Die Jungen hatten sich die Münder mit Tesa zugeklebt, die Älteren marschierten mit Transparenten, auf denen nichts zu lesen stand: In Budapest wird wieder demonstriert; und zwei Jahrzehnte nach dem Fall des Kommunismus und eine Woche, bevor Ungarn die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernimmt, geht es wieder um die Pressefreiheit.

Denn die, so die Demonstranten, sei massiv bedroht durch das neue Mediengesetz, das die rechtskonservative Regierungspartei Fidesz in der Nacht zum Dienstag mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament verabschiedet hat. "Ein völlig europäisches Mediengesetz", wie Premierminister Viktor Orbán kundtut. Ein Maulkorb-Erlass für kritische Journalisten, wie nicht nur die etwa 1500 Zugeklebten in den Budapester Straßen, sondern auch die Oppositionsparteien meinen. Dunja Mijatović, die Medienbeauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), spricht von einer Gesetzeslage, wie man sie sonst nur von autoritären Regimen kennt.

Tatsächlich bietet das neue Gesetz der Regierung ab dem 1. Januar 2011 die Möglichkeit, nach eigenem Belieben nicht nur die staatlichen, sondern auch private Medien und das Internet zu kontrollieren. Diese Aufgabe kommt der neu geschaffenen Medienbehörde NMHH zu. Sollte diese künftig in der Berichterstattung etwas entdecken, das sie als Verstoß gegen allgemeines Interesse oder gegen öffentliche Sitten betrachtet, kann die Behörde Geldstrafen verhängen. Sie verfügt dabei über sehr großen Ermessensspielraum.

Was als allgemeines Interesse gilt, ist nicht genau definiert – man kann es sich aber ungefähr vorstellen: Vorsitzende der Behörde ist Annamária Szalai, eine Orbán-Vertraute. Sie wurde vom Regierungschef auf neun Jahre ernannt; die Macht der neuen Behörde wurde in der Verfassung verankert. "Allein die Höhe der Strafen könnte existenzbedrohend werden und dafür sorgen, dass wir nur schreiben können, was Orbán gefällt", kritisierten mitmarschierende Journalisten. Bei Print- und Onlinemedien können es umgerechnet bis zu 90.000 Euro sein, bei Rundfunksendern bis zu 700.000.

Auch strukturell wird der Mediensektor Ungarns umgekrempelt: Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt alles unter ein Dach. Bisher getrennte Sendeanstalten wurden zusammengelegt, fast alle Journalisten im öffentlichen Bereich arbeiten künftig für die gleiche Agentur. Die Spitzenpositionen in der neu geschaffenen Dachgesellschaft werden fast zur Gänze von – man ahnt es – Fidesz-Leuten besetzt.

Ungarn-Kenner wie der Wiener Publizist Paul Lendvai fürchten, die Regierung habe nun alle Möglichkeiten, die öffentliche Meinung zu steuern. "Das ist ein Schritt in Richtung Weißrussland", so Lendvai. Ähnlich äußerte sich der frühere Premier Ferenc Gyurcsány: "Sie nehmen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Recht, seine eigenen Nachrichten zu produzieren", sagte der Sozialist. "Leute, das ist doch wie im Lukaschenko-Land".