Europa (Tochter des Agenor)

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Europa und der Stier
(Terrakotta-Gruppe aus Athen, um 470 v. Chr., Staatliche Antikensammlungen in München)

Europa (altgriechisch Εいぷしろんὐρώπη Eurṓpē; Näheres zum Namen siehe unter Europa), eine Gestalt der griechischen Mythologie, ist die Tochter des phönizischen Königs Agenor und der Telephassa.[1] Zeus verliebte sich in sie und darauf verwandelte er sich wegen seiner argwöhnischen Gattin Hera in einen Stier. Sein Bote Hermes trieb eine Stierherde in die Nähe der am Strand von Sidon spielenden Europa, die der Zeus-Stier auf seinem Rücken entführte. Er schwamm mit ihr nach Matala auf der Insel Kreta, wo er sich zurückverwandelte. Der Vergewaltigung durch den Gott[2] entsprangen drei Kinder: Minos, Rhadamanthys und Sarpedon. Auf Grund einer Verheißung der Aphrodite wurde der fremde Erdteil nach Europa benannt.[3]

Erzählungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Europa und der Stier, Fresko aus Pompeji, 1. Jahrhundert etwa zur Zeit Ovids
Raub der Europa
(Tizian, um 1560, Isabella Stewart Gardner Museum in Boston)
Max Bittrof: Entführung der Europa, 1948, Deutsche 5-DM-Banknote

Die älteste literarische Referenz auf Europa ist in der Ilias von Homer zu finden, wo Europa die Tochter des Phoinix ist.[4] Antike Erzählungen des Europa-Mythos finden sich in der „Europa“ des Moschos und in den „Metamorphosen“ des Ovid. Darüber hinaus gibt es weitere Erzählungen von der Entführung Europas.

Nach Ovid verwandelt sich Jupiter (römisch für Zeus) in einen Stier, ein besonders kräftiges, aber sehr friedlich aussehendes Exemplar mit reinem, schneeweißen Fell und kleinen Hörnern, die aussehen, als habe sie ein Künstler angefertigt. Jupiter mischt sich unter eine Herde königlicher Stiere, die Mercurius (röm. für Hermes) zuvor zum Strand getrieben hat, und nähert sich so Europa, die mit ihren Gefährtinnen am Strand ist. Europas Furcht ist bald überwunden, sie spielt mit dem Stier, füttert ihn, streichelt ihn und umwindet seine Hörner mit Blumen. Schließlich traut sie sich, auf seinen Rücken zu steigen – da geht der Stier ins Wasser und schwimmt aufs offene Meer hinaus. Er bringt sie nach Kreta, wo er seine Stiergestalt ablegt und sich offenbart.[5]

Agenor schickte seine Söhne aus, ihre Schwester Europa zu suchen, doch die Nachforschungen bleiben erfolglos. Schließlich befragt Kadmos das Orakel von Delphi und wird von diesem angewiesen, die Suche nach seiner Schwester aufzugeben und stattdessen die böotische Stadt Theben zu gründen.

Nach anderen Quellen[6] soll Europa nach der Affäre mit Zeus die drei oben genannten Söhne geboren haben. Anschließend heiratete sie Asterios, den König von Kreta, und so wurde sie Königin von Kreta. Asterios, der selbst keine Kinder hatte, adoptierte auch ihre drei Söhne.[7][8]

Nach Herodot seien einmal Phönizier nach Argos gekommen, um ihre Waren zu verkaufen. Als die Königstochter Io zu den Ständen kam, hätten die Phönizier Io geraubt, woraufhin die Griechen Vergeltung übten und die Tochter des Königs von Tyros raubten, die Europa hieß.[9]

Gerold Dommermuth-Gudrich weist darauf hin, dass die römische Fassung dieser Sage im Kern eine orientalische sei: Europa sei „nichts anderes als die Verkörperung der Ischtar oder Astarte, der babylonisch-syrischen Liebesgöttin, die die Griechen mit Aphrodite gleichsetzen. Noch zur Zeit des klassischen Griechentums wurde Europa als Europa-Astarte von den Phöniziern in Sidon verehrt“.[10]

Interpretation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die feministische Historikerin Annette Kuhn hält dem durch die Ovid-Überlieferung patriarchal geprägten Mythos eine alternative Lesart entgegen, die das frühe Matriarchat einbezieht. So sieht sie das Matriarchat am Wirken, als die Mutter Europas, Telephassa, über Zeus eine Strafe für sein liebestolles Verhalten gegenüber Europa verhängt, und zwar die Verweigerung der Liebe Europas und das Sterben der Natur. Sie interpretiert den Mythos dahingehend, dass Zeus überhaupt erst in der „Verkleidung“ als Stier, welcher als ein Symbol für matriarchalische Ordnung fungierte – hervorgegangen aus dem damals noch weit verbreiteten mythologischen Symbol der „kosmischen Kuh“ –, sich Europa annähern konnte. „Liebe, so lautet die einfache Botschaft, kann nicht erzwungen werden.“[11]

Dabei verweist Kuhn unter anderem auf den Mythenforscher Robert von Ranke-Graves, der „in seiner quellenkritischen Nacherzählung der Europageschichte [schon] auf [eine] matriarchale Tradition hingewiesen“ habe.[12]

Darstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Harald Stieding: Europa, 2012, Detail des Adenauer-Schuman-Gedenkzeichens in Bassenheim
Die Entführung der Europa, attisch-rotfiguriges Vasenbild auf einem Glockenkrater (Abzeichnung), frühes 5. Jh. v. Chr., Archäologisches Nationalmuseum Tarquinia (RC7456)
François Chauveau Die Entführung der Europa, 1650, Radierung

Die ältesten entdeckten Vasenmalereien, welche eindeutig Europa abbilden, stammen bereits aus dem 7. Jahrhundert vor Christus.[13] Spätere bildliche Darstellungen zeigen Europa meist, Ovids Beschreibung folgend, wie sie vom Zeus-Stier entführt wird. Sie ist meist nur leicht bekleidet oder ganz nackt, sitzt rittlings (in älteren Darstellungen), seitwärts oder halb-liegend (in jüngeren Darstellungen) auf dem Rücken des weißen Stieres, hält sich an ihm fest und zeigt dabei keine Zeichen von Furcht.

Verwendung auf Eurobanknoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachdem Europa schon 1948 auf dem 5-DM-Schein zu sehen war, ist seit dem 2. Mai 2013 der Kopf der Sagengestalt auf dem 5-€-Schein im Wasserzeichen und im Hologramm abgebildet, dieser ist der kleinste Schein der zweiten „Europa-Serie“ der Eurobanknoten.[14] Die neue 10-€-Banknote, ebenfalls mit der Abbildung der Europa, befindet sich seit dem 23. September 2014 im Umlauf. Das abgebildete Porträt stammt von einer über 2000 Jahre alten Vase aus Süditalien, die im Pariser Louvre besichtigt werden kann.[15]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Johannes Hugo Helbig: Europa 10. In: Wilhelm Heinrich Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Band 1,1, Leipzig 1886, Sp. 1410–1418 (Digitalisat).
  • Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz Kunstgewerbemuseum: Die Verführung der Europa. Propyläen Verlag, Berlin 1988, ISBN 3-549-05872-1.
  • D’Europe à l’Europe, I. Le mythe d’Europe dans l’art et la culture de l’antiquité au XVIIIe s. (colloque de Paris, ENS – Ulm, 24. – 26. April 1997), Hrsg.: R. Poignault und O. Wattel-de Croizant, coll. Caesarodunum, n° XXXI bis, 1998.
    • II. Mythe et identité du XIXe s. à nos jours (colloque de Caen, 30. September – 2. Oktober 1999), hrsg. von R. Poignault, F. Lecocq und O. Wattel–de Croizant, coll. Caesarodunum, n° XXXIII bis, 2000.
    • III. La dimension politique et religieuse du mythe d’Europe de l’Antiquité à nos jours (colloque de Paris, ENS-Ulm, 29. – 30. November 2001), éd. O. Wattel – De Croizant, coll. Caesarodunum, n° hors-série, 2002.
    • IV. Entre Orient et Occident, du mythe à la géopolitique (colloque de Paris, ENS-Ulm, 18.–20. Mai 2006), dir. O. Wattel – de Croizant & G. de Montifroy, Ed. de l’Age d’Homme, Lausanne 2007.
    • V. État des connaissances (colloque de Bruxelles, 21.–22. Oktober 2010), dir. O. Wattel-de Croizant & A. Roba, Brüssel, éd. Métamorphoses d’Europe asbl, 2011.
  • Günter Dietz: Europa und der Stier. Ein antiker Mythos für Europa? Kulturgeschichtliche Reihe, 4. Sonnenberg, Annweiler 2003, ISBN 3-933264-29-4.
  • Almut-Barbara Renger (Hrsg.): Mythos Europa. Texte von Ovid bis Heiner Müller. Reclam, Leipzig 2003, ISBN 3-379-20077-8.
  • Almut-Barbara Renger: Europa. In: Maria Moog-Grünewald (Hrsg.): Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 5). Metzler, Stuttgart/Weimar 2008, ISBN 978-3-476-02032-1, S. 276–285.
  • Almut-Barbara Renger, Roland Alexander Ißler (Hrsg.): Gründungsmythen Europas in Literatur, Musik und Kunst, 1: Europa – Stier und Sternenkranz. Von der Union mit Zeus zum Staatenverbund. V&R unipress, Göttingen 2009, ISBN 978-3-89971-566-8.
  • Eva C. Huller: „da wurde es selbst Zeus ganz klar, wie uneinig Europa war“. Europa in der deutschsprachigen Literatur seit 1957. In: Christian Lohse, Joseph Mittlmeier (Hrsg.): Europas Ursprung. Mythologie und Moderne. Festschrift der Universität Regensburg zum 50-jährigen Jubiläum der Römischen Verträge. Regensburg 2007, ISBN 3-9808020-9-4, S. 119–130.
  • Winfried Bühler: Europa. W. Fink, München 1968.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Europa (Mythologie) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bibliotheke des Apollodor 3,1,2
  2. Unter einer Platane in Gortyn: Plinius, Naturalis historia 12,5
  3. Moschos, Europa 1–27
  4. Homer, Ilias 14,321-322
  5. Ovid, Metamorphosen 2,833-3,2
  6. Bibliotheke des Apollodor 3,1,3; Hyginus, Fabulae 155
  7. Bibliotheke des Apollodor 3,1,2
  8. Scholion zu Homer, Ilias 12,292
  9. Herodot 1,1f.
  10. Gerold Dommermuth-Gudrich: Mythen. Die bekanntesten Mythen der griechischen Antike, 50 Klassiker. Hildesheim 2000, S. 110.
  11. Anette Kuhn: Warum sitzt Europa auf dem Stier? Matriarchale Grundlagen von Europa. In: Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW: Frauen verändern EUROPA verändert Frauen. 2009 (Archivierte Kopie (Memento vom 8. Januar 2015 im Internet Archive)).
  12. Anette Kuhn: Warum sitzt Europa auf dem Stier? Matriarchale Grundlagen von Europa. In: Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW: Frauen verändern EUROPA verändert Frauen. 2009 (Archivierte Kopie (Memento vom 8. Januar 2015 im Internet Archive)) Mit Verweis auf: Robert von Ranke-Graves: Die Götter Griechenlands. Die klassischen Mythen und Sagen. Reinbek b. Hamburg 1983, S. 58.
  13. Winfried Bühler: Europa: eine Sammlung der Zeugnisse des Mythos in der antiken Literatur und Kunst.
  14. Der neue 5-Euro-Schein im Vergleich (Memento vom 4. Juli 2014 im Internet Archive), Europäische Zentralbank
  15. Das neue Gesicht des Euro. (PDF) In: europa.eu. Abgerufen am 25. Juni 2015.