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„Chordatiere“ – Versionsunterschied – Wikipedia
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Die '''Chordatiere''' ({{IPA|[ˈkɔrda]}}-;) Chordataoder '''Chordaten''' ([[Griechische Sprache|griech]]. ''chorde'' 'Darm') sind ein [[Stamm (Biologie)|Stamm]] des [[Vielzellige Tiere|Tierreichs]]. Zu den Chordatieren gehören der [[Unterstamm]] der Schädel- (Craniota) oder [[Wirbeltiere]] (Vertebrata), und damit auch die [[Säugetiere]] (Mammalia) einschließlich des [[Mensch]]en, sowie zwei weniger bekannte, ausschließlich im Meer lebende Unterstämme, die [[Schädellose]]n (Cephalochordata oder Acrania) und die [[Manteltiere]] (Tunicata oder Urochordata).
 
Zum Stamm der Chordatiere zählen überrund 82 56.000 [[Art (Biologie)|Arten]] (54.71178 500 Wirbeltierarten,<ref>Joseph S. Nelsonhttps: ''Fishes of the World''//eol. Seiten 17, 28 und 21, John Wiley & Sons, 2006, ISBN 0-471-25031-7org/pages/2774383</ref> 3033 Arten Schädellose und 1.6003115 Manteltierarten), von denen mehr als die Hälfte – hauptsächlich [[Knochenfische|Knochenfischarten]] – im Wasser leben.
 
Alle Chordatiere zeigen eine Reihe gemeinsamer abgeleiteter Merkmale ([[Synapomorphie]]n). Diese können bei [[adult]]en Wirbel- und Manteltieren mehr oder weniger stark abgewandelt sein, sind an den [[Larve]]n bzw. [[Embryo]]s aber noch deutlich zu erkennen. Gemeinsam ist den Chordaten die namensgebende [[Chorda dorsalis]] (ein stabförmiger Stützapparat im Rücken), das [[Neuralrohr]] (ein oberhalb der Chorda liegender Nervenstrang), der [[Kiemendarm]] (der zum Filterapparat erweiterte Vorderdarm), das bauchseitig gelegene [[Herz]], das das Blut nach vorne zum Kopf pumpt, und der unterhalb der Chorda liegende [[Darm]], der auf der Bauchseite nach außen mündet und dahinter Platz für den [[Postanaler Schwanz|postanalen Schwanz]] schafft.
 
== Begriff ==
Die Entwicklung des Begriffs ''Chordata'' (Rückensaitentiere, Chordatiere) ging in drei Schritten durch alle drei großen europäischen Wissenschaftssprachen des neunzehnten19. Jahrhunderts. Der Anfang befand sich in einem Buch des sehr einflussreichen deutschen Zoologen [[Ernst Haeckel]] aus dem Jahr 1874.<ref>Claus Nielsen: ''The authorship of higher chordate taxa''. In: ''Zoologica Scripta''. Band 41, 2012, S. 435 {{doi|10.1111/j.1463-6409.2012.00536.x}}</ref>
 
{{Zitat
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|Autor= Hermann Fol
|Quelle= ''Note sur l’origine première des produits sexuels''
|ref=<ref>Hermann Fol: ''Note sur l’origine première des produits sexuels''. In: ''[[Bibliothèque Universelleuniverselle et Revue Suissesuisse]] – Archives des Sciences Physique et Naturelles''. Nr. 209, 1875, S. 111</ref>
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Mit Fols französischer Abhandlung wurde das erste Mal „Chordés“ als zusammenfassende Gruppenbezeichnung für Manteltiere („Tuniciers“) und Wirbeltiere („Vertébrés“) gebraucht. Hermann Fol wich mit dem Wort also von der Auffassung seines früheren Professors ab: „Chordés, à savoir les Tuniciers et les Vertébrés.“ Aber nicht nur die begriffsinhaltliche Verschiebung, sondern auch die Wortform „Chordés“ beeinflusste die weitere Begriffsgeschichte. Denn die französische Wortneuschöpfung hätte sich sowohl auf „Chordathiere“ als auch genauso auf „Chordonia“ beziehen können. Bis 1875 war eine französische Wortform von „Chordathiere“ jedoch noch nicht eingeführt worden. Und bloß wenige Monate zuvor war erstmals und in zwei Sätzen „Chordonia“ in einem Referat vor der ''Association Française pour l’avancement des ScienceSciences'' gebraucht worden,<ref>„… transmis par les ''Chordonia'' aux vertébrés … dans la généalogie des ''Chordonia'' …“ – Alfred Mathieu Giard: ''Note sur quelques points de l’embryogénie des ascidies''. In: ''Association Française pour l’avancement des Science. Compte Rendu de la 3<sup>me</sup> Session. Lille, 1874''. Secrétariat de l’association Française, Paris 1875, S. 453–454</ref> der Hermann Fol allerdings nicht angehörte.<ref>vergleiche ''Liste des Membres''. In: ''Association Française pour l’avancement des science. Compte Rendu de la 3<sup>me</sup> Session. Lille, 1874''. Secrétariat de l’association Française, Paris 1875, S. XXV-LVI</ref> Gemäß Hermann Fols Abhandlung bezeichnete „Chordés“ nun jene Gruppe von Tieren, die Manteltiere und Wirbeltiere umfasste. Sein Text gelangte sehr bald in die Hände des britischen Zoologen [[William Sweetland Dallas]], der umgehend eine Übersetzung anfertigte, die noch im gleichen Jahr erschien.<ref>„Translated by W.S. Dallas, F.L.S.“ – Hermann Fol: ''On the primary Origin of the Sexual Products''. In: ''Annals and Magazine of Natural History''. Band 16, 1875, S. 157</ref>
 
{{Zitat
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== Evolution und äußere Systematik ==
Die Chordatiere gehören zu den [[Neumünder]]n (Deuterostomia), denjenigen [[Bilateria|zweiseitig symmetrisch aufgebauten TiereTieren]] (Bilateria), bei denen in der [[Embryonalentwicklung]] des [[Darm]]es der [[Urmund]] (Blastoporus) zum After wird und der [[Mund]] sekundär aus dem [[Urdarm]] (Archenteron) durchbricht. Die Chordatiere sind innerhalb der Neumünder die [[Schwestergruppe]] der [[Ambulacraria]], einem Taxon, das die [[Stachelhäuter]] (Echinodermata) und die wurmartigen [[Kiemenlochtiere]] (Hemichordata) vereint (siehe nachfolgendes [[Kladogramm]]; † = [[ausgestorben]]).
 
{{Klade|style=font-size:7585%
|label1=&nbsp;'''Chordatiere'''[[Neumünder]]&nbsp;
|1={{Klade
|1=&nbsp;'''Chordatiere'''&nbsp;<span style="{{MirrorH}}">[[Datei:Branchiostoma lanceolatum (Amphioxus lanceolatus).png|115px]]</span>
|label2=&nbsp;Olfactores[[Ambulacraria]]&nbsp;
|2={{Klade
|label1=Hemichordata
|1=&nbsp;[[Kiemenlochtiere]]&nbsp;([[Eichelwürmer]], [[Flügelkiemer]]) [[Datei:Saccoglossus.jpg|70px]]
|2=&nbsp;†[[Cambroernida]] [[Datei:Herpetogaster collinsi reconstruction.png|60px]]
|label3=Echinodermata
|3=&nbsp;[[Stachelhäuter]]&nbsp;([[Seesterne]], [[Seeigel]] usw.) [[Datei:Hairy sea cucumber.jpg|70px]]
}}
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Für die Entstehung der Chordatiere aus primitiven Neumündern gibt es zwei Hypothesen:
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=== Dorso-ventrale Umkehr ===
Die Hypothese der dorso-ventralen Umkehr hat zur Grundlage, dass die Anordnung der Organe der Chordatiere oft umgekehrt zu der Organanordnung bei Nicht-Chordatieren ist. Sie nimmt eine Drehung des Chordatenkörpers in eine Rückenlage an. So ist vor allem eine der wichtigsten Apomorphien der Chordatiere, die dorsale Lage des Hauptnervenstrangs, zu erklären. Das Nervensystem der meisten anderen Tiere, z.&nbsp;B. der [[Gliederfüßer]] und der [[Ringelwürmer]], befindet sich ventral ([[Bauchmark]]).
 
== Innere Systematik ==
Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den einzelnen [[Klade|Kladen]] der Chordatiere ([[Schädellose]], [[Wirbeltiere]], [[Manteltiere]]) waren lange Zeit umstritten.<ref>Hynek Burda: ''Systematische Zoologie.'' S. 241/242, Eugen Ulmer Stuttgart, 2008, ISBN 978-3-8252-3119-4.</ref> Man unterscheidet zwei [[Hypothese]]n, die ältere Notochordata-Urochordata-Hypothese und die neuere Olfactores-Cephalochordata-Hypothese. [[Anatomie|Anatomische]] und [[Molekularbiologie|molekularbiologische]] Untersuchungen unterstützen die Olfactores-Cephalochordata-Hypothese,<ref>Delsuc, F., Tunicates and not cephalochordates are the closest living relatives of vertebrates. Nature (2006), 439(7079):965–968 {{doi|10.1038/nature04336}} https://hal.archives-ouvertes.fr/halsde-00315436/file/Delsuc-Nature06_HAL.pdf</ref><ref>Dunn, C.W., Broad phylogenetic sampling improves resolution of the animal tree of life. Nature (2008), 452(7188):745–749 {{doi|10.1038/nature06614}}</ref><ref>Gupta, Radhey S., Molecular signatures that are distinctive characteristics of the vertebrates and chordates and supporting a grouping of vertebrates with the tunicates. Molecular Phylogenetics and Evolution (2016), 94(part A):383–391 {{doi|10.1016/j.ympev.2015.09.019}}</ref> weshalb sie gegenwärtig als die Wahrscheinlichere angesehen wird. Demnach sind die heutigen Manteltiere stark abgeleitet, während lebende Schädellose viele [[Plesiomorphie|ursprüngliche]] Merkmale der Chordatiere beibehalten haben.
 
=== Olfactores-Cephalochordata-Hypothese ===
[[Datei:Vertebrates.png|thumb|Verschiedene [[Wirbeltiere]]]]
Die alternative Olfactores-Cephalochordata-Hypothese sieht die Manteltiere als stark abgeleitete Verwandte der Wirbeltiere. Die Schädellosen sind hier basal.
 
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Apomorphien der Olfactores:
* Die Zellen werden durch [[Tight Junction]]s verbunden
* Morphologie der Chorda dorsalis, die auf der Grundlage des [[Turgor]]drucks (in den [[Vakuole]]n) funktioniert
* Bei der Ontogenese der Muskeln und des [[Pharynx]] sind besondere [[Pax-Gen]]e aktiv
* Neuromasten, das sind Sinneszellen, die bei Wirbeltieren z. B. im [[Seitenlinienorgan]] zu finden sind
* Keine [[Myoepithelzelle|Myoepithelien]]
* Pigmentzellen aus dem Mantel der Manteltiere sind Zellen aus der Neuralleiste der Wirbeltiere sehr ähnlich
 
Die ursprünglichsten Chordaten könnten, wie die Manteltiere, einen Entwicklungszyklus mit zwei Phasen gehabt haben: eine freischwimmende Larve und ein sessiles Adulttier. In diesem Fall hätten sich die Olfactores (Manteltiere und Wirbeltiere) aus den Schwimmlarven der ursprünglichsten Chordaten entwickelt.
 
=== Notochordata-Urochordata-Hypothese ===
[[Datei:Branchiostoma_lanceolatum.jpg|thumb|[[Lanzettfischchen]], wie dieser (''Branchiostoma lanceolatum''), sind die einzigen lebenden Vertreter der [[Schädellose]]n]]
[[Datei:Salp.jpg|thumb|[[Salpen]] (Bild) gehören neben den [[Seescheiden]] und [[Appendikularien]] zu den [[Manteltiere]]n]]
Bei der älteren Notochordata-Urochordata-Hypothese sind Schädellose und Wirbeltiere [[Schwestergruppe]]n. Sie stehen gemeinsam den urtümlicheren Manteltieren gegenüber.<ref>Ax, P., Das System der Metazoa: ein Lehrbuch der phylogenetischen Systematik (2001)</ref><ref>Stach, T., Chordate phylogeny and evolution: a not so simple three‐taxon problem. Journal of Zoology (2008), 276(2):117–141 {{doi|10.1111/j.1469-7998.2008.00497.x}}</ref> Dies wird in folgendem [[Kladogramm]] dargestellt:
 
Für die innere Systematik der Chordatiere gibt es zwei alternative Hypothesen. Bei der älteren, der Notochordata-Urochordata-Hypothese sind Schädellose und Wirbeltiere [[Schwestergruppe]]n und stehen gemeinsam den urtümlicheren Manteltieren gegenüber. Dies wird in folgendem [[Kladogramm]] dargestellt:
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Die Merkmale der Notochordata könnten jedoch auch [[Plesiomorphie|plesiomorphe]] Merkmale der Chordatiere sein, die bei den Manteltieren sekundär reduziert wurden. Da sie während ihrer Entwicklung über die Hälfte ihrer [[Hox-Gen]]e verloren haben, ist es wahrscheinlich, dass sie stark vereinfachte Tiere sind. Wirbeltiere und Schädellose entsprächen so eher den ursprünglichen Chordaten, während die Manteltiere durch ihre sekundäre Vereinfachung stark abgeleitet wären. Gegen die Notochordata-Urochordata-Hypothese spricht auch, dass die Schädellosen sehr einheitlich segmentiert sind und in der Ontogenese der Wirbeltiere kein Stadium auftritt, das dem entspricht.
 
=== Olfactores-Cephalochordata-Hypothese ===
Die alternative Olfactores-Cephalochordata-Hypothese sieht die Manteltiere als stark abgeleitete Verwandte der Wirbeltiere. Die Schädellosen sind hier basal.
 
[[Datei:Vertebrates.png|thumb|Verschiedene [[Wirbeltiere]]]]
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Apomorphien der Olfactores:
* Die Zellen werden durch [[Tight Junction]]s verbunden
* Morphologie der Chorda dorsalis, die auf der Grundlage des [[Turgor]]drucks (in den [[Vakuole]]n) funktioniert
* Bei der Ontogenese der Muskeln und des [[Pharynx]] sind besondere [[Pax-Gen]]e aktiv
* Neuromasten, das sind Sinneszellen, die bei Wirbeltieren z. B. im [[Seitenlinienorgan]] zu finden sind
* Keine [[Myoepithelzelle|Myoepithelien]]
* Pigmentzellen aus dem Mantel der Manteltiere sind Zellen aus der Neuralleiste der Wirbeltiere sehr ähnlich
 
Die ursprünglichsten Chordaten könnten, wie die Manteltiere, einen Entwicklungszyklus mit zwei Phasen gehabt haben: eine freischwimmende Larve und ein sessiles Adulttier. In diesem Fall hätten sich die Olfactores (Manteltiere und Wirbeltiere) aus den Schwimmlarven der ursprünglichsten Chordaten entwickelt.
 
== Fossilüberlieferung ==
[[Datei:Myllokunmingia.png|mini|rechts|Mögliches Lebensbild von †''[[Myllokunmingia|Myllokunmingia fengjiaoa]]'']]
Erste fossile Nachweise für Chordatiere gibt es mit ''[[Haikouichthys]]'' und ''[[Myllokunmingia]]'' schon aus dem [[Kambrium|Unterkambrium]] von [[Yunnan]] ([[Maotianshan-Schiefer]]) und mit ''[[Metaspriggina]]'' und ''[[Pikaia]]'' aus dem mittelkambrischen [[Burgess-Schiefer]] vor ungefähr 505 Millionen Jahren.
 
Zu den Chordatieren könnten auch die [[Vetulicolia]] gehören, seltsame unterkambrische Tiere, die aus einem voluminösen Vorderteil und einem aus sieben Segmenten bestehenden Hinterteil bestehen. Zwischen Vorder- und Hinterteil sind sie eingeschnürt.
 
== Literatur ==