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Offenbach: Wie ein Grabmal für den ermordeten Ur-Großvater - Region und Hessen - FAZ
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Offenbach : Wie ein Grabmal für den ermordeten Ur-Großvater

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„Stolperstein” gegen das Vergessen

„Stolperstein” gegen das Vergessen Bild: F.A.Z. - Foto Rainer Wohlfahrt

Der Künstler Gunter Demnig verlegt „Stolpersteine“ zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust. Die Gedenksteine sollen den Menschen, die im Konzentrationslager nur eine Nummer waren, „ihren Namen zurückgeben“.

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          „Vielleicht ist erst jetzt die Zeit reif, um in die Öffentlichkeit zu gehen“, sagt Laura Augenblick. Die 19 Jahre alte Studentin der Wirtschaftswissenschaft hat es übernommen, das Schicksal ihres Ur-Großvaters Samuel Augenblick aus dem Familienkreis hinaus zu tragen in eine Öffentlichkeit, die seit langem darum ringt, wie jener Menschen zu gedenken ist, die Opfer des nationalsozialistischen Terrors wurden.

          Vor dem Wohnhaus ihres in Auschwitz ermordeten Ur-Großvaters in der Dietesheimer Straße 40 erzählt die Studentin an diesem Samstag morgen vor etwa 70 Bürgern, die sich versammelt haben, um dabei zu sein, wenn der Kölner Künstler Gunter Demnig den mit einer Messingplatte versehenen „Stolperstein“ im Gedenken an Samuel Augenblick auf dem Gehweg verlegt, vom Lebensweg des Kaufmannes.

          Laura Augenblick, die „Patin“ dieses Gedenksteins ist, berichet, wie ihr Ur-Großvater, 1885 in Tarnopol geboren, 1907 nach Offenbach kam, hier zwei Jahre später aus der Israelitischen Gemeinde aus- und der Frei-Religiösen Gemeinde beitrat, wie er Leiter der „Konsum“-Filiale im Stadtteil Bürgel wurde, sich in der SPD engagierte, wie er die aus dem damals noch selbständigen Ort Bieber stammende Katholikin Margaretha Lantz heiratete und Vater von drei Kindern wurde. Von der Verhaftung ihres Ur-Großvaters im November 1938 erzählt Laura Augenblick, seiner Internierung im Konzentrationslager Dachau, aus der er nach fünf Wochen nur deshalb freikam, weil seine Frau die Nazi-Behörden darauf hingewiesen hatte, daß Samuel Augenblick im Ersten Weltkrieg für Österreich im Rang eines Unteroffiziers gekämpft hatte.

          Konzentrationslager

          Vergeblich versuchte der Kaufmann nach seiner Freilassung aus Dachau, mit seiner Familie zu emigrieren. Mit stockender Stimme und Tränen in den Augen berichtet die Urenkelin, wie Samuel Augenblick am 1. Mai 1943 in seinem Haus von der Gestapo verhaftet wurde. Vom Zwangsarbeiterlager in Frankfurt-Heddernheim aus wurde Samuel Augenblick im Oktober 1943 nach Auschwitz deportiert. Für Laura Augenblick ist das Geschehen so ungeheuerlich wie unbegreiflich. „Was ich mich frage, ist, was in einem Menschen vorgeht, der schon einmal im Konzentrationslager war und wieder dort hin muß und nicht weiß, was mit seiner Familie geschieht“, sagt sie. Im letzten Brief an seine Frau bat ihr Ur-Großvater um Zwiebeln und Briefmarken. Zwei Monate später erhielt die Familie die Sterbeurkunde, in der stand, daß Samuel Augenblick am 27. Januar 1944 „gestorben“ sei.

          Den „Stolperstein“, den Laura Augenblick, begleitet von ihren Eltern Armin und Iris Augenblick, setzen ließ, ist für die junge Frau wie der Grabstein, der ihrem ermordeten Ur-Großvater verweigert wurde: „Ich bin froh, daß wir ihn mit diesem Gedenkstein nach Hause zurückgeholt haben.“ Auch der SPD-Ortsverein Bieber gedachte am Samstag morgen Samuel Augenblicks. Fraktionsvorsitzender Stephan Färber, der eine rote Rose neben dem „Stolperstein“ legte, erinnerte daran, daß Augenblick Vorsitzender der Bieberer SPD war und seit 1922 Mitglied des Gemeinderats. Auf Initiative der „Geschichtswerkstatt Offenbach“ verlegte der Kölner Künstler noch vier weitere „Stolpersteine“: Vor dem Fan-Shop“ am „Kickers-Stadion“ auf dem Bieberer Berg fügte Demnig einen zehn mal zahn mal zehn Zentimeter großen „Stolperstein“ für Manfred Weinberg ins Pflaster ein.

          Das OFC-Präsidium hat als „Pate“ dieses Gedenksteins in das Messingblech die Angaben gravieren lassen: „Dr. Manfred Weinberg / Jg. 1902 / Vorstand OFC-Kickers bis Juli 1932 / Berufsverbot / vertrieben 1933“. Kickers-Ehrenpräsident Waldemar Klein würdigte Weinberg als einen „mutigen Mann, der dem Ungeist entgegengetreten“ sei. Zugleich verwies Klein darauf, daß die „Kickers“ zu den ersten Sportvereinen gehört haben, die nach dem Holocaust Beziehungen zu israelischen Vereinen aufnahmen.

          In memoriam

          Nach dem Niederbringen des Gedenksteins berichtete Hans-Peter Koller, Mitglied der „Geschichtswerkstatt“, wie Weinberg im Juni 1932 verhinderte, daß Adolf Hitler im „Kickers“-Stadion bei einer Kundgebung sprechen konnte, woraufhin der Diktator auf den benachbarten Sportplatz des SV Offenbach 02 ausweichen mußte. Weinberg wurde danach aus Vorstand und Verein der „Kickers“ gedrängt, von den neuen Machthabern später verfolgt und gedemütigt.

          An der Bieberer Straße 269 verlegte Demnig einen „Stolperstein“ für den sozialdemokratischen Journalisten und Politiker Georg Kaul, der sich in diesem Haus am 2. Mai 1933 das Leben nahm. Der ehemalige Oberbürgermeister Wolfgang Reuter (SPD) nannte als Motiv für Kauls Freitod seine Verzweiflung über die nationalsozialistische Machtübernahme und die Anbiederung von Gewerkschaftern an das Regime. Vor dem Wohnhaus in der Bismarckstraße 67 brachte Demnig zwei „Stolpersteine“ für das jüdische Ehepaar Paula Luise und Otto Schönhof in den Bürgersteig ein. Barbara Leissing, Sprecherin der Bürgerinitiative, berichtete über das Schicksal des Schuh- und Lederfabrikanten, der im Oktober 1942 in Theresienstadt umkam und dessen Frau in Auschwitz ermordet wurde.

          Die „Geschichtswerkstatt“ will in diesem und im nächsten Jahr noch weitere „Stolpersteine“ in Offenbach verlegen lassen. Insofern ist jeder Stein auch ein Symbol für die vielen Opfer, an die wir erinnern sollten.“ Offenbach war die 133ste Stadt, in der Demnig „Stolpersteine“ verlegte; insgesamt sind es bisher fast 7500 Steine in ganz Deutschland. In den vergangenen Tagen hat Demnig auf Initiative von Vereinen und Bürgern in Wiesbaden 19 Gedenksteine, in Dreieichenhain 17, in Frankfurt fünf und Dietzenbach elf „Stolpersteine“ auf Gehwegen eingelassen. Was als Kunstaktion begann, ist Demnig zu einer moralischen Pflicht geworden: „In den Konzentrationslagern waren die Menschen nur eine Nummer. Wir wollen ihnen mit unserer Aktion ihren Namen zurückgeben und sie nach Hause zurückbringen.“

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