Westerwelles Kronprinz – Seite 1

Eigentlich wollte Philipp Rösler gar nicht Bundesminister werden, zumindest diesmal noch nicht. "Mit Händen und Füßen" habe er sich gegen seine Nominierung gewehrt, heißt es aus FDP-Kreisen. Rösler selbst will das nicht so ganz bestätigen. "Bis Freitagmittag" habe er "eine andere Lebensplanung" gehabt, sagt er lächelnd 24 Stunden später.

Rösler steht in einem großen Saal im Reichstag. Die FDP hat hier gerade ihre Fraktionssitzung abgehalten. Der Parteichef und künftige Außenminister Guido Westerwelle hat die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen vorgestellt und die Personalentscheidungen begründet. Vor Rösler hat sich eine lange Schlange Gratulanten gebildet. Alle wollen dem künftigen Gesundheitsminister und jüngsten Mitglied des Kabinetts auf die Schulter klopfen.

Geduldig nimmt Rösler die Glückwünsche entgegen. Nicht weit entfernt steht Hermann Otto Solms. Er steht allein da und schaut ein wenig eifersüchtig herüber. Solms war Chefunterhändler der FDP bei dem für sie so wichtigen Thema Finanzen. Nun ging er leer aus im Postenpoker, obwohl er gerne Finanzminister geworden wäre. Als ihn später doch noch ein Journalist anspricht und fragt, warum er nicht im Kabinett sei, antwortet Solms, leicht gallig: Es könne hier ja nicht jeder ein Ministeramt bekommen.

Rösler hingegen, bisher Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident in Niedersachsen und trotz seiner jungen Jahre politisch schon sehr erfahren, sollte unbedingt eines bekommen. Das war Westerwelle wichtig. Am Vormittag vor der Bundespressekonferenz ist Rösler der einzige in der FDP-Ministerriege, den der Parteichef explizit als künftigen Leistungsträger hervorhebt: "Er wird Schwung in die Sache bringen." Später, nach der Fraktionssitzung, wird Westerwelle wieder gefragt: Warum Rösler? Er sei der richtige, um "in der verkrusteten Gesundheitspolitik" etwas zu bewegen.

Das hätten schon die Koalitionsverhandlungen gezeigt, berichten andere FDPler. Trotz seiner erst 36 Jahre habe er dort eine hervorragende Figur gemacht. Kompetent, charmant und hellwach sei Rösler aufgetreten. Dennoch habe er nicht davor zurückgescheut, sich mit den Platzhirschen der beiden christdemokratischen Parteien anzulegen. Einmal widersprach Rösler öffentlich Ursula von der Leyen, als diese verfrüht einen Kompromiss in der gemeinsamen Arbeitsgruppe verkündet hatte. Von der Leyen, die gern Gesundheitsministerin geworden wäre, musste zurückrudern. Einmal sprach er von "Halbstarken", von denen er sich nicht beeindrucken lasse. Das ging in Richtung CSU. 

Aber der junge Liberale ist nicht nur ein unerschrockener Verhandler, wie auch die niedersächsische CDU zu berichten weiß. Er bringt als gelernter Arzt auch mehr Fachkenntnis mit als viele seiner Amtsvorgänger. Rösler behauptet zwar von sich gern, er sei ein "schlechter Arzt" gewesen, deshalb sei er in die Politik gewechselt. Aber das ist eher selbstironisch gemeint. Westerwelle mag Koketterie. 

Und, auch das stimmt an Westerwelles Loblied: Rösler ist ein pfiffiger, kluger Redner. Auf vielen FDP-Parteitagen freuen sich die Delegierten schon regelrecht auf seine Auftritte, weil er sich von manchen drögen Kollegen wohltuend abhebt. Bei ihm ist die Lach- und Klatschdichte so hoch wie bei keinem zweiten FDP-Politiker. Westerwelle kalkuliert wohl zu Recht darauf, dass er auch die Hauptstadtjournalisten für sich einnehmen wird.

 

Schlagfertigkeit, Unerschrockenheit, auch die Tatsachse, dass der in Vietnam geborene Rösler Deutschlands erster Bundesminister mit Migrationshintergrund ist – all das mag Westerwelle bewogen haben, ihn zu berufen. Hinzu kommt eine schlichte Machtabwägung. Westerwelle hat erkannt, dass für ihn in Rösler ein Gegenspieler heranwachsen ist. Den Applaus, den Rösler in diesem Jahr auf den Parteitagen in Hannover und Potsdam erhielt, war nicht zuletzt darin begründet, dass dieser an Westerwelles Kurs Kritik geäußert hatte. Höflich, aber dezidiert.

Die FDP dürfe nicht auf eine Steuersenkungspartei verengt werden, hatte Rösler mehrfach gesagt. Viele Parteianhänger werteten dies als Angriff auf den Parteichef. Was ihrem freundlichen Urteil keinen Abbruch tat. Im Gegenteil.

Rösler verkörpere mustergültig die nachwachsende Generation der FDP, sagt Johannes Vogel, Chef der Jungliberalen. Sein Verband hatte ein junges Kabinettsmitglied gefordert – und fühlt sich nun bestätigt. Rösler habe einen "eigenständigen Kopf", schwärmt Vogel. Ihm sei das soziale Profil der Partei wichtig. Er fordere eine Debatte zur Generationengerechtigkeit und ein neues Grundsatzprogramm (das aktuelle der FDP stammt aus dem Jahr 1997). All das stand für die Generation Westerwelle eher hinten auf der Agenda.

Insofern ist die Nominierung nicht nur Belohnung. Schließlich hat Rösler sich nicht aufgedrängt. Er hat sich in der Bundespolitik noch keine Sporen verdient – wie zum Beispiel der fast gleichaltrige Daniel Bahr,  der nun Röslers Staatssekretär wird. Er wäre vermutlich wirklich gern noch ein paar Jahre in Niedersachsen geblieben, um in Ruhe seine weitere Karriere vorzubereiten. Sondern die Nominierung lässt sich auch so verstehen: Hier wird ein aufstrebender Jungstar in die Kabinettsdisziplin eingebunden. Entweder er behauptet sich auf dem schwierigen und verminten Feld der Gesundheitspolitik – oder er scheitert daran. Aus beidem könnte Westerwelle Kapital schlagen.