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Generation Praktikum:Mehr Mut, mehr Wut

Ach, ihr armen, ausgebeuteten Berufseinsteiger: Hört auf, euch als Opfer zu sehen.

Steffen Kraft

Einen Satz kann Markus Kreipl auf Partys nicht mehr hören: "Ich mache gerade ein Praktikum." Wenn einem Gast die Worte doch über die Lippen kommen, nickt er meistens nur und nippt dann still an seinem Bier. Kreipl, der zurzeit seine Diplomarbeit in Betriebswirtschaftslehre schreibt, würde nie ein Praktikum machen. Der 24 Jahre alte Hamburger hat sich zum Boykott entschlossen: Er arbeitet für Unternehmen nur gegen Bezahlung. Gibt es kein Geld, macht er keine Arbeit. So einfach ist das. Scheinbar. Denn nicken und nippen muss Markus Kreipl auf Partys häufig. Er ist ein Einzelfall. Und das ist ein Problem.

Mai-Demo, Berlin

Ausweg Aufstand? Mai-Demo in Berlin.

(Foto: Foto: ddp)

Am Tag der Arbeit haben Gewerkschafter und die Cord-Sakko-Träger der Praktikanten-Initiativen das Lied vom armen, ausgebeuteten Berufseinsteiger angestimmt. Das Lied handelt von jungen, motivierten Arbeitskräften, die beinahe unentgeltlich prekäre Jobs erledigen und damit Vollzeitarbeitnehmern, die nicht selten sie selbst sein könnten, den Arbeitsplatz wegnehmen. An dem Song ist einiges wahr. In erster Linie aber tröstet er Betroffene wie Arbeitnehmer gleichermaßen. Schließlich zeigt er, dass man nicht allein und also ganz normal ist in seiner Angst und dem ständigen Kampf um den nächsten Arbeitsvertrag. Wer aber nicht Trost sucht, sondern die Situation heutiger Berufseinsteiger verstehen will, muss sich Menschen wie Markus Kreipl vor Augen führen. Ausnahmen wie er erzeugen in der Tragikhymne des so genannten Prekariats aufschlussreiche Dissonanzen.

An Markus Kreipls Einzelstellung zeigt sich: Anders als die durchaus rebellische Génération Précaire in Frankreich scheint die deutsche Generation Praktikum kein Protest-, geschweige denn Veränderungspotenzial zu besitzen. Der Hamburger Soziologe Gerhard Stapelfeldt erklärt das so: "Die Jungen haben den Individualismus, den der Markt von ihnen fordert, vollständig internalisiert." Könne sich der Einzelne nur dann durchsetzen, wenn er eine Unternehmermentalität ausbilde, erscheine kollektives Handeln von vorneherein sinnlos.

Dass das Reden von der Generation Praktikum trotzdem einen solchen Aufschwung erlebt, zeigt ein Bedürfnis, die individuellen Erfahrungen kollektiv auszudrücken. Nur ist das Kollektiv viel kleiner, als die Reden glauben machen: Im Grunde handelt es sich um die eng begrenzte Klasse der Akademiker Ende 20, Anfang 30. Laut einer Studie der Schweizer Prognos AG entspannt sich der Arbeitsmarkt von 2015 an, weil sich die wachsende Zahl der Alten langsam in die Rente verabschiedet. Anders gesagt: Sollte die Politik nicht alles falsch machen, wird der heute 20 Jahre alte Studienanfänger in zehn Jahren ein gefragter Arbeitnehmer sein.

Schon heute können sich die meisten Nicht-Akademiker jahrelange Dauerpraktika gar nicht leisten und versuchen das auch nicht. Neuerdings soll daher die Wortschöpfung ¸¸Prekariat" die Verbundenheit aller prekär Arbeitenden betonen. Zweifel, ob es sich dabei um mehr als einen Agitationsbegriff handelt, schürt freilich die Tatsache, dass die Bewegung ihre Wortführer aus dem Mittelstand bezieht. Der Ton, den sie anschlagen, findet sich schon in dem 2003 erschienenen Kursbuch über "Die 30-Jährigen". Die Journalistin Stefanie Flamm beschreibt darin ihre "erste Entlassung" und den Start als Freiberuflerin mit den Worten: "So muss sich Arbeitslosigkeit anfühlen, dachte sie. Es war kein schönes Gefühl." Dann ist Schluss. Eine Reflexion? Eine Reaktion? Fehlanzeige.

Mehr Mut, mehr Wut

Zu Zeiten, als es noch so etwas wie eine Bohéme gab, entwickelte sich in den Außenposten des Bürgertums eine Kultur, die aus der Unsicherheit wenigstens noch kreative Energie zog. Heute treffen die Jungen die Unsicherheit innerhalb des Systems an. Mit dem Gefühl, sich in eine Nische zurückziehen zu können, haben sie auch die Utopie verloren, dass es eine Kultur jenseits dieses Systems geben, dass Arbeit nur das halbe Leben sein könnte. "Und alle unsere Geistesgaben kommen gar nicht mehr zum Tragen, weil wir schon seit jungen Tagen, so gar keinen Ehrgeiz haben, unsere Haut zu Markt zu tragen", singt die Berliner Band Britta. Das Problem an diesem Ton ist nicht, dass er bei aller Frechheit etwas larmoyant klingt, sondern dass er sich in die Rolle des Opfers flüchtet - und verhindert, dass sich die prekär Beschäftigten noch als Handelnde begreifen.

Selbstverständlich gibt es diejenigen, die keine Wahl haben, die trotz allen Engagements von einem Job zum anderen springen müssen. Die, obwohl hoch qualifiziert und motiviert, schlicht nicht gebraucht werden. Doch gerade diese Gruppe bräuchte einen Mentalitätswechsel unter den urbanen Freiberuflern am dringendsten. Ein neuer Habitus könnte darin bestehen, dass die Betroffenen Praktika nicht mehr als universale Platzhalter in ihrer Erwerbsbiografie ansehen, sondern als Mittel zu einem selbst gesetzten Zweck. Dann führten Partygespräche über Praktika nicht mehr nur zu Nicken und Nippen, sondern zur Frage, was eine Hospitanz denn nütze - ob sie einen Job, neue Kontakte, Lern- oder - wichtiger noch - Lebenserfahrung brächte. Die Antwort wäre oft negativ. Und in dieser Erfahrung liegt eine Chance.

Den wirklich Ungebrauchten würde sie vom Stigma entlasten, ein Versager zu sein, wenn er seine Energie nicht länger mit unnützen Praktika verschwenden will. Den Anderen führte sie dagegen vor Augen, was die Berufsberaterin Uta Glaubitz als die eigentlichen Probleme der Angehörigen der Generation Praktikum ansieht: Orientierungslosigkeit bei gleichzeitiger Unerbittlichkeit mit sich selbst. Glaubitz hat den ersten Bewerbungsberater speziell für die "Generation Praktikum" geschrieben. Er erscheint Mitte Mai im Heyne Verlag. Glaubitz sagt: "Noch heute nutzen die meisten die Zeit der Praktika als berufliche Pubertät." Statt sich Ziele zu setzen, probierten viele Praktikanten erst einmal alle möglichen Branchen aus - und jammerten dann, sie bekämen keinen Traumjob. "Dabei braucht man dafür erst einmal einen Traum", sagt Glaubitz. Und die Erkenntnis, dass es im Berufsleben auch Rollen jenseits vom "Opfer des Arbeitsmarkts" und dem "Held der Arbeit" gibt, der einen kreativen, familientauglichen Beruf inklusive privater Rentenvorsorge hat. Denn das ist das zweite Problem. Selbst wer sich seinen Traum nicht erfüllen kann, ist nicht sofort Opfer, sondern zunächst nur gewöhnlich. Dieses Bewusstsein scheint manchem Party-Praktikanten abhanden gekommen zu sein.

Den prekär Beschäftigten bleiben im Grunde zwei Möglichkeiten: mehr Mut und mehr Wut. Ein angesichts der Lage paradoxes Selbstbewusstsein gegenüber den Arbeitgebern. Und der Keim eines Willens, nicht nur durchzukommen, sondern die Arbeitsverhältnisse zu verändern.

Es ist unwahrscheinlich, dass sich die prekär Beschäftigten zu einer neuen sozialen Bewegung schmieden lassen, wie manche Redner am 1. Mai hofften. Allerdings könnte die Wut der Prekaristen dazu führen, dass sich Leute wie Markus Kreipl von Einzelfällen zu einer Minderheit entwickeln. Schon das brächte mehr Unternehmen dazu, Praktikantenjobs in reguläre Arbeitsstellen zu verwandeln als das heute verbreitete Klagen.

In ihrem Bewerbungsbuch empfiehlt sogar Berufsberaterin Uta Glaubitz, sich nach etwa drei Praktika selbst eine Kündigung zu schreiben. Etwa so: "Wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Sie wegen Überqualifikation nicht weiter als Praktikantin beschäftigen können. Wir kündigen daher Ihren Aushilfsstatus zum 30. März und schlagen Ihnen vor, sich nun eine richtige Stelle zu suchen." Das ist vielleicht keine Lösung, aber ein Anfang.

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