Niklaus Meienberg

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Niklaus Meienberg (1979)

Niklaus Meienberg (* 11. Mai 1940 in St. Gallen; † 22. September 1993 in Zürich) war ein Schweizer Historiker, Journalist und Schriftsteller.

Meienberg lebte in Zürich und veröffentlichte zu Lebzeiten zehn Bücher mit Reportagen und Texten zur Zeitgeschichte. Diese haben massgeblich zur öffentlichen Meinungsbildung der Schweiz im 20. Jahrhundert beigetragen. Seine engagierten, angriffigen und sprachlich geschliffenen Texte gelten bis heute als Musterbeispiele eines investigativen Journalismus und geniessen in Journalistenschulen grossen Stellenwert.[1]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Niklaus Meienberg wurde 1940 als Sohn von Alois Meienberg, einem Revisor bei der Raiffeisen Bank[2], und dessen Frau Maria Meienberg (geborene Geiges)[3] geboren. Die Beziehung zu seiner Mutter blieb sein ganzes Leben über sehr eng. Meienberg wuchs im katholischen Milieu im St. Galler Quartier St. Fiden auf. Er war Ministrant[4] und wurde auch später in seiner Zeit in der Klosterschule als «aufrührerisch fromm» beschrieben.[5] Sein deutlich älterer Bruder Peter (1929–2021) war als Missionar und Entwicklungshelfer in Ostafrika tätig.

Niklaus Meienberg ging nach seiner fünfjährigen Internatszeit in der Klosterschule Disentis[6] als 20-Jähriger für ein Jahr in die USA, ins New Yorker Büro des Migros-Genossenschafts-Bundes.[7] Anschliessend betätigte er sich wenige Tage als Bulldozerfahrer im kanadischen Vancouver.[8] Danach begann er 1961 ein Studium mit Hauptfach Geschichte, zunächst an der Uni Freiburg,[9] später an der ETH Zürich und mit einem Stipendium in Paris. Wieder in Freiburg, schloss er 1969 seine Studien ab mit der Lizenziatsarbeit De Gaulle und die USA von 1940–42.[10]

In seiner Studienzeit war er ab 1964 Präsident des Vereins «Schweizer Freunde Angolas».[11] Ausserdem engagierte er sich im Jahr 1964 kurzzeitig in der «Schulungsgemeinschaft» des katholischen Theologen Hans Urs von Balthasar.[12] In seine Zeit in Paris fiel der Mai 1968 in Frankreich, an dem er eher als Beobachter denn als Aktivist teilnahm.[13]

Ab 1966 war Meienberg beruflich fünf Jahre lang Pariser Korrespondent der Weltwoche. Ab 1971 fertigte er Beiträge für das Kulturmagazin Perspektiven des Schweizer Fernsehens sowie etliche Produktionen für Radio DRS, so für die satirische Sendung Faktenordner. Gleichzeitig wurde er (bis 1976) freier Mitarbeiter des Zürcher Tages-Anzeigers und des Tages-Anzeiger Magazins (heute Das Magazin). Von 1982 bis 1983 war Meienberg Leiter des Pariser Büros der Hamburger Illustrierten Stern.[14] Danach arbeitete er als Schriftsteller und als freier Mitarbeiter der Zürcher WochenZeitung (WOZ).

1973 plante er, seine Reportagen in Buchform zu publizieren, und lernte auf der Suche nach einem Verleger den Schweizer Schriftsteller Otto F. Walter kennen, zu dem ein freundschaftliches Verhältnis entstand. Persönliche und berufliche Differenzen führten jedoch ab ca. 1979 zum Zerwürfnis. Meienberg warf Walter vor, seine Lebensgeschichte auf unangemessene Weise für seine Romane zu verwerten. Hinzu kam Walters negatives Urteil über Meienbergs lyrisches Schaffen. Nachdem der private Kontakt bereits zum Erliegen gekommen war, trugen die beiden 1983/1984 in der WOZ eine öffentliche Debatte zum Verhältnis zwischen politisch engagierter Literatur und gesellschaftlicher Wirklichkeit aus («Realismusdebatte»).[15][16]

Nachdem die manischen und depressiven Episoden, die Meienberg seit der Internatszeit durchmachte (und auch beschrieb), sich in den besten Jahren etwas gelegt hatten, nahmen sie Anfang der 90er Jahre wieder an Heftigkeit zu und steigerten sich während des Golfkrieges zum Wahn.[17] Er glaubte sich von der CIA verfolgt und meinte, die Welt vor einem Atomkrieg bewahren zu müssen.[18] Am 11. September 1992 wurde er von zwei Nordafrikanern zusammengeschlagen.[19][20] Von den Folgen dieses Überfalls erholte er sich nicht mehr. Kurz nacheinander folgten weitere Schicksalsschläge: der Tod der Mutter, «die einzige Instanz, die er respektiert hat»,[21] die Trennung von seiner letzten Freundin; eine harsche Abrechnung mit seinem Werk in der NZZ; ein schwerer Motorradunfall in Frankreich. Am 22. September 1993 starb Niklaus Meienberg durch Suizid.[21][22]

Literarisches Schaffen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wegen seiner kritischen Texte zur Schweizer Geschichte und Gegenwart wurde er 1976 beim Tages-Anzeiger – vom Verleger Otto Coninx gegen den Willen der Redaktion – mit einem langjährigen Schreibverbot belegt. Den Ausschlag gab ein ironischer Artikel «Einen schön durchlauchten Geburtstag…» über Fürst Franz Josef II. von Liechtenstein im Tages-Anzeiger vom 7. August 1976.[23]

1977 musste er wegen Passagen des Films Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S. vor Gericht. Wegen eines geplanten Theaterstücks über Ulrich Wille ergab sich 1977 eine weitere Vorladung. Meienberg, der von Moritz Leuenberger verteidigt wurde, gewann den Prozess gegen die beiden Söhne Willes.[24]

Im Frühling 1987 schrieb Meienberg in der Weltwoche eine kritische, viel beachtete Artikelserie, in welcher er Ulrich Wille und dessen Familie porträtierte. Als Die Welt als Wille & Wahn erschien sie im Herbst desselben Jahres in Buchform. Meienberg stützte sich dabei unter anderem auf unveröffentlichte Briefe Willes an seine Frau, die Meienberg ohne Erlaubnis in einem Dekorationsstück einer Ausstellung von Roland Gretler, mit dem er das Museum besuchte, fotografieren liess, wie er im Nachwort des Buchs selbst schrieb: «Die wachhabende Aufsichtsperson des Ortsmuseums Meilen hatte das Buch noch nie aufgeblättert gehabt, freute sich aber, dass sein Inhalt dem Fotografen Roland Gretler und mir so gut gefiel, und hatte nichts dagegen, dass ich einige Passagen exzerpierte und Roland Gretler ein paar Dutzend Seiten integral fotografierte.»[25][26] Der damals kritische Historiker und stellvertretende Chefredaktor der NZZ, Alfred Cattani, nannte das Buch ein Pamphlet, pflichtete Meienberg aber bei, dass das Archiv der Familie veröffentlicht gehöre. Bisher ist dies nicht geschehen, weshalb es bis heute keine kritische Biografie gibt.[27]

Niklaus Meienbergs Nachlass wird im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern aufbewahrt.

Stimmen von Zeitgenossen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

«Für mich ist Meienberg vor allem ein grosser Prosaautor. Wo diese Prosa schliesslich erschienen ist, das ist gleichgültig. Das ist ähnlich wie bei Heine. Heinrich Heine hat einen grossen Teil seines Werks für Zeitungen geschrieben. Das gehört heute zur verbindlichen deutschen Prosa.»

«Es stimmt halt, was er geschrieben hat.»

Auszeichnungen und Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2006 wurde in St. Gallen im neuen Quartier Birnbäumen, unweit seines Herkunftsquartiers St. Fiden, eine Strasse nach Meienberg benannt.[29]

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Filmografie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Film[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • DER Meienberg. Dokumentarfilm-Porträt von Tobias Wyss. 84 Min. Schweiz 1999.[32]

Ausstellungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 2013/2014: «Warum Meienberg? Pourquoi Meienberg?» Journalist, Historiker, Dichter & Zeitgenosse. Kulturraum am Klosterplatz, St. Gallen (16. August – 29. September 2013) / Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern (16. November 2013 bis 15. Januar 2014)[33][34][35]

Meienberg als literarische Figur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. vgl. etwa Diplomarbeit Herrmann (PDF; 460 kB).
  2. Fehr, 1999, S. 20.
  3. Fehr, 1999, S. 16.
  4. Fehr, 1999, S. 36.
  5. Fehr, 1999, S. 58.
  6. Fehr, 1999. S. 53–81.
  7. Fehr, 1999, S. 89f.
  8. Marianne Fehr bemerkt, dass Meienberg auf diese Episode besonders stolz war. Fehr, 1999, S. 91.
  9. Fehr, 1999, S. 92.
  10. Fehr, 1999, S. 152.
  11. Fehr, 1999, S. 97.
  12. Fehr, 1999, S. 100–104.
  13. Fehr, 1999, S. 139.
  14. Fehr, 1999, S. 303–319.
  15. Urs Hafner: Die fiktive Debatte. In: WochenZeitung vom 2. Februar 2006.
  16. Reto Caluori: Vom literarischen Stoff zum Konfliktstoff. Der Briefwechsel zwischen Niklaus Meienberg und Otto F. Walter. (Memento vom 24. Dezember 2007 im Internet Archive) In: Entwürfe – Zeitschrift für Literatur, Nr. 24 (2000), S. 51–64.
  17. Jean-Martin Büttner: Er lebte laut und heftig, er starb ganz still. (Memento vom 18. November 2005 im Internet Archive) In: Tages-Anzeiger vom 19. Februar 1999, auf der Website des Limmat-Verlages.
  18. Renoldner (s. Literatur)
  19. Er selbst berichtete davon drei Wochen später in einem Artikel in der SonntagsZeitung; später abgedruckt in: Zunder, 1993, S. 179–193.
  20. Fehr, 1999, S. 465–468.
  21. a b Julian Schütt: Ich war Niklaus Meienbergs Sterbebegleiter. Aargauer Zeitung, 22. September 2023, abgerufen am 22. September 2023.
  22. Fehr, 1999, S. 507f.
  23. Fehr, 1999, S. 226–229.
  24. Fehr, 1999, S. 238.
  25. Niklaus Meienberg, Die Welt als Wille und Wahn, Verdankung der geleisteten Dienste oder aus Mariafelds Truhen und Kammern, S. 219–220.
  26. Thomas Feitknecht: «Man muss die Augen offen halten.» (Memento vom 12. September 2012 im Webarchiv archive.today) In: Tages-Anzeiger vom 15. Dezember 2005.
  27. Niklaus Meienberg knöpft sich General Wille vor – und gerät selbst unter Beschuss, Neue Zürcher Zeitung vom 19. Februar 2018, Seite 13
  28. Adolf-Grimme-Preis 1982
  29. Eine Strasse für Niklaus Meienberg. In: 20min.ch. 5. September 2006, abgerufen am 3. März 2023.
  30. Verlagstext
  31. Rezensionen (Memento vom 18. November 2005 im Internet Archive) zu Marianne Fehrs Meienberg-Biographie von 1999, auf der Website des Limmat Verlages.
  32. Film-Webseite (Memento vom 1. Dezember 2005 im Internet Archive), der Columbus Film.
  33. Ausstellungshinweise (Memento vom 17. Juni 2013 im Internet Archive) auf der Website der Kantonsbibliothek St. Gallen, abgerufen am 16. August 2013.
  34. Er kann noch immer provozieren. Ausstellungs-Besprechung im Tages-Anzeiger vom 16. August 2013.
  35. Marc Tribelhorn: Rückkehr eines Feuerkopfs. Ausstellungs-Besprechung. In: Neue Zürcher Zeitung, 24. August 2013, abgerufen am 26. August 2013.
  36. Charles Linsmayer: Heikler Roman: Wie viel Realität steckt in Roulets «Staatsräson»? Abgerufen am 14. Mai 2022 (englisch).