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Physik-Rekord: Forscher fangen Antimaterie minutenlang ein - DER SPIEGEL
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Erfolg am Cern: Antimaterie in der Falle

Foto: CERN

Physik-Rekord Forscher fangen Antimaterie minutenlang ein

Es ist ein einsamer Rekord: Physiker haben Antimaterie-Atome fast 17 Minuten lang eingefangen - rund 6000 Mal länger als zuvor. Sie hoffen, nun eine fundamentale Frage über das Universum beantworten zu können: Warum hat sich normale Materie gegen Antimaterie durchgesetzt?

Galaxien, Sterne, Planeten, Kontinente, Ozeane, Gebäude, Tische und Stühle, Menschen - all das dürfte eigentlich gar nicht existieren. Denn beim Urknall hätten Materie und Antimaterie zu exakt gleichen Teilen entstehen müssen - um sich gleich darauf wieder gegenseitig zu vernichten und zu reiner Energie zu zerstrahlen.

Offensichtlich ist es anders gekommen: Die Materie hat sich durchgesetzt, Antimaterie gibt es heute so gut wie nicht mehr. Zwar kann sie hier und dort noch in kleinsten Mengen entstehen - sogar in der Atmosphäre der Erde -, doch von der Ur-Antimaterie dürfte nichts mehr übrig sein. Der Verdacht, dass ganze Galaxien aus Antimaterie bestehen könnten, hat sich nicht bestätigt: Forscher konnten bisher nirgendwo im All die Strahlung entdecken, die durch Kollisionen mit normaler Materie entstehen müsste. Auch die direkte Suche nach Antimaterie verlief bisher ergebnislos: 1998 flog ein Space Shuttle mit einem Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS) ins All. Drei Millionen Heliumatome wurden gefunden, aber kein einziges Antiatom. Im Mai soll nun die Raumfähre "Endeavour" eine zweite AMS-Version zur Internationalen Raumstation bringen.

Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung - ein Relikt aus der Zeit der großen Materie-Antimaterie-Vernichtung - legen indes nahe, dass es bei der Entstehung des Alls ein winziges Ungleichgewicht zugunsten der Materie gab: Auf eine Milliarde Teilchenpaare kam demnach ein zusätzliches Materieteilchen. Der Grund ist Physikern aber bis heute ein Rätsel.

Hoffnung auf eine Antwort birgt jetzt ein Experiment am europäischen Kern- und Teilchenforschungszentrum Cern in Genf. Wissenschaftlern des Alpha-Projekts ist es gelungen, Antiwasserstoff-Atome 1000 Sekunden lang einzufangen - rund 5800 Mal länger als bisher. Die frühere Bestmarke hatte das Team erst im November 2010 aufgestellt, als es 38 Antiwasserstoff-Atome 172 Millisekunden lang speicherte.

Mit ihrem verbesserten Experiment hielten die Forscher jetzt gleich 309 Antiwasserstoff-Atome in einer magnetischen Falle fest. Damit könnten die Eigenschaften von Antimaterie und fundamentale Symmetrieregeln im sogenannten Standardmodell der Teilchenphysik genauer überprüft werden, schreiben die Wissenschaftler in einem Fachbeitrag, der vorab auf Arxiv.org veröffentlicht wurde . "Diese Fortschritte eröffnen ein weites Feld von experimentellen Möglichkeiten", heißt es.

Magnetische Falle auf minus 272 Grad gekühlt

Antiwasserstoff besteht aus einem Antiproton und einem Positron - also dem Antiteilchen zum negativ geladenen Elektron. Er ist ein vielversprechender Kandidat, um die offensichtliche Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie genauer untersuchen zu können. Für ihre Versuche erzeugten die Forscher Millionen von Antiprotonen und Positronen in einem Teilchenbeschleuniger. Nur ein Bruchteil von ihnen verband sich zu den begehrten Antiwasserstoff-Atomen. Mit magnetischen Feldern und abgekühlt auf nur ein halbes Grad über den absoluten Nullpunkt bei minus 273,15 Grad Celsius gelang es, mehr als 300 der Antimaterie-Atome knapp 17 Minuten lang festzuhalten.

Eine solche Langzeit-Gefangenschaft könnte der Schlüssel zum Verständnis der Symetrieverletzung sein. "Man muss dazu sehr präzise messen, ob Antiwasserstoff exakt die gleichen physikalischen und chemischen Eigenschaften wie Wasserstoff besitzt", erklärt Thomas Müller, Leiter des Instituts für experimentelle Kernphysik am Karlsruher Institut für Technologie. Bisher sei die Zeitspanne der Antiteilchen-Gefangenschaft zu kurz für schlüssige Ergebnisse gewesen.

Das könnte sich nun ändern. "Sollte eine Abweichung zwischen Antiwasserstoff und Wasserstoff gefunden werden, wäre das ein Hammer", sagt Müller im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Die CPT-Symmetrie wäre gebrochen. Das hätte fundamentale Auswirkungen auf die Physik." Das CPT-Theorem (kurz für charge, parity, time) besagt, dass Materie und Antimaterie sich exakt spiegelbildlich verhalten. Zwar hält Müller es für unwahrscheinlich, dass das 1955 aufgestellte Theorem ins Wanken gerät. "Aber es muss experimentell geprüft werden."

Die Forscher des Alpha-Projekts erhoffen sich derweil auch noch andere Erkenntnisse. Denn auf elektrische und magnetische Felder reagiert Anti-Wasserstoff genau entgegengesetzt im Vergleich zum normalen Wasserstoff. Es ist nicht auszuschließen, dass vergleichbare entgegengesetzte Effekte auch bei der Schwerkraft auftreten. Antimaterie könnte dabei von anderen Materiemassen nicht angezogen, sondern abgestoßen werden - sie würde also quasi nach oben fliegen. Die dabei wirkenden Kräfte wären allerdings extrem klein und nur sehr schwer nachweisbar.

Mit Material von dapd