hatte sich die WHO zum Ziel gesetzt, neben Kinderlähmung und Diphtherie auch die Masern bis zum Jahr 2000 auszurotten. Dazu hätten jedoch mindestens 95 Prozent aller Kinder und Jugendlichen eines Landes gegen Masern geimpft sein müssen. Wegen divergierender Vakzinierungsraten musste die WHO ihr ehrgeiziges Ziel in Europa um zehn Jahre verschieben. Während Finnland, Schweden, die Niederlande und Großbritannien sehr hohen Masernimpfraten (und eine entsprechend niedrige Krankheitshäufigkeit) aufweisen, gehören Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, die Schweiz und die GUS zu den Ländern mit ungenügenden Impfraten.
Nach Einführung der Masernimpfung 1967 in der DDR und 1973 in den alten Bundesländern sind die Masernerkrankungen in Deutschland zwar zurückgegegangen, wegen der nur suboptimalen Impfraten konnten die Viren jedoch weiter zirkulieren. Zurzeit erhalten bundesweit 93,5 Prozent aller Kleinkinder die empfohlene Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR). Die Beteiligung an der notwendigen zweiten MMR-Impfung, die etwa vier Wochen nach der ersten erfolgen sollte, liegt jedoch erst bei 65,7 Prozent – wobei Kinder in den neuen Bundesländern deutlich besser geimpft sind als im Westen.
So ist es nicht verwunderlich, dass es regional immer wieder zu ungewöhnlichen Häufungen von Masernfällen kommt – wie derzeit in Nordrhein-Westfalen, wo von Jahresbeginn bis zum 31. Mai 1 350 Neuerkrankungen gemeldet worden sind. „Die tatsächliche Zahl wird jedoch höher liegen, da vielen Kollegen und Krankenhäusern nicht bekannt ist, dass die Masern zu den meldepflichtigen Erkrankungen gehören“, sagt der Leiter der Zentralstelle für Meldepflichtige Infektionskrankheiten in NRW (Münster), Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Schröter, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.
206 der Betroffenen mussten aufgrund der Schwere der Erkrankung stationär behandelt werden, davon drei Patienten wegen Enzephalitis und einer wegen Meningitis.. Auffallend sei auch, dass die Masern nicht mehr nur als Kinderkrankheit erachtet werden können. Während vor 100 Jahren die meisten Kinder zwischen ein und zwei Jahren an Masern erkrankten, sind heute gut ein Viertel der Masernkranken über 15 Jahre alt. Auch bei der aktuellen Epidemie in NRW sind hauptsächlich Heranwachsende zwischen zwölf und 19 Jahren erkrankt. „Dies verdeutlicht, dass die Impflücken nicht erst jetzt, sondern bereits vor zehn bis fünfzehn entstanden sind“, so Schröter.
Steckbrief des Paramyxovirus
Die Masernerkrankung wird durch ein ausschließlich humanpathogenes RNA-Virus hervorgerufen; es gehört zum Genus Morbillivirus in der Familie der Paramyxoviren. Die Viren werden durch das Einatmen infektiöser Exspirationströpfchen (Sprechen) beziehungsweise Tröpfchenkerne (Husten, Niesen) sowie durch Kontakt mit infektiösen Sekreten aus Nase oder Rachen übertragen. Das Masernvirus führt bereits bei kurzer Exposition zu einer Infektion (Kontagionsindex nahe 100 Prozent) und löst bei über 95 Prozent der ungeschützten Infizierten klinische Erscheinungen aus. Die Inkubationszeit beträgt acht bis zwölf Tage.
Masern sind eine systemische, sich selbst begrenzende Virusinfektion mit zweiphasigem Verlauf. Sie beginnen mit Fieber, Konjunktivitis, Schnupfen, Husten und einem Enanthem am Gaumen. Pathognomonisch sind die oft nachweisbaren Koplik-Flecken (kalkspritzerartige weiße Flecken an der Mundschleimhaut). Das charakteristische makulopapulöse Masernexanthem (bräunlich-rosafarbene konfluierende Hautflecken) entsteht am dritten bis siebten Tag nach Auftreten der initialen Symptome. Es beginnt im Gesicht und hinter den Ohren und bleibt vier bis sieben Tage bestehen. Beim Abklingen ist oft eine kleieartige Schuppung zu beobachten. Am fünften bis siebten Krankheitstag kommt es zum Temperaturabfall.
Infektiös sind die Erkrankten bereits, wenn die ersten erkältungsähnlichen Symptome auftreten und das Fieber ansteigt. Die Ansteckungsgefahr hält höchstens eine Woche an. Wenn der Ausschlag abgeblasst oder in Pigmentflecke übergegangen ist, besteht keine Infektionsgefahr mehr.
Da die Virusinfektion eine transitorische Immunschwäche von etwa sechs Wochen Dauer bedingt, können bakterielle Superinfektionen folgen – am häufigsten Otitis media, Bronchitis, Pneumonie und Diarrhö. Eine besonders gefürchtete Komplikation ist die akute postinfektiöse Enzephalitis, die sich in 0,1 Prozent der Fälle einige Tage nach Auftreten des Exanthems entwickelt und mit Kopfschmerzen, Fieber und Bewusstseinsstörungen bis zum Koma in Erscheinung tritt. Bei etwa zehn bis zwanzig Prozent der Betroffenen endet sie tödlich. Etwa ein Drittel der Überlebenden muss mit Residualschäden am ZNS rechnen.
Eine sehr seltene Spätkomplikation stellt die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) dar (sieben bis elf Fälle pro 100 000 Erkrankungen), die sich nach durchschnittlich sechs bis acht Jahren manifestiert. Beginnend mit psychischen und intellektuellen Veränderungen, entwickelt sich ein progredienter Verlauf mit neurologischen Störungen und Ausfällen bis zum Verlust zerebraler Funktionen. Die Prognose ist stets infaust.
Die von Kinder- und Jugendärzten organisierte „Erhebung Seltener Pädiatrischer Erkrankungen in Deutschland“ registrierte von Januar 2003 bis Februar 2006 in Deutschland 14 Fälle. Acht der Kinder waren im ersten Lebensjahr an Masern erkrankt – also zu einem Zeitpunkt, an dem sie noch nicht gegen Masern geimpft sein konnten.
Schutz durch Herdimmunität
Nach Angaben von Dr. med. Stephan Arenz vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit unterstützen diese Daten die Bedeutung einer hohen Durchimpfungsrate in der Bevölkerung: „Dadurch wird einerseits ein direkter Schutz vor einer Maserninfektion – und gegebenenfalls einer späteren SSPE – gewährleistet. Andererseits werden Säuglinge und Kleinkinder, die noch nicht geimpft werden konnten, durch Herdimmunität indirekt geschützt.“ Doch nach wie vor gibt es in der Bevölkerung – und unter den Ärzten – zahlreiche Impfgegner.
Manche Eltern, die der Masernimpfung gegenüber eine skeptische Haltung einnehmen, bevorzugen es daher, ihr Kind auf „Masern-Partys“ bewusst anstecken zu lassen, damit es eine natürliche Immunität erwirbt. „Angesichts der möglichen Komplikationen ist dies ein verantwortungsloses Spiel mit der Gesundheit des eigenen Kindes“, warnt Prof. Dr. med. Berthold Koletzko von der Stiftung Kindergesundheit. Die Weiterverbreitung von Krankheitserregern könne nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) sogar mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden.
Schröter erachtet die Masernimpfung sogar als „gesellschaftliche Verpflichtung“. Da die bisherige Freiwilligkeit der Entscheidung für oder gegen die Vakzination zu erheblichen Impflücken geführt habe, begrüßt er das positive Votum des Ärztetages für die Einführung einer Masern-Pflichtimpfung
Bei der Masern-Vakzine handelt es sich um einen Lebendvirusimpfstoff, hergestellt aus abgeschwächten Viren, die auf Hühnerfibroblasten vermehrt werden. Die Präparate werden als Monovakzine und in Kombination mit Mumps- sowie Rötelnvirus angeboten. Diese MMR-Vakzine gilt als Impfstoff der Wahl.
Die Erstimpfung sollte im Alter von vollendetem 11. bis zum 14. Monat, also nach dem Verschwinden der maternalen Antikörper, erfolgen. Die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe bewirken bei über 90 Prozent der einmal Geimpften eine Serokonversion. Bis zu fünf Prozent der Impflinge entwickeln (meist in der zweiten Woche nach der Impfung) so genannte Impfmasern mit mäßigem Fieber, flüchtigem Exanthem und respiratorischen Symptomen. Die durch die Impfung bewirkte Immunantwort ist nach vier bis sechs Wochen nachweisbar, wobei die mittleren Antikörpertiter niedriger liegen als nach natürlicher Infektion.
Die empfohlene Zweitimpfung (sie ist keine Auffrischimpfung) soll den Kindern, die – aus unterschiedlichen Gründen – nach der Erstimpfung keine Impfimmunität entwickelt haben, eine zweite Chance geben. Dies sichert erfahrungsgemäß ein Maximum an Immunität der zu impfenden Jahrgänge. Seit Juli 2001 wird die Zweitimpfung bereits im Alter von 15 bis 23 Monaten empfohlen. Die zweite MMR-Impfung kann vier Wochen nach der ersten MMR-Impfung erfolgen. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

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