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Kunstaktion: Baselitz bekleckert die "Welt" - DER SPIEGEL
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Baselitz malt die "Welt": Friedensadler für die Konservativen

Foto: Tobias Kleinschmidt/ dpa

Kunstaktion Baselitz bekleckert die "Welt"

Deutsche Kunst zum Jahrestag der deutschen Einheit: Die stets um alles Konservative bemühte "Welt" hat eine komplette Ausgabe von Georg Baselitz gestalten lassen. Den hatte die Springer-Presse einst auf dem Kieker - und so ist die Kunstaktion auch eine Aussöhnung mit der eigenen Geschichte.

Georg Baselitz

Hamburg - Ein weißer Adler vor hellblauem Hintergrund, um 180 Grad gedreht, dazu schwarze Farbe, die in langen Fäden über das Bild gelaufen ist: Auf der Titelseite der "Welt" prangt nicht, wie sonst üblich, ein aktuelles Foto. Es ist auch keine ganzseitige Werbeanzeige, was auch schon vorgekommen ist. Nein, vielmehr hat sich die Chefredaktion für die Ausgabe zum Jahrestag der deutschen Einheit den Künstler eingeladen.

Überall dort, wo sonst ein Foto stehen würde, findet sich am Freitag ein Werk des postmodernen Expressionisten Baselitz. Es sind mehr als 40, der kopfstehende Friedensadler ist gleich vier Mal darunter. "Ich habe gedacht, die spinnen", sagt der 72-jährige Baselitz über das Projekt, und eigentlich denkt er das immer noch. "Die Leserbriefe, die die 'Welt' bekommt, möchte ich nicht beantworten."

Axel Cäsar Springer

Es ist noch gar nicht so lange her, da dachte man bei der sich stets nach rechts lehnenden "Welt" ganz ähnlich über den heute so verehrten Baselitz. Vor 45 Jahren beteiligte sich das konservative "Kampfblatt", wie es der Verleger selbst nannte, an einer Kampagne gegen den Künstler. Baselitz, damals Mitte 20 und vor seinem großen Durchbruch, hatte es unter anderem gewagt, einen Mann mit überdimensionalen Penis zu malen - ein Skandal.

"Entmenscht und verzerrt"

Zusammen mit zwei Galeriebesitzern landete er in Berlin vor Gericht . Die "Welt" monierte "zersetzte menschliche Leiber (...) in sexueller Ekstase befindlich", und die ebenfalls zu Springer gehörende "Bild"-Zeitung gruselte sich: "Männliche Akte, entmenscht und verzerrt (...) und noch mehr." Für den CDU-Abgeordneten Adolf Süsterhenn, der für saubere Kinoleinwände stritt, ein weiterer Beleg für die "Diktatur der Unanständigkeit". Wegen der wollte er alle Kulturschaffenden per Grundgesetz zu "sittlicher Ordnung" verdonnern, 200 Fraktionskollegen und mehr als 100.000 Bürger waren auf seiner Seite.

den Verlag

Doch die Kunst blieb frei und Baselitz wurde schnell berühmt. Für die "Welt" lief es lange Zeit weniger erfolgreich: Jahr für Jahr kostete Springers Idee von einer "großen nationalen Zeitung" einen zweistelligen Millionenbetrag. Der frühere Springer-Geschäftsführer Peter Tamm nannte die "Welt" folgerichtig sein Sorgenkind. Trotzdem wurde die Stimmungsmache gegen die aufbegehrenden Studenten und alles links der bürgerlichen Rechten weiter gepflegt.

gegen die 68er-Bewegung

Die Zeiten ändern sich. Wenn der manische Jonathan Meese heute die "Diktatur der Kunst" ausruft, trinken die Konservativen Sekt dazu und rufen nicht gleich die Polizei. Der gesellschaftliche Wandel hat auch vor dem Hause Springer nicht Halt gemacht: Vergangenes Jahr entschuldigte sich Vorstandschef Mathias Döpfner für journalistische Fehler, die "Bild", "BZ", "Berliner Morgenpost" und "Welt" im publizistischen Feldzug gemacht hatten.

Keine gemeinsame Sache mit Springer

Mit einem Springer-Tribunal wollten die Studenten damals die Macht des Verlags brechen. Döpfner lud die Protagonisten von damals zu einer Neuauflage des Tribunals. Weil aber viele der Eingeladenen es vorzogen, keine gemeinsame Sache mit Springer zu machen, fiel die öffentliche Reinwaschung aus. Das mag Döpfner persönlich ärgern, ist im Prinzip aber egal: Sogar Über-Feministin Alice Schwarzer wirbt und schreibt mittlerweile für die "Bild"-Zeitung mit ihren freiheitsliebenden Mädchen, und ein Kulturredakteur kann von der links-alternativen "Taz" zur "Welt am Sonntag" und wieder zurück wechseln.

Und nicht nur das: Seit drei Jahren macht die "Welt"-Gruppe nach eigenen Angaben endlich Gewinne. Als einer der ersten deutschen Verlage führte Springer einen zentralen Newsroom ein, aus dem "Welt", "Welt am Sonntag", "Welt Kompakt", "Berliner Morgenpost" und die zugehörigen Online-Auftritte gefüttert werden. Wie es um die "Welt" im einzelnen bestellt ist, verrät der Verlag hingegen nicht: Die Auflage wird nur zusammen mit der jugendlichen Lightversion "Welt Kompakt" ausgewiesen.

Fotostrecke

Sammlerstücke: Künstler machen Zeitung

Foto: Zeitverlag

Die "Welt Kompakt" war es dann auch, mit der Chefredakteur Jan-Eric Peters vor drei Monaten ein erstes Experiment wagte: Er ließ eine Ausgabe kostenlos von Bloggern befüllen. Nun holte man sich mit Baselitz, übrigens auch kostenlos, Kunst und ein wenig Irritation ins Mutterblatt. Der poltert im Interview pflichtschuldig gegen Kanzlerin Angela Merkel und ihren Vize Guido Westerwelle - aber freilich nur wegen nicht gehaltener Wahlversprechen. Er hat für CDU und FDP gestimmt, der Steuererleichterungen wegen.

Schwarze Farbkleckse

Da haben zwei zueinander gefunden. "Welt"-Chef Peters schwärmt davon, dass der Newsroom zum Atelier geworden sei, vom aufeinanderprallen von Handwerk und Kunst. Damit befindet sich die "Welt" in guter Gesellschaft: Es hat gute Tradition, dass sich Redaktionen zur Abwechslung vom ewig grauen Nachrichtengeschäft Kreative ins Haus holen (siehe Fotostrecke).

Dass zum Einheitsjubiläum die Wahl auf Baselitz fiel, passt ebenso: Der als Hans-Georg Kern geborene Baselitz wuchs in der Oberlausitz auf und floh vor dem Mauerbau in den Westen. Die "Welt" bezeichnet ihn dann auch als "deutschesten aller Maler", ein Etikett, mit dem dieser gut leben kann. Für ihn ist Kunst aus Deutschland brutal, expressionistisch, wie seine Bilder.

Von sich selbst hat Baselitz einmal gesagt, dass er gar nicht der Verrückte und Wilde sei, sondern diszipliniert und sehr kalkuliert arbeite, mit Methode. Penisse hat er der "Welt" dann auch nicht aufgedrückt, auch keine plakative, die Artikel kommentierenden Zeichnungen. "Wer Illustrationen möchte, muss zum Illustrator gehen. Ich bin Künstler", sagt Baselitz.

Und so hat er der "Welt" mit seinen großflächigen Werken und schwarzen Farbklecksen zu dem modernen Anstrich verholfen, den das mitunter betuliche Blatt so gerne hätte. Zwei Ausnahmen gibt es dann doch: Auf der Titelseite neben dem "Welt"-Logo sind zwei gezeichnete Köpfe zu sehen, in Baselitz-Manier natürlich auf dem Kopf stehend. Es sollen der Künstler und seine Frau sein, man könnte sie aber auch für Merkel und Westerwelle halten. Das wäre dann schon so etwas wie eine Würdigung.