Michel Erhart

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Büste Vergils im Chorgestühl des Ulmer Münsters, um 1470/1474, heute überwiegend Michel Erhart zugeschrieben
Ritter am Fischkastenbrunnen in Ulm, 1482
Reliquienbüste der Hl. Maria Magdalena, Ulm, um 1475–80, Lindenholz, spätgotische Fassung mit neueren Ergänzungen; Museum Ulm

Michel Erhart, auch: Michael Erhart (* um 1440/45 vermutl. Konstanz; † nach 1522 in Ulm) war ein Bildhauer und Bildschnitzer der Spätgotik und hat insbesondere in Ulm und um Ulm gewirkt. Er zählt zur Ulmer Schule. Die genauen biographischen Daten sind bislang unklar.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erhart kam nach seinen Wanderjahren, die ihn unter anderem nach Konstanz und Straßburg, aber auch vermutlich bis in die Niederlande führten, in die freie Reichsstadt Ulm, in der er ab 1469 arbeitete.

Erhart arbeitete in Ulm zunächst in der Werkstatt Jörg Syrlins d. Ä. an der Chorausstattung des Ulmer Münsters mit. Er erhielt anschließend den Auftrag, „etlich bild“ für den (verlorenen) Hochaltar des Ulmer Münsters zu erstellen und hatte wohl spätestens ab 1474 eine eigene Werkstatt mit mehreren Gesellen in Ulm. Später führten seine Söhne Gregor Erhart und Bernhard Erhart sein Werk fort.

Künstlerisch wurde Michel Erhart durch den neuen, raumhaltigen und realistischen Stil des damals berühmten niederländischen Bildhauers Niclas Gerhaert van Leyden geprägt, dessen Werk er unter anderem in Straßburg studiert hatte und in dessen Straßburger Werkstatt er vielleicht sogar gearbeitet hat. Auch von dem Maler Rogier van der Weyden lassen sich Einflüsse erkennen.

Werke (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu Erharts berühmtesten Werken zählen heutzutage die Wangenbüsten des Chorgestühls im Ulmer Münster, die früher Jörg Syrlin d. Ä. zugeschrieben wurden.[1]

  • Mitarbeit am Chorgestühl des Ulmer Münsters, 1469–1474
  • Mitarbeit am Hochaltar des Ulmer Münsters, der dem Bildersturm zum Opfer fiel
  • Büste einer jungen Frau in der Tracht des burgundischen Hofes, u. a. auch als Die schöne Ulmerin bezeichnet, um 1475
  • Mitarbeit am Fischkastenbrunnen in Ulm, insbesondere die Ritter werden ihm zugeschrieben, 1482
  • Kruzifix in der Besserer-Kapelle des Ulmer Münsters, nach 1490
  • Schreinfiguren des Blaubeurer Hochaltars im Kloster Blaubeuren, 1493
  • Kruzifix in der St.-Michaelis-Kirche in Schwäbisch Hall, 1494 (namentlich signiert, gilt als gesichert)
  • Chorbogen-Kruzifix in der Martinskirche in Landshut, 1495[2]
  • Marienaltar in Lautern, 1509
  • Ravensburger Schutzmantelmadonna, um 1480–1490[3]

Ohne zeitliche Zuordnung:

Weitgehend verloren:

Der Blaubeurer Hochaltar[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Blaubeurer Hochaltar, 1493

Der Blaubeurer Hochaltar, entstanden zwischen 1493 und 1494, befindet sich im Chorraum der Kirche des ehemaligen Benediktinerklosters von Blaubeuren. Er hat eine Höhe von fast zwölf Metern und stammt von der Hand der Ulmer Bildhauer Michel Erhart und seines Sohnes Gregor Erhart, welcher 1494 nach Augsburg übersiedelte, wo er wahrscheinlich 1540 starb. Vorher arbeitete er in der Ulmer Werkstatt seines Vaters. Neuerdings wird die plastische Hauptarbeit am Altar seinem Vater Michel zugeschrieben.

Der Blaubeurer Altar ist ein Wandelaltar mit zwei aufklappbaren Flügelpaaren und einer Predella. Die Außenflügel, die Außenseiten der Innenflügel und die Predellenflügel sind bemalt. Erst bei Öffnung aller Flügel kommt die plastische Ausstattung voll zur Geltung. In der Predella werden Christus und die Apostel in geschnitzten Halbfiguren dargestellt, während im Zentrum des Schreins die Mutter Gottes mit dem Kind auf dem Arm vollplastisch auf der Mondsichel steht. Rechts neben ihr stehen Johannes der Täufer und der Ordensgründer Benedikt, auf der linken Seite Johannes der Evangelist und die heilige Scholastika, die Begründerin des weiblichen Zweigs des Benediktinerordens. Der rechte Altarflügel zeigt das Relief der Geburt Christi, auf dem linken ist die Anbetung der Könige dargestellt. Im Mittelteil des Gesprenges steht Christus als Schmerzensmann, neben ihm an jeder Seite ein Engel mit den Leidenswerkzeugen. In den seitlichen Gesprengen sind Maria und Johannes und unter ihnen jeweils drei Büsten von Heiligen angebracht. Die beiden Auszugsbilder über den geöffneten Innenflügeln zeigen links den Bischof und ehemaligen Abt Heinrich Fabri und rechts die Bildnisbüste des Württemberger Grafen Eberhard im Bart.

Der Blaubeurer Altar verbindet Skulptur, Relief und Malerei miteinander und zeigt damit das Charakteristische des deutschen Schnitzaltars um 1500.[5][6][7]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Brigitte Reinhardt (Hrsg.): Michel Erhart & Jörg Syrlin d. Ä. Spätgotik in Ulm. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-8062-1718-1 (grundlegende Übersicht mit der älteren Literatur).
  • Barbara Maier-Lörcher: Meisterwerke Ulmer Kunst. Süddeutsche Verlags-Gesellschaft Ulm im Thorbecke-Verlag, Ostfildern 2004, ISBN 3-7995-8004-2.
  • David Gropp: Das Ulmer Chorgestühl und Jörg Syrlin der Ältere. Untersuchungen zu Architektur und Bildwerk (= Neue Forschungen zur deutschen Kunst. Band 4). Berlin 1999 (auch zur Frage nach der Autorenschaft der Wangenbüsten durch Erhart).
  • Wolfgang Deutsch: Der ehemalige Hochaltar und das Chorgestühl. Zur Syrlin- und zur Bildhauerfrage, In: 600 Jahre Ulmer Münster, hrsg. von Hans Eugen Specker und Reinhard Wortmann. Ulm 1977, S. 242–322.
  • Gertrud OttoErhart, Michel. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 4, Duncker & Humblot, Berlin 1959, ISBN 3-428-00185-0, S. 583 f. (Digitalisat).
Chorbogenkruzifix von Erhart in der Basilika St. Martin in Landshut, 1495

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Michel Erhart – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Die kunsthistorische Forschung geht seit 1977 in der Mehrzahl von einer Autorenschaft Erharts für die meisten Wangenbüsten am Chorgestühl aus (Deutsch 1977, Gropp 1999 und Ausstellungskatalog 2002).
  2. Mathias Baumgartner, Bernhard Schömann, Erich Stahleder: Stifts- und Pfarrkirche St. Martin Landshut (Spiritueller Kirchenführer). Schnell & Steiner, Regensburg 2003. 2., aktualisierte Auflage 2010, ISBN 978-3-7954-1578-5, S. 22.
  3. Uwe Geese: Skulpturen der Gotik in Frankreich, Italien, Deutschland und England. In: Rolf Toman (Hrsg.): Die Kunst der Gotik, Architektur – Skulptur – Malerei. Könemann, Köln 1998, ISBN 3-89508-313-5, S. 300–371, hier S. 351.
  4. Homepage der Kirchengemeinden Gammertingen u. Trochtelfingen, abgerufen am 17. Dezember 2021
  5. Uwe Geese: Skulpturen der Gotik in Frankreich, Italien, Deutschland und England. In: Rolf Toman (Hrsg.): Die Kunst der Gotik, Architektur – Skulptur – Malerei. Könemann, Köln 1998, ISBN 3-89508-313-5, S. 300–371, hier S. 359–361.
  6. Volker Gebhardt: Schnellkurs Kunstgeschichte: deutsche Kunst. DuMont, Köln 2002.
  7. Werner Schäfke: Schnellkurs Gotik. DuMont, Köln 2007.