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Kritik an Bundeswehr-Ausbildung: Billig-Training vor dem tödlichen Einsatz - DER SPIEGEL
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Kritik an Bundeswehr-Ausbildung Billig-Training vor dem tödlichen Einsatz

Die Ausrüstung ist schlecht, die Vorbereitung mangelhaft: In Afghanistan starben drei deutsche Soldaten im Kampf gegen die Taliban. Der scheidende Wehrbeauftragte Robbe bemängelt ihre Ausbildung, der Bundeswehrverband fordert mehr Mittel für die Truppen.
Von Florian Gathmann, Veit Medick und Nico Wingert
Bundeswehrsoldat vor einem Fahrzeug vom Typ

Bundeswehrsoldat vor einem Fahrzeug vom Typ "Dingo": Zu wenige stehen zur Verfügung

Foto: DDP

Reinhold Robbe

Berlin - Unangemeldet anklopfen, einfach mal reinhorchen. So macht das ein Wehrbeauftragter. hat in den vergangenen fünf Jahren immer wieder spontan Kasernen in Deutschland aufgesucht, um sich anzuhören, was die Soldatinnen und Soldaten zu berichten haben. Über ihre Erlebnisse im Dienst, ihre Pläne - und ihre Sorgen.

Afghanistan

So machte das der Noch-Amtsinhaber auch am 18. Februar dieses Jahres: Der Ostfriese Robbe kommt ins niedersächsische Seedorf zu den dort stationierten Fallschirmjägern. Mehrere Stunden spricht der SPD-Politiker mit jenen Soldaten, die ein paar Tage später nach verlegt werden. Sie haben nichts Gutes zu berichten, von mangelnder Vorbereitung ist die Rede. Weil im Training die gepanzerten Fahrzeuge fehlten, die sie am Hindukusch bedienen sollten. Robbe ist empört. Er beklagt sich schriftlich beim Verteidigungsministerium. Einmal mehr.

Sechs Wochen später ist einer seiner Seedorfer Gesprächspartner tot: Die Taliban locken ihn und zwei andere Soldaten bei Kunduz in einen Hinterhalt. "Das macht mich nicht nur betroffen, sondern ein Stück weit auch ungehalten", sagt Robbe. "Ich habe die Ausbildungsdefizite jahrelang angeprangert. Aber ich fühle mich wie ein Rufer in der Wüste."

Nach den bisherigen Erkenntnissen griffen am Karfreitag Taliban eine Patrouille der Bundeswehr von mehreren Seiten an, als die Deutschen in der Ortschaft Isa Khel nach Minen suchten. Zwei Soldaten wurden durch Kugeln tödlich getroffen. Wenig später starb ein dritter, als er bei der Suche nach versteckten Sprengsätzen aus einem "Dingo" ausstieg und versehentlich eine Straßenbombe auslöste. Offenbar hatte er mit einem Detektor nach der Sprengfalle gesucht und dabei die Mine ausgelöst.

Eine Folge des mangelhaften Trainings der Seedorfer Fallschirmjäger?

Das Defizit an Ausbildungsfahrzeugen ist nach Angaben eines Heeressprechers innerhalb der Bundeswehr bekannt, doch eine Lösung des Problems scheint nicht in Sicht. Ein Sprecher des Heeres bestätigte auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE, "dass es bislang nicht genügend Fahrzeuge gebe, um die Fallschirmjäger daran auszubilden". Es wäre besser, so der Sprecher, mehr Fahrzeuge zum Üben anzuschaffen. Wann dies passiere, konnte er nicht sagen.

Experten fordern Aufrüstung der Bundeswehr

Der Sprecher erklärte jedoch recht offen, dass die Fallschirmjäger erst kurz vor ihrem Einsatz mit den Fahrzeugen üben können, die restliche Ausbildung finde in Afghanistan selbst in einer sogenannten "Einsatz-Vorbereitungszeit" von rund vier Wochen statt. Im Fall der betroffenen Einheit fiel diese Übungsphase mehr oder minder aus - die beiden Fallschirmjägerbataillone 373 und 313 aus Seedorf wurden bereits kurz nach dem Eintreffen in Afghanistan außerhalb des Camps mehrfach in stundenlange Feuergefechte verwickelt.

Auch beim Bundeswehrverband kennt man das Ausbildungsdefizit. "Dass man nur bedingt an den konkreten Fahrzeugen üben kann, ist ein allgemeines Problem in der Ausbildung, weil die Fahrzeuge in der Regel im Einsatz sind", sagt Vizechef Wolfgang Schmelzer.

Für die Verluste am Karfreitag sieht der Oberstabsbootsmann diese Mängel jedoch nicht als entscheidend. "Eine Situation wie der tragische Hinterhalt ist in Afghanistan grundsätzlich nicht zu vermeiden", sagt er. "Allerdings muss gewährleistet sein, dass die Soldaten dann wenigstens über die optimale Ausrüstung verfügen - und das ist im Moment nicht der Fall." Der Appell des Bundeswehrverbandsvize: "Hier ist die Politik gefragt, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen." Darin ist sich Schmelzer einig mit dem scheidenden Wehrbeauftragten Robbe. "Die Soldaten haben ein Anrecht auf einen optimalen Schutz", sagt der Noch-Amtsinhaber. Er geht noch einen Schritt weiter: "Wenn die Amerikaner mit ihren Hubschraubern nicht wären, könnten wir Deutschen diesen Einsatz nicht so führen."

"Wer in das Kanonenrohr eines 'Leopard 2' schaut"

Der FDP-Politiker Hellmut Königshaus, ab Mai Robbes Nachfolger als Wehrbeauftragter, fordert sogar schwere Panzer zum Schutz der Bundeswehr in Afghanistan. "Die Bundeswehr müsste einige der 'Leopard-2'-Kampfpanzer nach Kunduz schaffen, die hier in Deutschland in Depots stehen", sagte Königshaus dem "Tagesspiegel". Markig stellte der FDP-Mann fest: "Wer in das Kanonenrohr eines 'Leopard 2' schaut, überlegt sich zweimal, ob er eine deutsche Patrouille angreift."

Bei der Bundeswehr selbst stoßen die Ideen von Königshaus allerdings auf Ablehnung. Ein Sprecher des Heeres erklärte auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE, der "Leopard 2" sei "aufgrund der geografischen Besonderheiten in Afghanistan nicht einsetzbar". Die großen Panzer seien von ihren Ausmaßen her nicht geeignet für Patrouillenfahrten in den engen Gassen der Dörfer im Einsatzgebiet, heißt es von der Bundeswehr. Die meisten Brücken dort trügen außerdem die Last der bis zu 60 Tonnen schweren Fahrzeuge gar nicht.

"Der Einsatz des 'Leopard' in Afghanistan wäre eindeutig das falsche Signal an die Bevölkerung", sagte ein Sprecher des Heeres SPIEGEL ONLINE. "Wir würden auftreten wie Besatzer, die das Land okkupieren, und nicht gemäß unserem Auftrag die Bevölkerung schützen." Eine solche Symbolik sei "nicht mit dem politischen Auftrag der Bundeswehr zu vereinbaren", argumentierte der Sprecher weiter.

Guttenberg nimmt Kritik ernst

Karl-Theodor zu Guttenberg

Verteidigungsminister stellt sich der Kritik an der Ausbildung und an Ausrüstungsmängeln. Intern wie nach außen hin machte der CSU-Politiker deutlich, dass er mögliche Defizite zügig untersucht haben will. Der Minister kündigte eine sehr genaue Prüfung der tödlichen Gefechte schon am Wochenende auf einer Pressekonferenz an.

Es soll ein neuer Stil sein: Dumpfe Durchhalteparolen wie unter seinen Vorgängern, die jegliche Kritik von innen oder von außen abtaten, will Guttenberg nicht mehr dulden. Auch wenn er knackige Forderungen nach schweren Waffen oder dem Ruf nach mehr Luftschlägen wie die meisten aktiven Militärs und Fachleute im aktuellen Fall für blanken Unsinn hält, begründete er am Wochenende geduldig, warum diese am Karfreitag auch nicht geholfen hätten.

Bei der Ausbildung der Soldaten hingegen sei der Minister auch für schnelle Nachbesserungen bereit, heißt es in seinem Haus. Jede Chance zu mehr Sicherheit solle genutzt werden, gab er als Linie aus. Guttenberg selbst ließ sich gleich nach der Rückkehr aus seinem abgebrochenen Urlaub detailliert informieren. In Bonn saß er mit dem Generalinspekteur und dem Chef der Einsatzführung zusammen, sah sich Drohnen-Videos an und ließ sich die einzelnen Gefechtsschritte erläutern.

Das ist ganz im Sinne des scheidenden Wehrbeauftragten Robbe. Denn der sagt über seine Erfahrungen der vergangenen fünf Jahren: "Die Defizite werden in der Spitze der Bundeswehr nicht so ernst genommen, wie eigentlich nötig."