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Frankreich: Neue Erkenntnisse im Fall Mohamed Merah - DER SPIEGEL
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Attentäter von Toulouse Zweifel an Einzelgänger-Theorie

Im März tötete Mohamed Merah insgesamt sieben Menschen, ehe er von Elitepolizisten erschossen wurde. Nun wecken neue Geheimdienstprotokolle Zweifel an der Theorie der französischen Behörden. War Merah doch kein Einzelgänger ohne Kontakt in radikale Milieus?
Großeinsatz der Polizei in Toulouse (März 2012): Fahndung nach Attentäter Merah

Großeinsatz der Polizei in Toulouse (März 2012): Fahndung nach Attentäter Merah

Foto: REMY GABALDA/ AFP

Paris - "Ein Einzelgänger, der sich selbst bei der Koranlektüre im Gefängnis radikalisiert hat." So schätzte Bernhard Squarcini, damaliger Chef des französischen Inlandsgeheimdienstes, den Attentäter Mohamed Merah ein, der im Frühjahr dieses Jahres sieben Menschen getötet hat. Kontakte zu radikalen Islamisten schlossen die französischen Behörden damals aus. Doch nun sind neue Dokumente des französischen Inlandsgeheimdienstes aufgetaucht, die diese Einzelgänger-Theorie ins Schwanken bringen.

Zu den Unterlagen, die der französischen Tageszeitung "Le Monde"  vorliegen, gehört die Anrufliste der Mutter Mohamed Merahs. Der Attentäter soll das Telefon aus Angst vor polizeilicher Überwachung benutzt haben. Das Protokoll belegt, dass Merah in der Zeit von September 2010 bis Februar 2011 mit einer ganzen Reihe von Gesprächspartnern in insgesamt 20 Ländern in Kontakt stand.

Dem Dokument zufolge hat er in diesem halben Jahr 94 verschiedene ausländische Telefonnummern gewählt. Unter anderem kontaktierte er Personen in Marokko, Spanien, der Elfenbeinküste, Kasachstan, Taiwan, Laos, Saudi-Arabien und Israel. Auch in das kleine Königreich Bhutan in Südasien soll der Franzose algerischer Abstammung telefoniert haben. Die meisten Anrufe gingen jedoch nach Ägypten, wo sich zu dieser Zeit Merahs Bruder aufhielt. Er sitzt derzeit wegen mutmaßlicher Beihilfe zu den Attentaten in Frankreich in Untersuchungshaft. Was hatte der junge Vorstadtbewohner aus Toulouse mit seinen internationalen Gesprächspartnern auszutauschen? Die neuen Erkenntnisse werfen die Frage auf, ob den Behörden nicht schon lange vor den Attentaten bekannt war, dass Merah ein radikales Netzwerk über die Landesgrenzen hinweg pflegte.

Mit wem Merah telefoniert und per SMS kommuniziert hat, ist noch unklar. Der französische Innenminister Manuel Valls hat diese Teile der Telefonprotokolle noch nicht freigegeben, berichtete "Le Monde".

Überwachung des Bruders und der Schwester

Aus den Unterlagen, die bereits Anfang August der Tageszeitung vorgelegt wurden, geht ebenfalls hervor, dass der Geheimdienst nicht nur Merahs Bruder, sondern auch dessen Schwester überwacht hatte. Merah selbst war der Polizei seit 2009 bekannt, wurde aber erst nach seiner Afghanistan-Reise im März 2011 überwacht. In den Geheimdienstberichten schreibt ein Ermittler, Merah verhalte sich "vorsichtig und verdächtig".

In dieser Zeit begannen die Agenten auch, die Telefongewohnheiten der Familie Merah zu beobachten. Der 23-Jährige zeige "ein besorgniserregendes Verhalten", heißt in dem Bericht. Merah und seine Mutter hatten häufig die Telefonnummern gewechselt, weshalb die Beamten davon ausgingen, dass die "Familie Merah Spuren verwischen" wolle.

Kontakte zu Salafisten in Toulouse

In einer Notiz vom April 2011 berichteten die Polizisten nach einer längeren Beobachtungsphase von einer "Annäherung (Merahs) mit der salafistischen Bewegung von Toulouse". Die Namen der Mitglieder seien der Polizei bekannt, zitierte "Le Monde" das Papier, in dem die genauen Personenangaben geschwärzt wurden.

Einige Familien der von Merah getöteten Kinder und Soldaten fordern die Aushändigung der Geheimdienstdokumente an die französische Justiz. Das Kabinett von Justizminister Jean-Yves le Drian dürfte diesem Vorschlag zustimmen, wie das französische Nachrichtenblatt "Direct Matin" berichtete.

Mohamed Merah hatte am 11. März einen Fallschirmjäger erschossen, wenige Tage später zwei weitere Soldaten. Wiederum nur kurz darauf tötete er vor einer jüdischen Schule in Toulouse drei Kinder und einen Lehrer.

Der 23-Jährige hatte sich als Mitglied des islamistischen Terrornetzwerks al-Qaida bezeichnet. Nachdem ihn die Behörden gestellt hatten, verschanzte er sich in seiner Wohnung in Toulouse. Als er flüchten wollte, wurde er von Polizisten nach 32-stündiger Belagerung erschossen.

fhu

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