Das Council des Weltverbandes IAAF hat beschlossen, die Gesamtrussische Leichtathletik-Föderation (ARAF) vorläufig zu suspendieren. Das wurde bei einer Telefonschaltkonferenz seiner 24 anwesenden Mitglieder bekannt. Damit darf der Verband bis auf Weiteres keine Sportler zu internationalen Veranstaltungen schicken. Russlands Leichtathleten droht somit der Ausschluss von den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro.

Grund für die Suspendierung ist ein umfassender Dopingskandal. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA wirft Russlands Verband flächendeckendes Doping und Korruption vor. 22 Council-Mitglieder des IAAF stimmten nach Bekanntwerden der Vorwürfe für den provisorischen Ausschluss des Verbandes, einer votierte dagegen. Der Russe Michail Butow durfte nicht mit abstimmen. "Das war ein beschämender Weckruf und wir sind uns einig, dass Betrug auf keiner Ebene toleriert werden wird", sagte IAAF-Präsident Sebastian Coe. Der Weltverband habe die derzeit härtest mögliche Strafe gegen den russischen Verband verhängt, hieß es in einer Mitteilung. Aber man sei sich einig, dass "das gesamte System nicht nur in Russland, sondern weltweit versagt" habe.

Trotz der Suspendierung seines Verbandes rechnet Russland mit der Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 2016. "Ich bin sicher, dass es gelingt, die Situation bis zu Olympia zu klären. In der russischen Leichtathletik gibt es weder mehr noch weniger Probleme als im Rest der Welt", sagte Sportminister Witali Mutko.

Die Probleme seien "lösbar", meinte Mutko der Agentur Interfax zufolge. "Wir setzen die Vorbereitungen auf Rio 2016 fort", sagte er. Er bekräftigte die Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit mit dem Leichtathletik-Weltverband IAAF.

Als Reaktion auf den Ausschluss kündigte das russische Sportministerium nach Angaben der Nachrichtenagentur Tass an, die gesamte Führungsriege des Leichtathletikverbandes zu entlassen. In drei Monaten solle es Neuwahlen geben. Bereits an diesem Sonntag treffen sich Sportminister Witali Mutko und der Vorstand des Leichtathletikverbands in Moskau zu einer Sondersitzung. 

IOC-Präsident zuversichtlich, was Reformen betrifft

Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Thomas Bach und Russlands NOK-Präsident Alexander Schukow haben sich nach einem Treffen zuversichtlich zu den notwendigen Reformen geäußert. Die Erneuerung müsse aber konsequente Schritte beinhalten. "Alle Offiziellen, Trainer und andere, die in Doping verwickelt sind, werden zur Verantwortung gezogen und bestraft", hieß es in einer am Samstag veröffentlichten Mitteilung des IOC. Außerdem: "Alle gedopten Athleten werden in Übereinstimmung mit den internationalen Anti-Doping-Regeln sanktioniert." Saubere Athleten würden geschützt.

Bach zeigte sich zuversichtlich, dass die vom russischen NOK vorgeschlagenen Initiativen dazu beitragen können, so schnell wie möglich die Befolgung der Anti-Doping-Regeln zu sichern. Dies sei eine Voraussetzung für die "Teilnahme der sauberen Athleten an den Olympischen Spielen".

Systematisches Doping und Korruption

Eine Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hatte zuvor in einem mehr als 300-seitigen Report ein großflächiges Doping- und Korruptionssystem in der russischen Leichtathletik angeprangert. Sie schlug daraufhin den Ausschluss des nationalen Verbandes aus der IAAF vor. Fünf Athletinnen, vier Trainer und ein Sportmediziner sollten zudem auf Lebenszeit gesperrt werden.

Dem Moskauer Dopingkontrolllabor war am Tag danach bereits die WADA-Akkreditierung zunächst für sechs Monate entzogen worden. Gegen zahlreiche russische Leichtathleten sind in diesem Jahr zum Teil Dopingsperren verhängt worden.

"Die jetzige Situation ist für die russische Nationalmannschaft traurig. Aber ich bin überzeugt, dass nicht alle Athleten über einen Kamm geschoren werden", sagte Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa. "Unschuldigen und unbeteiligten Sportlern die Teilnahme an internationalen Wettbewerben der IAAF oder den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro zu verwehren, ist ungerecht." Straftäter müssten sich für ihre Taten verantworten und Unschuldige die Möglichkeit haben, weiterhin würdig aufzutreten "und unser Land in allen Sportarenen der Welt zu repräsentieren." 2012 in London hatten die russischen Leichtathleten noch 18 Medaillen gewonnen (acht Gold, jeweils fünf Silber und Bronze).

Schon vor dem Council-Beschluss hatte Russlands Sportminister Witali Mutko wirksamere Schritte im Anti-Doping-Kampf versprochen. "Wir sind bereit, öffentlich und freiwillig zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Falls nötig, ändern wir das System", sagte er in Moskau. Der Vertraute von Präsident Wladimir Putin warnte vor einer "Kollektivstrafe" gegen russische Sportler. "Unschuldige Athleten müssen geschützt werden", forderte er.

NRW-Sportministerin Christina Kampmann (SPD) sagte nach der Konferenz der Sportminister in Köln: "Wir erwarten von IOC, IPC und den internationalen Fachverbänden, nachgewiesene Verstöße auch entsprechend zu sanktionieren und auch nicht davor zurückzuschrecken, partielle Ausschlüsse von den Olympischen und Paralympischen Spielen auszusprechen – unabhängig von der Größe und auch unabhängig von der Bedeutung des Sportverbandes."

Eine ARD-Dokumentation löste die Untersuchungen aus

Die Kommission der WADA war eingesetzt worden, um die in einer ARD-Dokumentation erhobenen Vorwürfe über Doping im russischen Spitzensport zu untersuchen. In dem Film Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht waren im Dezember 2014 geheime Aufzeichnungen in Bild, Ton und Schrift mit Hinweisen auf staatlich unterstütztes Doping präsentiert worden. Im Hintergrund soll ein Betrugs- und Vertuschungsapparat gewirkt haben, bei dem Spitzenfunktionäre des IAAF sich in Kooperation mit dem russischen Staat von Dopingbetrügern dafür bezahlen ließen, dass Testergebnisse vertuscht werden. Mehr als 1.400 Proben sollen laut WADA-Bericht zerstört worden sein. In Moskau gab es demnach ein Schattendopinglabor, das zwecks Vertuschung vorsortierte.

Russland hat die Vorwürfe zurückgewiesen, aber auch Versäumnisse eingeräumt. In diesem Jahr sind bereits zahlreiche russische Leichtathleten wegen Dopings gesperrt worden; Verbandspräsident Valentin Balachnitschew trat Mitte Februar von seinem Amt zurück. Insgesamt sollen sich acht russische Athleten gegen hohe Summen von einer möglichen Sperre freigekauft haben und dann bei den Sommerspielen 2012 am Start gewesen sein, berichtete die Sunday Times. Der frühere IAAF-Präsident Lamine Diack soll im Zentrum dieses Schmiergeldsystems gestanden haben.