Anzeige

Selbstbefriedigung Sex - an und für sich

Selbstbefriedigung muss heute kein Tabu mehr sein
Selbstbefriedigung muss heute kein Tabu mehr sein
© teksomolika/GettyImages
Selbstbefriedigung macht Spaß und ist die einfachste Art, einen Orgasmus zu erleben. Sie bereichert das Liebesleben, auch von glücklichen Paaren.

Die meisten Praktiken der Liebe werden viel und gern auch öffentlich diskutiert: Zweier, Dreier, alle erdenklichen Stellungen, hetero, homo oder bi. Nur der Sex im Alleingang, die kleine Lust mit sich selbst, findet nach wie vor oft im Verborgenen statt.

Ein Tabu, das Männer und Frauen brechen. Sie erzählen, wie sie sich selbst befriedigen, wie es sich am schönsten anfühlt, wann sie es am liebsten tun und was sie dabei denken. Sie reden ohne Scham und Scheu, und das ist ungewohnt, neu, auch befremdlich, denn von den Wonnen in diesem intimsten Winkel der Sexualität spricht man - eigentlich - nicht. Dabei ist die Selbstbefriedigung die erste und häufigste Art von Sex, die Menschen im Laufe ihres Lebens betreiben. Auch die unkomplizierteste, denn diesen Lustgarten hegt der Besitzer ganz allein, ohne fremde Erwartungen, ohne Zwang zur Rücksicht, ohne Leistungsdruck. Die Onanie ist die einfachste und zuverlässigste Art, einen Orgasmus zu bewirken. Mögen Partnerschaften zerbrechen, Bettgenossen kommen und gehen - die eigenen Hände bleiben einem treu.

Eigenständige Spielart der Sexualität

Selbstbefriedigung ist weit verbreitet. Umfragen zufolge masturbieren 94 Prozent aller Männer und 85 Prozent der Frauen regelmäßig - jung wie alt, egal, ob gebunden oder nicht. Eine vergleichende Untersuchung der Abteilung für Sexualforschung an der Universität Hamburg unter 12.000 Studenten verzeichnete in den vergangenen Jahrzehnten einen Anstieg um 22 Prozent bei den Männern; die Zahl der Frauen, die sich bekennend selbst befriedigen, verdoppelte sich sogar. Die Masturbation, so befindet Studienleiter Professor Gunter Schmidt, wurde offenbar neu entdeckt. Männer tun es zwar immer noch häufiger als Frauen, doch letztere ziehen nach. Die Onanie hat das Stigma der Ersatzbefriedigung verloren - sie gedeiht weitgehend unabhängig neben dem Sex zu zweit.

70 Prozent der Männer und 90 Prozent der Frauen erleben die Selbstbefriedigung als eigenständige Spielart der Sexualität. Die Hälfte aller Männer macht es sich, auch in festen, glücklichen Beziehungen, mindestens einmal pro Woche selbst. "Früher war das ein Entsorgungsakt", sagt Sexualforscher Schmidt, "heute wird es auch als Ressource genutzt, die Partnerschaft zu intensivieren oder mit sich selbst etwas Lustvolles anzufangen."

Vorlagen liefert die Fantasie

Bei Frauen wird die Eigenlust durch ein befriedigendes Paarleben sogar noch befördert. Gerade wenn sie in glücklichen Beziehungen leben, können viele Frauen sehr lustvoll masturbieren. Wenn sie dagegen traurig sind, etwa wegen einer Trennung, haben sie eher Probleme damit. Viele Frauen berichten, direkt nach dem Höhepunkt beim Geschlechtsverkehr noch einmal zu onanieren. Die Frauen genießen es: Weil es so schön war, wollen sie das Gefühl in Gang halten, einfach so, kurz vorm Einschlafen.

Die reizvollsten Vorlagen liefert dabei die Fantasie: die schönsten Frauen, die glamourösesten Männer - im Hirn ist alles möglich. Auch das ist ein Grund dafür, dass Masturbation und Partnersex so friedlich koexistieren können. Männer, die es mit sich selbst treiben, sind in Gedanken angeblich meistens bei ihrer Traumfrau; Frauen dagegen vor allem bei sich selbst und ihren intimsten Empfindungen. Aber auch Sex mit Fremden, schwule und lesbische Begegnungen, Inzest, Vergewaltigung, Prügelszenen dienen als virtuelle Vorlage - mit realen Wünschen hat das Kino im Kopf nicht unbedingt zu tun.

Training für den Beckenboden

Sich selbst zu lieben, befriedigt und ist zudem gesund. Jeder Orgasmus trainiert den Pubococcygeus-Muskel im Beckenboden zwischen Schambein und Anus. Das beugt Blasenschwäche vor und kann das sexuelle Erleben auf Dauer verstärken, denn diese Zone ist für die Weiterleitung der Erregung über die Nerven ins Gehirn zuständig. Der Orgasmus wirkt gegen Stress, Kopfschmerzen oder Regelprobleme.

Vom lustvollen Solo profitiert auch das partnerschaftliche Liebesleben: Die Psychotherapeutin Eva Poluda-Korte hält die Handarbeit für die wichtigste Einstimmung auf den Sex à deux, weil "die Kommunikation mit sich selbst" den Menschen erst reif für den erfolgreichen Paarlauf mache. "Wer nicht onanieren kann, kann nicht selbstständig denken. Denn begreifen", meint die Kölnerin, "ist doch auch ein körperlicher Vorgang."

Der erste Orgasmus geschieht oft allein

Was das Begreifen angeht, holen laut Statistik vor allem die ganz jungen Frauen auf: Mit durchschnittlich 15 Jahren hat heutzutage die Hälfte die Lustbarkeit ihrer Körper erkundet, fast acht Jahre eher als in den Sechzigern. Beim ersten Sex mit einem Mann kennen die Teens bereits ihre erogenen Zonen, ihre Klitoris, ihre Erregbarkeit, ihren Orgasmus, haben vielleicht schon einen Dildo ausprobiert. "Heute begegnen sich beim ersten Sex zwei Menschen, die beide Orgasmuserfahrungen haben. Auch die Frauen haben jetzt ihr Skript im Kopf", lobt Sexualwissenschaftler Schmidt. Weil die Sexualität auf diese Weise stärker von Frauen, ihren Grenzen, Wünschen und Erfahrungen mit dem eigenen Körper geprägt werde, sei sie weiblicher geworden. Die Selbstbefriedigung als gewaltiges Sozialisierungsprogramm.

Und als Therapeutikum. Die erotische Selbstentdeckung kann auch ein Weg zu den eigenen Wünschen sein, zu verborgenen Verletzlichkeiten und verschütteten Erfahrungen. Eine Expedition, auf die Therapeuten ihre Patientinnen bisweilen schicken, auch wenn diese mit vermeintlich körperfernen Leiden wie Depressionen zu ihnen kommen. Die Wiederentdeckung des eigenen Körpers und Begehrens durch die Onanie und das Spiel mit der eigenen Erregung kann für die Frauen ein Schlüssel sein, um wieder gesund zu werden. Auch Hausaufgaben helfen: sich selbst betrachten, berühren, sich vor dem Spiegel erregen. Das ist ein Bereich, über den die Frauen enorm an Selbstbewusstsein und Selbsterkenntnis gewinnen können. Manchmal führt das fast zu einer Neuentdeckung: Da ist ja noch was an mir, was funktioniert. Bis ins hohe Lebensalter sogar.

Ältere Frauen spüren Handlungsbedarf

In einer Studie gab ein Fünftel der befragten Damen über 60 an, den ersten Orgasmus jenseits der 40 oder 50 gehabt zu haben - durch Onanie. Drei Viertel der Frauen streichelte sich bisweilen, fast die Hälfte hatte erotische Träume. "Ich habe immer gedacht, eigentlich ist das ein Privileg der Männer", bekannte eine 73-Jährige. "Anfangs fühlt man sich eher schlecht dabei, aber wenn man anfängt zu erkennen, dass es schön ist und dieses Gefühl zu akzeptieren beginnt, wird es immer schöner. Das Herz schlägt schneller, der Kreislauf kommt in Gang. Man fühlt sich gut, wenn es klappt."

Viele ältere Frauen verspüren Handlungsbedarf: Während das männliche (auch das ehemännliche) Begehren jenseits der Twen-Jahre stetig nachlässt, gelangt die Lust der Frauen oft erst mit Ende 30 an ihren Höhepunkt und hält sich dort bis kurz vor das Rentenalter. "Die Männer rennen einem ja nicht die Tür ein", erklärt die Wiener Autorin Renate Daimler, die in ihrem Buch "Verschwiegene Lust" den Leidenschaften älterer Frauen nachgegangen ist. "Selbstbefriedigung ist dann natürlich ein großes Thema." Eine Seniorin aus dem Altenheim bat Daimler verschämt, ihr doch heimlich einen Vibrator zu besorgen.

Selbstbefriedigung galt als Sünde

So schön, so schamvoll. "Viele von uns", schreibt der amerikanische Arzt und Therapeut Edward L. Rowan in seinem Buch über Onanie ("Schamlos eigenhändig", Pieper Verlag), "fühlen sich körperlich sehr wohl, wenn sie es sich selbst besorgen - gefühlsmäßig dagegen ziemlich mies." Kein Wunder, denn die Geschichte der Onanie ist alles andere als eine Schule der Lust. Den Kirchenvätern galt das Spiel mit sich selbst von jeher als "Sünde gegen die Natur" (Thomas von Aquin). Und auch die großen Denker bedachten die Selbstbefriedigung zumindest in der Theorie nur mit Gift und Galle. Als "wohllüstige Selbstschändung" geißelte sie der ewige Junggeselle Immanuel Kant, als Verletzung der Pflicht wider sich selbst, schlimmer noch als Selbstmord oder vorehelicher Verkehr.

Pickel, Verdummung, Schwäche, Verdauungsprobleme: Im 18. Jahrhundert wurde die Masturbation (von manustupratio = Schändung mit der Hand) für beinahe jedes Gebrechen verantwortlich gemacht. Ein Londoner Arzt namens Bekkers schwadronierte in seinem Werk "Von der Onanie oder jener abscheulichen Sünde der Selbstbefleckung und all ihren gar erschröcklichen Folgen für beide Geschlechter". Der Schweizer Doktor Auguste Simon André David Tissot prophezeite den armen Sündern 1758 bisweilen einen jämmerlichen Tod. Der Samen flösse durch die Nervenbahnen, glaubte Tissot. Würde man ihn vergeuden oder in einem Zustand der Erregung unbedacht ausdünsten, trockneten die Nerven ein. Wann immer jemand auf unerklärliche Weise das Jenseits erreichte - die Onanie war daran schuld.

Noch heute haben viele Schuldgefühle

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts meldete ein findiger Geist das Patent für eine Masturbationsalarmanlage an: Bewegte sich das Kinderbett verdächtig, bimmelte es im Elternschlafzimmer. Noch 1969 befindet das "Moderne Lexikon der Ehe" über den Umgang mit dem masturbierenden Nachwuchs: "Beim Übermaß wird der Arzt leicht gewürzte Kost, Schlaf auf hartem Lager, dazu viel Spiel und Sport im Freien verordnen, damit die angeregte Fantasie durch den müden Körper zum Schweigen gebracht wird." Erst in den 50er Jahren sprach der Kinsey-Report die Onanie endlich frei, und 1972 wurde sie von der American Medical Association für normal erklärt.

Die lange Verdammung zeigt auch hierzulande Nachwehen. Fast jedem vierten Jugendlichen zwischen 12 und 16, der sich Rat suchend an das Dr. Sommer-Team der Zeitschrift "Bravo" wendet, bereitet die Eigen-Lust Probleme: "Da geht es noch immer darum, ob es schädlich ist, wie oft man es täglich machen darf und ob man wirklich nur begrenzt Samen habe", erzählt Diplom-Sozialpädagogin Margit Tetz, einstige Leiterin des Teams. "Die Schuldgefühle der Mädchen drücken sich aus in Fragen wie der, ob starke Blutungen oder Ausfluss von ihrer Selbstbefriedigung kommen können. Oder es heißt: "Am Tag, nachdem ich onaniert habe, passiert mir immer etwas Komisches." Bravo tröstet, Bravo beruhigt. Noch 1972 hatte die Bundesprüfstelle ein Heft mit einem wohlwollenden Artikel über Onanie auf den Index gesetzt.

100 Tote durch Selbstbefriedigung - jährlich

Doch uneinhellig begrüßt wird der entspannte Umgang mit der Lust am Selbst immer noch nicht. So warnte etwa der Berliner Soziologe Alexander Schuller vor einer "Onanisierung der Sexualität". Und der Marburger Kulturwissenschaftler Karl Braun gab zu bedenken: "Wir befinden uns an einem Punkt der Geschichte, wo der Partner eigentlich wegfällt. Das wird uns als große Freiheit verkauft. Tatsächlich bleibt man doch gefangen in der großen Obsession der Selbstbefriedigung."

Wenigstens die Industrie freut sich darüber: Pornos, Puppen, Sextoys. Geiles Gestöhne beim Telefonsex, digitale Scharfmacher im Internet - Milliarden werden mit den Solo-Akten daheim verdient. Jedes Jahr kommen 100 Männer durch ungeschickte Handhabung von Hilfsmitteln um: durch Glühbirnen im After, Batterien oder Wäscheleinen in der Harnröhre, durch allzu stramm geratene Selbstfesselungen oder Staubsauger, in die der Penis leider allzu nah am Ventilator gesteckt wurde.

Auch Tiere tun es

Von fehlgeleiteten Trieben kann aus Sicht der Biologie jedenfalls nicht die Rede sein: Onanie, fanden Forscher, ist offenbar ein Naturgesetz. Da reibt ein Affenpascha inmitten seines Harems munter sein Glied, ein Nashornbulle klatscht seinen Penis gegen seinen eigenen Bauch, ein Elefant saugt mit seinem Rüssel an seinem Genital, und Schimpansinnen knabbern an Holzstücken, bis sie genau in ihre Scheide passen. Der Anthropologe und Verhaltensforscher Volker Sommer vermutet, dass sich die gesamte höhere Fauna gelegentlich dem eigenen Genital zuwendet.

Nicht nur aus Spaß an der Freud allerdings, vermuten Experten: Männchen, die sich selbstbefriedigen, könnten beim nächsten Verkehr besonders frischen und leistungsfähigen Samen verspritzen, behaupten die britischen Biologen Robin Baker und Mark Bellis. Weibchen wiederum hielten ihre Scheidenmuskeln fit und die Vaginalsekrete als Transportmasse für den Samen im dauerfrischen Zustand. Das gilt nicht nur für Affen. Laut Baker und Bellis kann eine Frau, die mit unterschiedlichen Männern schläft, durch Onanie sogar beeinflussen, wessen Samen bei ihr das Rennen macht: Schläft sie montags mit dem einen, masturbiert am Mittwoch und hat am Freitag Verkehr mit dem zweiten Mann, bewirkt ihr Mittwochsintermezzo, dass der Samen vom Montag reaktiviert wird. Pech für Freitag.

Aber das ist biologische Theorie. In der Praxis tun es Menschen wohl vor allem deshalb, weil es schön ist. Unter der Bettdecke wandern die Hände; über der Bettdecke ruht der Mantel des Schweigens. Auch dem Partner gegenüber. "Dem", glaubt Sexualforscher Schmidt, "kann man heute eher sagen: Es gibt da noch einen Bereich meiner Sexualität, der nur mir gehört." Therapeuten wundern sich deshalb oft darüber, wie viele Männer ihre Frauen zum Selbstbefriedigen ermuntern. Was ein gutes Rezept ist, Frauen den Spaß daran zu vermasseln, glauben einige. Masturbation sei in erster Linie ein ganz privater Bereich, etwas ganz Intimes. Ein kleines Naturschutzgebiet sozusagen. Öffentlich meist schwer zugänglich.

VG-Wort Pixel