(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Studie: Professor hält 132 Euro Hartz IV für ausreichend - WELT
Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. Studie: Professor hält 132 Euro Hartz IV für ausreichend

Wirtschaft Studie

Professor hält 132 Euro Hartz IV für ausreichend

Essen von Aldi, Schuhe vom Resteladen, Möbel aus dem Billig-Shop: Dieses Niveau reicht Arbeitslosen zur Sicherung des Existenzminimums – meinen zwei Forscher aus Chemnitz. Den gültigen Hartz-IV-Satz von 351 Euro finden die Experten zu hoch. Vertreter der Arbeitslosen sind empört.

Zwei Chemnitzer Wirtschaftsforscher sorgen für Aufsehen. Sie haben berechnet, wie hoch die soziale Mindestsicherung in Deutschland sein muss. Auf der Basis eines Warenkorbs errechneten sie den Bedarf von Arbeitslosen sehr viel niedriger als den Regelsatz nach Hartz IV, der in Deutschland zurzeit 351 Euro pro Person monatlich beträgt.


Friedrich Thießen, Professor für Finanzen an der Technischen Universität Chemnitz, und sein Kollege Christian Fischer halten laut ihrer Studie dagegen 132 Euro Arbeitslosengeld II im Monat für das Minimum einer Existenzsicherung. Infrage stellen die beiden Wissenschaftler die Berechnung der geltenden Hartz-IV-Sätze. „Tatsächlich erhalten die Sozialleistungsempfänger aber mehr als das Existenzminimum, nämlich einen Lebensstandard, der sich an dem der arbeitenden Bevölkerung orientiert“, schreiben Thießen und Fischer.

Sie nehmen für ihre Studie den Fall eines arbeitslosen, gesunden erwachsenen Mannes („Körpergröße 1,70 m, Gewicht 70 kg“) mit „deutschen Verbrauchsgewohnheiten“ an. Dann gehen sie mit diesem Modellmann einkaufen: Sie simulieren einen durchschnittlichen Monat, in dem der Hartz-IV-Empfänger ausschließlich seinen notwendigen Bedarf deckt.


Das heißt im billigsten Fall: Essen holen bei Aldi, gelegentlich Kleidung und Schuhe aus dem Restpostenladen oder bei Billigketten, seltener Möbel aus dem Ein-Euro-Laden oder dem Baumarkt. Für Freizeit, Unterhaltung und den Besuch von Kultur gestehen die Forscher Arbeitslosen gerade einen Euro pro Monat zu. Geld für Zigaretten, Bier und Schnaps sollen sie nicht mehr vom Staat bekommen.

Die Finanzexperten ermitteln außerdem einen Bedarf im Maximumfall und nehmen dafür Preise aus Supermärkten, Kaufhäusern und Fachgeschäften zur Grundlage. Auch dabei kommt die Studie mit 278 Euro monatlich auf einen Betrag, der unter dem heutigen Hartz-IV-Standard liegt – nicht eingerechnet Wohnungskosten, die beim ALG II zusätzlich erstattet werden.


Das Fazit: Die Sozialleistungen in bisheriger Höhe halten die Forscher für ungerechtfertigt. Sie fordern eine Debatte in Deutschland über die Höhe der Regelsätze. Insbesondere stellen sie den Begriff „kulturelles Existenzminimum“ infrage. Dieser definiert den Finanzwissenschaftlern zufolge mehr Bedürfnisse, als nötig wären – wie die Teilhabe an Kulturgenüssen. Dafür muss der Staat, so die These, den Arbeitslosen kein Geld bereitstellen.

In den vergangenen Monaten ist die Debatte häufig anders herum geführt worden. Arbeitslosenverbände haben kritisiert, dass der Hartz-IV-Satz nicht zum Leben ausreicht. Sie führen an, dass sich viele Erwerbslose extra Ausgaben wie für gelegentliche Kinobesuche längst nicht mehr leisten können. Anschaffungen wie die Erstausstattung eines Kindes zur Einschulung reißen dann ein Loch in die Haushaltskasse.

Gewerkschafter haben deshalb einen höheren Regelsatz von 420 Euro ins Gespräch gebracht. Andere Politiker, darunter der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin, rechneten dagegen öffentlich vor, dass Hartz IV völlig ausreichend sei. So veröffentlichte Sarrazin seinen viel diskutierten Hartz-IV-Speiseplan und empfahl jüngst ärmeren Menschen angesichts steigender Energiepreise, im Winter eben öfter mal einen dicken Pullover in der schlechter beheizten Wohnung überzustreifen.

So weit geht die Bundesregierung der großen Koalition nicht. Sie will den gültigen Regelsatz von 351 Euro nicht antasten. „Der Satz repräsentiert den Bedarf der unteren 20 Prozent der Einkommen in den Haushalten, die Sozialhilfeempfänger herausgerechnet. Das ist der Maßstab für uns“, sagt Christian Westhoff, Sprecher des Bundesarbeitsministers Olaf Scholz (SPD). Dabei orientiere sich der Beitrag an den durchschnittlichen Ausgaben.

Anzeige

Die Berechnungen der Chemnitzer Forscher hätten nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun. „Die Leute gehen eben nicht nur bei Aldi oder Rudis Resterampe einkaufen“, sagt der Sprecher. Im Ministerium heißt es weiter, Hartz IV solle auch dazu dienen, die Empfänger mit eigenem Geld verantwortlich wirtschaften zu lassen. Daher müsse der Regelsatz eine gewisse Höhe haben. Ein Leben „in Saus und Braus“ sei davon jedenfalls nicht möglich.

Bernhard Jirku, bei der Bundeszentrale der Gewerkschaft Ver.di für Erwerbslose zuständig, hält die Chemnitzer Studie für unseriös. „Die Professoren sollen das Leben mit 132 Euro Hartz IV mal sechs bis zwölf Monate durchziehen. Ich bin sicher, danach überarbeiten die beiden ihre Studie“, sagt Jirku.

Natürlich ließen sich die Ausgaben für Ernährung im Monat reduzieren, sagt der Gewerkschaftsmann. Doch die Folge sei eine stärkere Mangelernährung, wie sie kürzlich von Ernährungswissenschaftlern nachgewiesen worden sei. Und die Studie übersieht laut Jirku, dass der geltende Regelsatz auch 50 Euro beinhaltet, den die Hartz-IV-Empfänger für notwendige größere Ausgaben zurücklegen sollen.

Betroffene berichteten der Gewerkschaft, dass in der Regel irgendwann mitten im Monat das Arbeitslosengeld alle sei. Wer noch Kinder zu versorgen habe, frage sich ständig, wie er über die Runden komme. Jirku sagt: „Da werden die Tage bis zur Überweisung gezählt, bis endlich wieder Geld vom Amt auf dem Konto ist.“

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema