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Filmstart von "Unter Kontrolle" Im Kernkraftwerk von nebenan

Die Bilder nach dem GAU kennen wir aus Tschernobyl und Fukushima. Die Dokumentation "Unter Kontrolle" zeigt, wie der Alltag in Deutschlands AKWs aussieht. Ein Blick ins Herz des Reaktors - und in sein Hirn.
Von Matthias Schmidt

Es sieht aus wie im Hallenbad. Männer in blauen, neckisch knappen Bademänteln schlippschlappen pfeifend über einen Flur mit Blick nach draußen. Sie tratschen, trinken aus Plastikbechern und zwängen sich dann durch zwei Drehgitter. Im Hintergrund huscht ab und zu einer nur in schwarzer Badehose vorbei und schaut etwas verwundert, aber kein bisschen pikiert auf die fremden Leute, die da in ihrer Schutzkleidung stehen und filmen. Selbst die Kamera wurde zur Sicherheit eingepackt und darf den Boden möglichst nicht berühren.

"Das war mir vorher nicht bewusst, dass es da so zugeht", sagt Volker Sattel. "Keine andere Szene stellt für mich so die Frage: In was für einer Welt sind wir da eigentlich gelandet?" Da - das sind Pausenräume und die Kantine des Atomkraftwerks im bayerischen Gundremmingen. Ein Hochsicherheitsbereich, hinter dessen Kulissen Menschen, die nicht gerade Atomphysik oder Kerntechnik studiert haben, so gut wie nie Zutritt bekommen. Geschweige denn eine Kamera aufstellen dürfen.

Sattel durfte. Für seinen Dokumentarfilm "Unter Kontrolle" war er mit einem kleinen Team - Kamera-Assistent, Tontechniker und Recherche-Assistent - nicht nur in Gundremmingen, sondern auch in Grohnde und in Biblis. Er war in Forschungs- und Schulungseinrichtungen für Atomenergie, einem zurückgebauten Reaktor und dem still gelegten "Schnellen Brüter" in Kalkar. Er filmte ein Endlager und ein Zwischenlager für eine ganze Armada von sanft vor sich hin brutzelnden Castoren, besuchte die internationale Atomaufsichtsbehörde und eine Anlage in Österreich, die die deutschen Atomler als Ersatzteillager nutzen. Wobei Atomler das falsche Wort ist: "Die nennen sich Kernis", sagt Sattel. Und vor Stellen, an denen der Geigerzähler besonders stark ausschlage, würden Besucher gewarnt: "Hier müsst ihr aufpassen, da pfeift es wirklich gewaltig!"

Eine atomare Landkarte

Den Weg in diese seltsame Welt hat sich Volker Sattel, der mit seiner hohen Stirn und seinem hellen, ernsten Gesicht, selbst ein wenig nach Wissenschaftler aussieht, beharrlich erstritten. Er absolvierte Termine in den Konzernzentralen der Stromversorger und redete persönlich mit den AKW-Direktoren. Die sich letztlich von Sattels Konzept überzeugen ließen: Kein journalistischer Blick auf eine umstrittene Technologie, sondern eine atomare Landkarte Deutschlands, ein umfassendes Panaroma einer Branche, der man gerade beim Aussterben zuschauen kann.

Ein Film, gedreht in Cinemascope und ohne Kommentar, der sich dennoch an strenge Auflagen halten musste. Gefilmt wurde immer unter Kontrolle eines Pressesprechers und eines Sicherheitschefs. Sobald es in radioaktive Bereiche ging, kamen noch mindestens zwei Strahlenschützer dazu. Das Filmteam wurde in Überschuhe und Schutzanzüge gepackt, durfte nichts anfassen, nichts abstellen, nichts trinken und nicht auf Toilette. Fragen mussten allesamt vorformuliert, in bestimmte Richtungen nicht gefilmt werden: "Irgendwas Verrostetes sollte auf keinen Fall im Bild erscheinen".

Keine Enthüllungen

Volker Sattel, Jahrgang 1970, ist in Speyer am Rhein aufgewachsen, mit Blick auf das Atomkraftwerk Philippsburg. Er war aber nie politisch engagiert: "Ich wollte diesen Film von vorneherein nicht im Dienst einer Sache oder unterstützt von Greenpeace machen, sondern eben zusammen mit den Repräsentanten dieser Technologie. Wenn die gewusst hätten, ich gehöre einer atomfeindlichen Organisation an, hätten die mich gar nicht reingelassen."

Wer also von "Unter Kontrolle" Enthüllungen erwartet oder ein flammendes Plädoyer für die Sofortabschaltung, kann sich den Weg ins Kino sparen. Man wird hier nicht belehrt, oder aufgeklärt, sondern erhält einen tiefen, ungeheuer sinnlichen Einblick in die sonst hermetisch verschlossene Welt des Nuklearbetriebs. Ein Kinoerlebnis, das frösteln macht über so viel technischen Größenwahn und menschliche Vermessenheit und zugleich staunend einführt in eine Parallelwelt, die oft wirkt, als stamme sie direkt aus einem Science-Fiction-Szenario. Eine Welt, in der ein Störfall, oder gar ein GAU, allein als statistische Größe wahrgenommen wird. Restrisiko zehn hoch minus sieben, also nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen.

"Ich glaube, da ändert sich auch nach Fukushima nichts", sagt Sattel. "Ja, das war ein bitterer Unfall, aber wir haben das analysiert und daraus gelernt. Wenn man mit diesen Leuten spricht, bekommt man immer wieder den Eindruck, der Mensch habe versagt, nicht diese wunderbare Technik, die keine Angst hat vor der Ewigkeit."

Das Positive an Fukushima

Fukushima ist, zynisch gesagt, das Beste, was Sattels Film passieren konnte. Der Kino-Starttermin wurde vorgezogen auf den 26. Mai, die Kopienzahl deutlich erhöht auf nunmehr 25, und das Medieninteresse wächst und wächst. Sattel wird gerade auf Tour quer durch Kinodeutschland geschickt, um seinen Film persönlich vorzustellen. Aus dem überschüssigen Material wird zudem ein Fotoband entstehen, der rechtzeitig zur TV-Premiere erscheinen soll. Die Filmrechte wurde inzwischen sogar nach Japan verkauft.

"Natürlich ist es wunderbar, dass ein nicht besonders kommerzieller Film wie meiner, für den ich gekämpft habe, der enorm schwer zu finanzieren war, nun so viele interessiert", sagt Sattel. Als er im Frühling 2008 anfing zu recherchieren, habe es oft geheißen: Wieso denn ausgerechnet Atomkraft, das Thema ist doch durch!"

Die Aufmerksamkeit, die sein Film nun genießt, liegt seiner Ansicht nach aber vor allem am Mangel an Bildern. Das einzige Bild, das die meisten Menschen bislang vom Innenleben eines AKW hatten, war das Reaktorkühlbecken, in dessen blauem Kühlwasser die Brennstäbe wie in einem besonders gepflegten Pool baden. Sattels Film glänzt mit bestechenden Aufnahmen beispielsweise einer Hochdruck-Turbine, groß wie eine Lokomotive, die aussieht, als wäre sie aus einer anderen Galaxie auf die Erde gefallen. Er zeigt Kontrollstände und Leitstellen, die wirken, als hätte dort gerade noch Captain Kirk an den Reglern gezwirbelt. Oder eine betriebseigene Heißwäscherei, in der die kontaminierte Kleidung gereinigt wird, und die Kantine der Arbeiter.

Nicht nur das Herz des Reaktors, sondern auch Alltagsorte eines AKWs, bevölkert von Ingenieuren und Monteuren, von Chemikern, Pysikern und Informatikern, die bei der Morgenbesprechung in hässlichen, kurzärmeligen Hemden an einem langem Tisch kauern und eine verwirrende Sprache sprechen, die nur aus Abkürzungen zu bestehen scheint: "Dann TX 07 Paula 17, Meldung angesprochen, innerhalb sieben Tagen ohne Auftrag; MTN, TF 60 T 1, Abfall des Messwerts um ein Calvin."

"Dann hast du Pech gehabt"

Messwerte, Fehlermeldungen, vielleicht sogar ein Störfall? Ein wenig unbehaglich habe er sich schon gefühlt bei den ersten Drehtagen, berichtet Sattel, dessen Frau und Tochter anfänglich nicht gerade begeistert waren von seinem Projekt. "Wenn das Dosimeter, ein Strahlenmessgerät, das man immer am Körper tragen muss, zum ersten Mal anfängt zu zählen, wird einem etwas mulmig. Man hat das schon im Kopf: Falls jetzt was passiert, hast du einfach Pech gehabt! Aber ich bin eben auch mit Leidenschaft Filmemacher."

Sein persönlicher Strahlenrekord liegt mittlerweile bei einer Dosis von 50 Mikrosievert. Entstanden, als er bei der Ultraschallmessung von Schweißnähten in einen schmalen Spalt zwischen Reaktoraußenwand und zweiter Hülle filmte. Leider hat es gerade diese Szene am Ende nicht in den fertigen Film geschafft. Sie sah einfach nicht gut genug aus.

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