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Kundus-Untersuchungsausschuss Politisch nicht angemessen

Eineinhalb Jahre lang versuchte ein Untersuchungsausschuss, das Bombardement des Tanklasters bei Kundus aufzuklären. Nun liegen die Bewertungen der Parteien vor. Sie könnten unterschiedlicher nicht ausfallen.
Von Lutz Kinkel

Manchmal ist der politische Betrieb in Berlin zum Verzweifeln - weil schnöde, kleinkarierte Parteitaktik jede Anstrengung ruiniert. So ist es auch beim Kundus-Untersuchungsausschuss. Eineinhalb Jahre hat er getagt, 55 Sitzungen absolviert, 41 Zeugen befragt, darunter Kanzlerin Angela Merkel, Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Verteidigungsminister a. D. Karl-Theodor zu Guttenberg. Und was kommt heraus? Jede Partei versucht, ihre Akteure in Schutz zu nehmen und die Verantwortung abzuschieben. So lässt es sich aus den abschließenden Bewertungen herauslesen. Grüne, SPD und Linke stellten ihre an diesem Donnerstag vor, CDU und FDP hatten dies schon vor der Sommerpause getan. Überprüfen kann der Bürger die Bewertungen nicht: Die Vernehmungen fanden zu 80 Prozent hinter verschlossenen Türen statt, die Protokolle werden offiziell nicht veröffentlicht.

Diese Intransparenz und Politpokerei ist besonders kritikwürdig, weil der Untersuchungsausschuss am Beispiel des Kundus-Bombardements Fragen verhandelt hat, die immer wieder auftauchen werden und jeden interessieren müssen: Was ist der Bundeswehr im Auslandseinsatz erlaubt, was nicht? Wie lässt sich das kontrollieren? Welche Informationspflichten haben die Beteiligten gegenüber der Öffentlichkeit? Wer hat eigentlich die Macht im Bundesverteidigungsministerium - die Stäbe oder der Minister?

Die "ungeschehene" Affäre

Zur Erinnerung: Oberst Georg Klein gab in der Nacht zum 4. September 2009 grünes Licht für das Bombardement von zwei gestohlenen Tanklastzügen, die in der Nähe von Kundus feststeckten. Es wurde der blutigste Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr. Einige Taliban-Führer starben, aber auch mindestens 83 Zivilisten, darunter 22 Kinder. Darüber schwieg sich die Politik weitgehend aus - es war Wahlkampf. Nach der Bundestagswahl nannte der neue Verteidigungsminister Guttenberg den Einsatz zunächst "militärisch angemessen", später "militärisch unangemessen", außerdem feuerte er Generalinspekteur Wolfgang Schneider und Staatssekretär Peter Wichert, weil sie ihm angeblich Informationen vorenthalten hätten. Unter dem Druck der kritischen Veröffentlichungen musste auch Franz-Josef Jung, der vom Verteidungs- auf das Arbeitsministerium umgesattelt hatte, den Dienst quittieren. Ein Disziplinarverfahren gegen Oberst Georg Klein wurde ohne Strafe eingestellt. Das Bombardement, das er befehligt hatte, definierte eine neue Sicht auf den Afghanistan-Einsatz: Seitdem ist endgültig jedem klar, dass die Soldaten dort nicht nur Brunnen bohren und Mädchenschulen aufbauen, sondern in einen grausamen Krieg verwickelt sind.

Die Bewertungen, die Union, FDP, SPD, Grüne und Linkspartei abgaben, hätten gleichwohl nicht unterschiedlicher ausfallen können. Union und FDP machten sich einen sehr schlanken Fuß. Oberst Klein habe, "auf Grundlage der ihm damals zu Verfügung stehenden Informationen nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutze seiner Soldaten gehandelt", heißt es in ihrem Bericht. Klein seien allenfalls Verfahrensfehler vorzuwerfen. Alle politischen Akteure, namentlich Jung, Guttenberg und Merkel hätten richtig reagiert, es sei nur deswegen zu Informationspannen gekommen, weil Schneiderhahn und Wichert Material zurückgehalten hätten. "Koalition erklärt Kundus-Affäre für ungeschehen", titelte die "Financial Times Deutschland" zur schwarz-gelben Bewertung. Und in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" beklagte sich selbst der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe, CDU, diese Bewertung sei "unrichtig" und "unanständig".

"target killing"

Die SPD legt in ihrem Bericht eine völlig andere Perspektive auf Oberst Klein an: Es sei bei dem Bombardement nicht um die Zerstörung der Tanklastwagen gegangen, sondern um die Liquidierung von Taliban-Führern - das wäre ein gezieltes Töten ("target killing") gewesen, und ihm damit verboten. Zudem habe Klein eine ganze Serie von Vorgaben verstoßen. Er habe sich auf ungesicherte Hinweise eines Informanten verlassen, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ("Feindkontakt") Luftunterstützung angefordert und regelwidrig weder seinen Vorgesetzten noch einen Rechtsberater hinzugezogen. SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold forderte indirekt, das Disziplinarverfahren gegen Klein wieder aufzunehmen. Jung, Guttenberg und Merkel wirft Arnold vor, sie hätten die Sachlage eher vernebelt als aufgeklärt; Guttenberg habe die Verantwortung dafür einfach auf Wichert und Schneiderhahn abgewälzt.

Die Grünen wiederum, vertreten durch den Verteidigungsexperten Omid Nouripour, kritisieren, dass Schneiderhahn, der als SPD-nah gilt, und Wichert sehr wohl Informationen zurückgehalten hätten. Und sie werfen nicht nur Jung, Guttenberg und Merkel, sondern auch dem ehemaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vor, sich bei der Aufklärung ungebührlich zurückgehalten zu haben. Am deutlichsten wird Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion der Linkspartei. Er sagt, dass das Bombardement völkerrechtswidrig war und Klein seine Kompetenzen weit überschritten habe. Die Große Koalition habe sich danach, aus Sorge um die Truppenmoral und das eigene Image, "in Manipulation, Vertuschung und Grauzonenlavierei geflüchtet". Der Abschlussbericht von Union und FDP, der alle kritischen Fakten ausblende, entmüdige das Parlament.

Nagende Unsicherheit

Damit haben sich alle Parteien erwartungsgemäß positioniert: Union und FDP hielten den Untersuchungsausschuss ohnehin immer nur für ein Instrument der Opposition, um Reservekanzler Guttenberg zu beschädigen - niemand konnte ahnen, dass er nicht über Kundus, sondern über Fußnoten stolpern würde. Die SPD macht bei der Analyse einen bemerkenswerten Bogen um Steinmeier, Wichert und Schneiderhahn, die Linkspartei sieht sich in der Auffassung bestätigt, dass am Afghanistan-Einsatz nichts richtig sein kann. Nouripour von den Grünen sagt zu stern.de: "Ich kann niemanden, der dort federführend tätig war, entlasten."

Unter den Soldaten, soviel ist klar, werden die unterschiedlichen Bewertungen weitere Unsicherheit auslösen - sie wissen immer noch nicht, welcher Aktionsradius ihnen im Zweifelsfall zugestanden wird. Dieses Problem der Rechtssicherheit will Arnold nach der Sommerpause angehen. Außerdem kündigte er einen politischen Vorstoß an, um die "parallele Welt" der Nachrichtenbeschaffung bei der Bundeswehr zu durchleuchten und unter parlamentarische Kontrolle zu stellen.

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