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Weimers Woche Die Klartext-Sympathen

Steinbrück, zu Guttenberg, Westerwelle: Kantige Typen in der Politik sind wieder beliebt beim Volk. Leute, die mal offen ihre Meinung sagen. Sie sind die Gegenentwürfe zu den Phrasen dreschenden Weichzeichnern á la Merkel und Steinmeier, schreibt Wolfram Weimer.

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Peer Steinbrück (SPD) und Guido Westerwelle (FDP) haben drei Dinge gemeinsam. Erstens: Sie sind kantige Klartexter. Sie haben deshalb - zweitens - lange als "nicht-mehrheitsfähig" gegolten. Und jetzt sind sie - drittens - doch so beliebt, dass sich alle Experten die Augen reiben. In den Popularitätsrankings der Demoskopen stürmen sie ganz nach oben und überholen dabei sogar den geschmeidigen Außenminister und SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier.

Der Aufstieg der Klartexter und der Absturz der Weichspüler haben unmittelbar miteinander zu tun. Denn in turbulenten Zeiten ändert sich der Ton der Republik. Auf einmal schätzt man sachverständige Offenheit und mutige Haltung. Das Diplomatische, das Phrasenhaft-Nebulöse, das Abgeschliffen-Korrekte, kurzum, das professionelle Politikerdeutsch hört sich dagegen plötzlich an wie Animateur-Sprech.

Die Worthülsen-Parade

Die Weichzeichnersprache, die von der Regierung Merkel intoniert worden ist, klang in den sonnigen Tagen beamtenhaft-behaglich. Jetzt wirkt sie zuweilen künstlich, ruckhaft und umständlich wie ein Antivirenprogramm von Windows.

So schwankt der Berliner Volksparteienduktus zwischen Schön - und Schlimmfärberei hin und her. "Die schlimmste Krise aller Zeiten" ist so eine Worthülse der Großen Koalition, die in Wahrheit keiner glaubt, weil die Krise schon wieder zu Ende geht und wir selbst nach sieben Rezessionsjahren nicht annährend auf ein Suppenküchen-Bombenruinen-Hungerniveau zurückgefallen wären wie 1929 oder 1945.

Die Zweifel an den regierungsamtlichen Verlautbarungen aus Berlin wachsen, ob es um "Haushalts-konsolidierungen" geht (die in Wahrheit nur in immer größeren Schulden enden), um den Krieg in Afghanistan (den sie nicht einmal Krieg nennen) oder um die vermeintlich sichere Rente, die so sicher eben gerade nicht mehr ist. Zuweilen entlarven Abstrusitäten wie die "freiwillige Wehrpflicht" oder der "demokratische Sozialismus" das Phänomen.

Authentizität statt Geschmeidigkeit

Wenn also die Volksparteien an Autorität verlieren, dann liegt das auch daran, dass sie inzwischen wie Versicherungsvertreter klingen. Mit einem Jargon der Uneigentlichkeit verkünden sie: "Wir bauen Brücken für den Aufschwung", "Wir wollen Sicherheitsnetze knüpfen", "Wir spannen Schutzschirme auf" - die Metaphorik verrät einen Paternalismus der Unsicherheit. Sie zehren vom Sehnsuchtsort einer Vollkasko-Politik, den es nicht mehr gibt. Darum muss alles indifferent und geschmeidig klingen, "vermittelbar", "mehrheitsfähig", "integrierend". Warum eigentlich?

Guttenberg, Steinbrück und Westerwelle zeigen, dass das Gegenteil besser wäre. Die drei finden - wie weiland Joschka Fischer - eine authentische, kritische Sprache für die neue Lage und gewinnen gerade durch das offene Aussprechen unangenehmer Wahrheiten an Glaubwürdigkeit. Das phrasenhaft-mittige Sprechen Steinmeiers klingt dagegen wie rhetorisches Treibholz, wo man eigentlich einen Fels in der Brandung bräuchte.

Die Oppsition profitiert

Vom Sprachverlust der Volksparteien profitieren aber nicht nur Solitäre wie Steinbrück und Guttenberg, es nutzt vor allem der Opposition insgesamt. Es sind kaum ihre Programme, die FDP und Grüne derzeit so attraktiv machen. Ihre entschiedene Bürgerlichkeit macht den Unterschied. Sie reden wie Mittelständler und Mütter reden. Und sie appellieren an den gesunden Menschenverstand. Ihre habituelle Magie liegt in der Individualität. Es ist wie mit Jürgen Klopp im Fußball. Die offene Verkörperung des freien Denkens und Redens mobilisiert Sympathien - selbst wenn man im Inhalt zuweilen anderer Meinung ist.

Denn das großkoalitionäre Animateur-Sprech ist weit verbreitet. Ob auf Elternabenden oder im Rotary Club - immer häufiger verengen sich Debatten und Konflikte auf befriedende Gemeinplätze. Unechtes Reden breitet sich im Land wie Nebel aus, weil immer mehr Menschen nicht sagen, was sie denken, sondern sagen, was sie glauben, das man denken sollte.

Wenn sich aber eine Gesellschaft zwanghaft auf einem Quadratmillimeter Meinungs-Mitte versammelt, dann wird es intellektuell und emotional ziemlich eng. Was bleibt ist das hohle Pathos der Selbstverständlichkeit. Dann empfindet man kantige Freidenker wie Steinbrück, Guttenberg oder Westerwelle eben als Menschen, die das Fenster öffnen und frischen Wind hereinlassen.

Cicero

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