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Guttenbergs Buch "Vorerst gescheitert" erschienen Der Sound des Größenwahns

Sein Buch soll ein Test sein, ob und wie das Comeback gelingen kann. Doch die erste Bilanz ist finster. Karl-Theodor zu Guttenberg will Volksheld sein - der die Parteien maßregelt.
Von Lutz Kinkel

Streng schaut Karl-Theodor zu Guttenberg vom Cover herab, streng und ernst. Es habe sich ein "harter Zug" in sein Gesicht eingegraben, schreibt Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der "Zeit", mitfühlend im Vorwort. "Vorerst gescheitert" heißt der Titel des Buchs, und diese Wortwahl ist genial, weil sie den Größenwahn, der die Lektüre bisweilen so unerträglich macht, auf den Punkt bringt. "Vorerst" bedeutet: Es gibt ein Comeback, und das beginnt jetzt, nur rund acht Monate nach dem Fall Guttenbergs, der zu seinen besten Zeiten Verteidigungsminister, Publikumsliebling und Reservekanzler war. "Gescheitert" bedeutet: Es gab keine Absicht, keinen Vorsatz, keine bewusste Schwindelei bei der Doktorarbeit, sondern ein menschliches, allzu menschliches Versagen. Das sind die beiden Leitmotive des Buchs, und wer keine Lust hat, diese Leitmotive in immer neuen Varianten auf 208 Seiten nachzulesen, kann es beim Lesen des Titels bewenden lassen. An diesem Dienstag wird das gebundene Endlos-Interview ausgeliefert.

Drei Tage lang hat di Lorenzo mit Guttenberg in einem Londoner Hotel gesprochen, das Treffen fand in der zweiten Oktoberhälfte statt. Der Herder-Verlag, eigentlich spezialisiert auf religiöse Literatur, zu den Hausautoren zählen auch Papst Benedikt XVI und die ehemalige EKD-Vorsitzende Margot Käßmann, hatte das Buchprojekt angeschoben. Hilfreich war, so ein Verlagssprecher zu stern.de, dass auch schon Guttenbergs Gattin Stephanie bei Herder publiziert hatte und Verleger Manuel Herder den Kontakt zur Familie nie hat abreißen lassen. Hilfreich für "KT" war wiederum, dass er diese Schnellschuss-Produktion offenkundig zu 100 Prozent kontrollieren und eintakten konnte. Die holperfreie Sprache des Interviews, auch bei akademischen Disputen über die Euro-Krise, legt nahe, dass Guttenberg den Text sorgfältig redigieren konnte. Und die zeitliche Parallelität des Vorabdrucks in der "Zeit" mit der Einstellung des Plagiatsverfahrens der Staatsanwaltschaft Hof weist darauf hin, dass der Freiherr das offizielle Ende des Prozesses selbst terminieren konnte - durch die Begleichung der Geldauflage von 20.000 Euro. Auftritt in Halifax, Ende des Verfahrens, Vorabdruck, Buchveröffentlichung, alles innerhalb von zehn Tagen: Guttenberg fegt, nach monatelanger Windstille, wie ein Hurrikan durch die deutschen Medien. Er selbst muss diesen Effekt beabsichtigt haben.

Plädoyer auf Unzurechnungsfähigkeit

Vier Kapitel hat dieses Buch - "Aufstieg und Fall", "Herkunft und Prägung", "Politik und Parteien" sowie "Gegenwart und Zukunft" -, aber formal bleibt es immer beim öden Muster des Interviews: Frage, Antwort, Frage, Antwort, und das ist auf die Dauer enervierend. Zumal es auch nicht, oder nur selten, zu einem "Schlagabtausch" zwischen di Lorenzo und "KT" kommt, wie der Verlag vollmundig angekündigt hatte. Das nimmt dem Buch die Dramatik, die es hätte haben können. Hier ringen eben nicht zwei Männer um die Wahrheit, sondern der eine liefert in der Regel die Stichworte für die Selbstrechtfertigung und die politischen Exkurse des anderen. Eine höhere O-Ton-Dosis Guttenberg als der Leser bekommt ansonsten wohl nur Gattin Stephanie ab.

Mit am spannendsten, und deswegen an den Anfang gestellt, sind Guttenbergs Ausführungen zu seiner Doktorarbeit. Was sich nach dem Vorabdruck noch als "mea culpa" interpretieren ließ, entpuppt sich in der Langfassung als Akt der Vorwärtsverteidigung. Zwar geißelt sich Guttenberg selbst, nennt die Abfassung seiner Doktorarbeit "die größte Dummheit meines Lebens", einen "ungeheuerlichen Fehler" - aber er streitet, wie gehabt, jeden Vorsatz ab. Es sei vielmehr so gewesen, dass er "schlampig" gearbeitet habe, Exzerpte, Zitate und Abschriften seien auf 80 verschiedenen Datenträgern gespeichert gewesen, zuletzt habe er nicht mehr gewusst, was er selbst geschrieben habe. Die Uni Bayreuth, die diese Erklärung nicht hat gelten lassen und ihm Vorsatz attestiert, wird von Guttenberg scharf attackiert. "Die Universität Bayreuth war in dieser Sache leider nicht unabhängig, wie etwa die Staatsanwaltschaft, sondern immer Partei". Sie habe seine Persönlichkeitsrechte über Bord geworfen, indem sie das Urteil an die Presse durchgestochen habe. "Offensichtlich ging es […] um den drohenden Verlust von Forschungsgeldern, was das Vorgehen rechtfertigen sollte." Im Übrigen sei die Bayreuther Kommission nicht mehrheitlich mit Juristen besetzt gewesen, und deswegen sei er nicht bereit, sich von ihr "eine rechtlich relevante vorsätzliche Täuschung" vorwerfen zu lassen. Die Chuzpe, die Guttenberg hier zeigt, macht sprachlos: Er, der seinen altehrwürdigen Doktorvater und die Uni Bayreuth brutalstmöglich geleimt hat, indem er ihnen ein zusammengestoppeltes Machwerk unterjubelte, unterstellt der Gegenseite unlautere Motive. Und das, obwohl das Bayreuther Urteil ihm eine gewisse Restwürde zubilligt: Es besagt nämlich, dass Guttenberg wusste, was er tat, also allzeit zurechnungsfähig war. Der Delinquent selbst plädiert auf zeitweilige Unzurechnungsfähigkeit.

"Spinnweben" auf der CSU

Guttenberg setzt das Recht und Guttenberg setzt die Maßstäbe, es sind die anderen, die falsch gewickelt sind - dieser Sound, der Demut und Reue vermissen lässt, aber mit bulliger Überheblichkeit dröhnt, durchzieht auch seine politischen Ausführungen. Guttenberg glaubt, aus dem US-Exil heraus seinen ehemaligen Regierungskollegen die Leviten lesen zu können. Kanzlerin Angela Merkel gibt er indirekt mit auf den Weg, dass die Finanzkrise "koordinierende Führungskraft" erfordere, über CDU und CSU sagt er: "Die Union sitzt noch in der Mitte, aber sie ist dort lange nicht mehr so erkennbar, wie sie es sein könnte. Sie sitzt eben und steht nicht." Die CSU habe schon "Spinnweben" gebildet, sie sei von einer "Infektion" befallen, die Volksparteien langsam wegsterben lasse. Überhaupt: allenthalben nur Inkompetenz, falsche Prioritätensetzung, schlechtes Personal, mangelnde Kommunikationsfähigkeit. "Den Menschen mangelt es in der Politik generell an Köpfen, die für gewisse Inhalte stehen." Oder auch: "Es gibt keine Inflation von Charismatikern." Also, noch mal: "Wir brauchen einfach unabhängige Köpfe, weil sie die Politik bereichern." Das heißt, im Klartext: Ihr braucht "KT". Aber "KT" braucht Euch nicht. Denn er könnte sich auch einer neuen Partei anschließen, über deren mögliches Grundsatzprogramm Guttenberg im Buch seitenweise spekuliert. Vor allem diese Passage zeigt, wen der Freiherr adressiert: Wer bei einem Comebackversuch seine alten Mitstreiter derart kritisiert, hat von ihnen nichts mehr zu erwarten. Guttenberg sucht nicht die Verständigung mit seiner Partei, sondern den Applaus des Publikums, des Volkes, er will seine Macht abermals plebiszitär begründen.

Wenn dieses Buch tatsächlich ein Testballon sein soll, ob und wie das Comeback gelingen kann, so fällt die erste Bilanz düster aus. Merkel soll wegen Guttenbergs Ruf nach "Führung" verstimmt sein. CSU-Chef Horst Seehofer schäumte: "Ich erkenne viel von seiner Persönlichkeitsstruktur wieder. Diese Art und Weise, andere herabzusetzen, um sich selbst zu erhöhen, geht so nicht." FDP-Generalsekretär Christian Lindner sprach von "besserwisserischen Bemerkungen". In den Medien - mit Ausnahme der "Bild", Guttenbergs Hausblatt - fällt die Kritik noch verheerender aus. Der Focus spricht von "Mr. Seltsam", die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" warnt "Er ist ein wahrhaft gefährlicher Mann", der "Spiegel" nennt Guttenbergs Vorgehen "infam". Die Wähler sind laut einer Emnid-Umfrage für die "Bild am Sonntag" gespalten. 72 Prozent der Deutschen glauben, Guttenberg habe bei seiner Doktorarbeit bewusst getäuscht, 62 Prozent sagen, sie hätten ihn seit seinem Rücktritt nicht vermisst, aber 45 Prozent befürworten seine Rückkehr in die aktive Politik.

Narrhallamarsch!

Unumschränkt auf der Haben-Seite kann Guttenberg derzeit allein die Buchverkäufe verbuchen. Nach Angaben des Verlages ist ein Großteil der ersten Auflage - 80.000 Exemplare - bereits von Buchhändlern oder Kunden vorbestellt. Gerne hätte der Verlag eine große Buchpräsentation mit Guttenberg gemacht, aber der Freiherr mochte nicht anreisen. Er wird, und das gehört in die Abteilung Kuriosa, erst wieder am 28. Januar 2012 in Deutschland auftreten. Bei der Verleihung des "Ordens wider den tierischen Ernst" des Aachener Karnevalsvereins wird Guttenberg die Laudatio auf Ottfried Fischer halten. Narrhallamarsch!*

In der ersten Fassung des Textes stand hier "Na hallamasch" - danke an Leser Christian Reinboth für den Korrekturhinweis, Red.

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