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Führungshilfe der Bundeswehr für Vorgesetzte: Umgang mitSexualität
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Bundesministerium der Verteidigung
Generalinspekteur der Bundeswehr
Fü S l 4 - Az 35-04-09


Berlin, 20. Dezember 2000 

 

Ich erlasse die Führungshilfe für Vorgesetzte

Umgang mit Sexualität

Harald Kujat
General


Vorbemerkung

Vor dem Hintergrund der weiteren Öffnung der Streitkräfte für Frauen, der Änderung der bisherigen Haltung der Bundeswehr gegenüber Soldatinnen und Soldaten mit gleichgeschlechtlicher Orientierung und den Problemen der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz mit dem Thema "Umgang mit Sexualität" soll diese Führungshilfe zum Abbau von Verhaltensunsicherheiten beitragen.
Im folgenden Text werden die Begriffe "Soldat", "Vorgesetzter" und "Untergebener" funktionsbezogen verwendet und sind geschlechtsneutral zu verstehen. Grundsätzlich sind Männer und Frauen in gleicher Weise angesprochen, da in der Zukunft immer mehr Frauen Vorgesetzte sein werden.

Umgang mit Sexualität

(1) Einführung

Für die Streitkräfte gelten die folgenden Rechtsgrundsätze.

  1. Der Intim- und Sexualbereich des Menschen steht als Teil seiner Privatsphäre unter dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. l in Verbindung mit Art. l Abs. l Grundgesetz (GG)1. Jeder Mensch hat das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung Auch nach Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ist die Privatsphäre ausdrücklich geschützt2.
     
  2. Art. 3 Abs. l GG3 schützt vor Ungleichbehandlungen wegen sexueller Orientierungen. Durch Art. 14 EMRK4 ist das Diskriminierungsverbot im europäischen Recht verankert und für die Bundesrepublik Deutschland bindendes Recht.
     
  3. Inhalt und Grenzen der Sexualität ergeben sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung wird dadurch gewährleistet, dass Verhaltensweisen, die die sexuelle Selbstbestimmung verletzen, unter Strafe gestellt sind.
     
  4. An das Verhalten von Soldatinnen und Soldaten sind im Umgang mit Sexualität besondere Maßstabe anzulegen. Diese ergeben sich besonders aus der Pflicht zur Kameradschaft (§ 12 Soldatengesetz - SG)5, aus der allgemeinen Verhaltenspflicht als Soldat (§ 17 SG)6 und aus der Pflicht der Vorgesetzten zu beispielhaftem Verhalten (§ 10 SG)7.

Aus diesen Grundsätzen ergäben sich die folgenden Regeln, deren Kern vor allem Toleranz und gegenseitiger Respekt bilden.

(2) Allgemeine Verhaltensregeln

Sexualität ist grundsätzlich Privatangelegenheit, die eigene wie die fremde Sexualität haben jedoch Einfluss auf das Zusammenlehen der Menschen in den unterschiedlichen Lebensbereichen, auch im beruflichen bzw. dienstlichen Umfeld. Aus dem Pflichtenkatalog des Soldatengesetzes sind deshalb besondere Forderungen an den Soldaten abzuleiten:

(a) Zurückhaltung

Auf Grund unterschiedlicher Einstellungen zur Sexualität kann es zu Irritationen und negativen Reaktionen in einer Gruppe kommen. Deshalb ist auf die Gefühle und Überzeugungen anderer Rücksicht zu nehmen. Ein sensibler Umgang sowohl mit der eigenen wie mit der Sexualität anderer ist ein Gebot der Kameradschaft. Überzogene Thematisierung sexueller Erfahrungen und Partnerschaften, provozierendes Verhalten sowie das "Ausleben" von Sexualität jeglicher Orientierung sind daher innerhalb der militärischen Liegenschaft zu unterlassen. Auch außer Dienst und außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen hat sich der Soldat so zu verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr nicht ernstlich beeinträchtigt.

(b) Verbot sexueller Belästigung

Im Dienst wie außerhalb des Dienstes ist die sexuelle Integrität einer Person zu achten und zu wahren. Das Beschäftigtenschutzgesetz (VMB1 1995 S 272) gilt uneingeschränkt auch für den militärischen Bereich. Ebenso findet das Recht zur Beschwerde nach der WBO uneingeschränkt Anwendung. Ein schuldhafter Verstoß stellt zugleich ein Dienstvergehen nach § 23 Abs l SG dar8. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist danach jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt. Die militärische Gemeinschaftsunterkunft gilt im Sinne dieses Gesetzes in und außer Dienst ah Arbeitsplatz. Über sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen, die unter Strafe gestellt sind, hinaus umfasst sexuelle Belästigung auch

  • Aufforderungen zu sexuellen Handlungen und Verhaltensweisen, die nach strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind,
  • sexuell bestimmte körperliche Berührungen,
  • Bemerkungen sexuellen Inhalts,
  •  Zeigen und sichtbares Anbringen pornographischer Darstellungen, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden

(c) Wahrung des Zusammenhalts

Ein vorurteilsfreier Umgang mit nicht strafbewehrten sexuellen Orientierungen verhindert, dass es zu Gerüchten, übler Nachrede oder zu Mobbing-Verhalten kommt und dadurch die Rechte Einzelner verletzt und der Zusammenhalt in einer militärischen Gruppe gestört werden Der Soldat darf den kameradschaftlichen Zusammenhalt nicht durch Neid, Eifersucht oder demonstrative Ablehnung einer bestimmten sexuellen Orientierung stören.
Einem derartigen Verhalten und einer Ausgrenzung Einzelner ist im Kameradenkreis energisch entgegenzuwirken.

(d) Respektieren von Partnerschaften

Bestehende Partnerschaften sind stets zu achten. Der Respekt gegenüber Partnerschaften - auch über den unmittelbaren Dienstalltag hinaus - ist wesentliche Grundlage für das Vertrauen der Soldaten untereinander. Ihm kommt daher eine wesentliche Rolle für den Zusammenhalt zu.

(e) Achtung der Privatsphäre

Das enge Zusammenleben in der militärischen Gemeinschaft zwingt zu besonderer Rücksichtnahme. Die Privatsphäre ist auch und gerade im militärischen Bereich zu respektieren und zu gewährleisten Deshalb verbietet sich sowohl die Bloßstellung des Anderen wie auch eine Verletzung seiner Intimsphäre.

(f) Toleranz

Die Verpflichtung zur Kameradschaft gebietet Toleranz gegenüber anderen nicht strafbewehrten sexuellen Orientierungen, dementsprechend auch für gleichgeschlechtlich veranlagte Soldatinnen und Soldaten. Die eigenen Lebensentwürfe dürfen nicht zum Maßstab für andere gemacht werden. Unabhängig davon, welche moralische Einstellung der Einzelne hat, muss von ihm die Toleranz erwartet werden, Kameraden ein anderes als das eigene Sexualverhalten zuzugestehen, solange dadurch Ausbildung und Einsatz nicht gefährdet werden.

(3) Pflichten und Aufgaben von Vorgesetzten

Bei allem Bemühen, den dienstlichen Bereich von Problemen frei zu halten, die sich aus persönlichen Beziehungen oder sexuell orientiertem Verhalten ergeben, darf der Vorgesetzte sexuelle Beziehungen in seinem unterstellten Bereich nicht grundsätzlich negativ bewerten. Sexualität ist ein wesentlicher Teil menschlicher Gesamtpersönlichkeit. Sofern sich daraus keine Störung des Dienstbetriebes ergibt, unterliegt Sexualität daher nicht der Bewertung durch den Vorgesetzten. Im Umgang mit Sexualität trägt der Vorgesetzte jedoch eine besondere Verantwortung.

(a) Beispielhaftes Verhalten

Auch Vorgesetzte sind nicht immun gegenüber sexuellen Reizen. Damit steht der Vorgesetzte im natürlichen Spannungsfeld zwischen dienstlichen Erfordernissen einerseits und seinen Bedürfnissen andererseits wie jeder seiner Soldaten. Es gilt nicht nur, dieses Spannungsverhältnis im Sinne seines Auftrages und seiner Rolle als Vorgesetzter zu bewältigen, sondern auch immer wieder sein Verhalten und seine Entscheidungen dahingehend zu prüfen, ob sie durch Zu- oder Abneigung gegenüber anderen Soldaten (mit-) bestimmt sind. Sensibilität gegenüber der eigenen Sexualität und Toleranz gegenüber der Sexualität anderer, soweit sich diese nicht als Störfaktor im dienstlichen Bereich darstellt, sind daher wesentliche Voraussetzungen dafür, der Aufgabe als Vorgesetzter gerecht zu werden und glaubwürdig ein den Bedingungen des militärischen Dienstes angemessenes Verhalten von anderen zu fordern.

Dass der Vorgesetzte auf keinen Fall seine dienstliche Stellung gegenüber Untergebenen missbrauchen darf, ist selbstverständlich. Er muss jedoch damit rechnen, dass Untergebene versuchen könnten, sich durch gezielte Annäherung persönliche Vorteile zu verschaffen oder von Außenstehenden eine Beziehung so eingeschätzt wird. Persönliche Beziehungen über Hierarchieebenen hinweg sind deshalb in der Regel immer Auslöser vielfältiger Probleme. Sofern sich eine solche Beziehung abzeichnet, muss der Vorgesetzte von sich aus eine dienstliche Trennung herbeiführen, um eine Beeinträchtigung seiner Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit zu vermeiden. Entsprechender Handlungsbedarf ist ebenso gegeben, wenn der Vorgesetzte in seinem unterstellten Bereich eine solche hierarchieübergreifende Beziehung feststellt.
Soweit in der Folge oder im Zusammenhang mit der Anbahnung einer sexuellen Beziehung Unregelmäßigkeiten/Störungen im Dienstbetrieb - etwa durch ungerechtfertigte Bevorzugung/Benachteiligung - auftreten, sind diese unverzüglich zu unterbinden

(b) Vorbeugung

Eine wichtige Aufgabe des Vorgesetzten ist es, den Einfluss sexuell bestimmten Verhaltens auf den Zusammenhalt und das innere Gefüge zu erläutern und die Notwendigkeit der Beachtung allgemeiner Verhaltensregeln für das Zusammenleben in der militärischen Gemeinschaft zu verdeutlichen.

Der Vorgesetzte muss sensibel für sexuell motivierte Spannungen und Störungen des Zusammenhalts im unterstellten Bereich sein und frühzeitig, z.B. durch Herbeiführen eines Gesprächs mit den Beteiligten, den Abbau derartiger Spannungen einleiten. Dabei darf er nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass partnerschaftliche Beziehungen bzw. die betroffenen Partner die Auslöser dieser Spannungen sind. Vielmehr ist der Einzelfall genau zu prüfen. Die Betroffenen und ihre Beziehung sind ggf. vor Neid, Missgunst und übler Nachrede zu schützen.

Darüber hinaus gilt es insbesondere, Toleranz gegenüber einer anderen geschlechtlichen Orientierung einzufordern. Der Vorgesetzte muss dabei beachten, dass es z.B. gegenüber der Homosexualität in der Gesellschaft zum Teil noch tiefsitzende Vorurteile gibt, die bis zu einer fundamentalen Ablehnung reichen. Es gilt daher ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sich die Qualität der militärischen Aufgabenerfüllung nicht an der sexuellen Orientierung eines Soldaten misst und Rechte und Pflichten nach dem Soldatengesetz sowie die Grundsätze der Inneren Führung für heterosexuelle und homosexuelle Soldaten in gleicher Weise gelten.

(c) Durchsetzen

Dort, wo die Erziehung zur Toleranz im Einzelteil wegen besonders tiefgehender Ablehnung an ihre Grenzen stößt, ist der Vorgesetzte aufgefordert, die Situation im Sinne der Einsatzbereitschaft, z.B. durch Veränderungen der Personalzusammensetzung, zu lösen. Dies soll möglichst einvernehmlich und ohne Schuldzuweisungen erfolgen. Die Beteiligungsrechte sind zu beachten. Verschwiegenheit über Ursachen und Hintergründe sind selbstverständlich

Ebenso, wie der Vorgesetzte jeder Diskriminierung energisch entgegentreten muss, hat er die Verhaltensregeln durchzusetzen und dafür zu sorgen, dass eine Kultur der Zurückhaltung im Hinblick auf sexuell orientiertes Verhalten im dienstlichen Bereich zur Normalität wird. Jedes Verhalten, das den Zusammenhalt stört, die Regeln der Kameradschaft verletzt und den Einzelnen ins Abseits stellt, ist bereits im Ansatz zu unterbinden

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf sexuelle Belästigungen oder Übergriffe. Durch Bekanntgabe der Verhaltensregeln für das Zusammenleben und -arbeiten im dienstlichen Bereich kann der Vorgesetzte hier zusätzlich Vorbeugung leisten.
Um die Verhaltenssicherheit der Vorgesetzten im Umgang mit Dienstvergehen im Zusammenhang mit sexuell bestimmtem Verhalten und sexuellen Beziehungen unter Soldaten zu erhöhen, wird in den Anlagenteil zur Wehrdisziplinarordnung (ZDv 14/3) eine Darstellung der disziplinarrechtlichen, dienstrechtlichen und strafrechtlichen Relevanz beispielhaft« Fallgruppen aufgenommen.


  1. Art. l Abs. l GG: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
    Art 2 Abs. l GG: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
     
  2. Art. 8 EMRK: (l) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und Ihrer Korrespondenz.
    (2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechtes nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, ... zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz ... der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
     
  3. Art. 3 Abs. l GG: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
     
  4. Art. 14 EMRK: Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.
     
  5. § 12 SG: Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten ... Das schließt gegenseitige Anerkennung, Rücksicht und Achtung fremder Anschauungen ein.
     
  6. § 17 SG: (1) Der Soldat hat Disziplin zu wahren und die dienstliche Stellung des Vorgesetzten in seiner Person auch außerhalb des Dienstes zu achten.
    (2) Sein Verhalten muss dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Dienst als Soldat erfordert. ...
    (3) ...
    (4) Der Soldat hat alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um seine Gesundheit zu erhalten oder wieder herzustellen. Er darf seine Gesundheit nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig beeinträchtigen.
     
  7. § 10 SG: (1) Der Vorgesetzte soll in seiner Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben.
    (2) Er hat die Pflicht zur Dienstaufsicht und ist für die Disziplin seiner Untergebenen verantwortlich.
    (3) Er hat für seine Untergebenen zu sorgen.
    (4) Er darf Befehle nur zu dienstlichen Zwecken und nur unter Beachtung der Regel des Völkerrechts, der Gesetze und der Dienstvorschriften erteilen.
    (5) Er trägt für seine Befehle die Verantwortung. Befehle hat er in der den Umständen angemessenen Weise durchzusetzen.
    (6) Offizier und Unteroffiziere haben innerhalb und außerhalb des Dienstes bei ihren Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten.
     
  8. Der Soldat begeht ein Dienstvergehen, wenn er schuldhaft seine Pflichten verletzt.

 


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