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Young Science: Materie und Antimaterie, Teil 1  
  Jedermann hat schon von Antimaterie gehört - aber was ist das eigentlich? Vor ein paar Jahren hat das europäische Forschungszentrum CERN Schlagzeilen gemacht, als dort erstmals Anti-Wasserstoff-Atome erzeugt wurden, aber im täglichen Leben treffen wir eigentlich nie auf diese geheimnisvolle Antimaterie. Dass das sehr gut ist, da sich Teilchen und Antiteilchen, die einander begegnen, gegenseitig vernichten und dabei sehr viel Energie abstrahlen, und was der neueste Stand der Forschung ist, berichtet der Physiker Manfred Jeitler in einem Gastbeitrag in der science.ORF.at-Reihe "Young Science".  
Materie und Antimaterie - wieso ist unsere Welt beim Urknall nicht gleich wieder verschwunden? (Teil 1)
Bild: CERN
Das europäische Beschleunigerzentrum CERN bei Genf. Eingezeichnet ist die Lage des unterirdischen Beschleunigertunnels.
Von Manfred Jeitler, Institut für Hochenergiephysik der ÖAW

Kommt diese Energie, die bei der Begegnung von Teilchen und Antiteilchen entsteht, aus dem Nichts? Mitnichten! Die von Albert Einstein geschaffene Relativitätstheorie lehrt uns, dass Masse (oder, wenn man will, Materie) und Energie eigentlich ohnehin dasselbe sind und man sie ineinander umrechnen kann, so wie man auch Euro und Schilling gegeneinander umwechseln kann.

Allerdings ist der "Wechselkurs" ziemlich extrem, nicht einmal die Italiener mit dem Umstieg von Lire auf Euro müssen so viele Nullen wegstreichen! Der "Wechselkurs" von Materie und Energie wird nämlich durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit gegeben (die Lichtgeschwindigkeit mit sich selbst multipliziert).
Unheilvolles Szenario
Da das Licht in einer Sekunde 300 Millionen Meter (300 000 km) zurücklegt, müssen wir bei der Umrechnung von Masse in Energie (bei Verwendung der gebräuchlichen Einheiten Kilogramm und Joule) 17 Nullen anhängen! Wir können also sehr froh sein, dass wir im gewöhnlichen Leben nie mit Gegenständen aus Antimaterie zu tun haben.

Diese würden bei der Berührung mit gewöhnlicher Materie nicht nur sofort selbst verschwinden und eine ebensolche Menge Materie vernichten, sondern eine Explosion von solcher Energie verursachen, dass die Explosion einer Atombombe dagegen nur ein schwacher Funke wäre.
Gibt es denn dann überhaupt wirklich Antimaterie?
Vielleicht haben sich die Physiker da geirrt, etwas ausgerechnet, das man dann ja doch nie sieht? Keineswegs! Die Hochenergiephysiker haben Tag für Tag mit Antiteilchen zu tun, erzeugen sie in ihren Beschleunigern, messen sie in ihren Detektoren, sehen zu, wie sich Antiteilchen und Teilchen gegenseitig vernichten, oder wie aus bloßer Energie Teilchen-Antiteilchenpaare entstehen.

Dass niemand sonst etwas von diesen Vorgängen merkt, liegt daran, dass die Elementarteilchen so klein sind, so eine kleine Masse haben, dass selbst dann, wenn man beim Umrechnen in Energie-Einheiten 17 Nullen anhängen muss, sich die Energien noch sehr in Grenzen halten.
Regen von Teilchen und Antiteilchen
Bild: CERN
Die Erdatmosphäre wird ständig von hochenergetischen Teilchen aus dem Weltraum getroffen. Beim Zusammenstoß mit den Atomen der Luft entstehen sekundäre Teilchen und Antiteilchen
"Hochenergiephysik" ist also so zu verstehen, dass die untersuchten Teilchen im Vergleich zu ihrer Masse sehr hohe Energien haben, ihre gesamte Bewegungsenergie ist aber doch verschwindend gering im Vergleich zur Bewegungsenergie etwa eines Autos oder Fahrrades.

Die Antiteilchen werden auch nicht nur künstlich erzeugt, sie entstehen ständig bei Kollisionen hochenergetischer Teilchen aus dem Weltraum (der sogenannten kosmischen Strahlung, siehe Abbildung) mit den Atomen der Erdatmosphäre, und viele von diesen erreichen dann auch die Erdoberfläche, um dann aber alsbald zu zerfallen und mit gewöhnlicher Materie zu "zerstrahlen".

Wir stehen also ständig in einem Regen von Teilchen und Antiteilchen, der allerdings glücklicherweise so schwach ist, dass wir ohne spezielle Detektoren nichts davon bemerken.
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Was wissen wir von den Antiteilchen?
Tatsächlich wurden die Antiteilchen zuerst vorausgesagt (1930, von Physik-Nobelpreisträger Paul Dirac) und erst dann experimentell gemessen (1932 wurden erstmals "Positronen", die Antiteilchen der Elektronen, gesichtet). Und die theoretischen Berechnungen lehren uns noch etwas anderes: beim so genannten Urknall entstanden vorerst genauso viele Antiteilchen wie Teilchen!

Warum? Jeder kennt den Spruch: Aus nichts wird nichts! Die Welt ist aber gar nicht aus dem Nichts entstanden, sondern aus reiner Energie. Nun kann sich aber Energie nicht einfach in Materie verwandeln, sondern nur in Paare von Teilchen und Antiteilchen (also Materie und eine entsprechende Menge Antimaterie).
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Summe aller Quantenzahlen darf sich nicht ändern
Auch das kann man wieder ein bisschen mit der Geldwirtschaft vergleichen. Man kann nicht einfach Geld "erzeugen" (außer man betreibt eine inflationäre Politik). Wenn aber die Sparer ihr Geld auf die Bank tragen, können die Firmen dieses Geld in Form von Krediten bekommen. Die Summe der Spareinlagen muss immer der Summe aller Kredite (plus Rücklagen der Bank) entsprechen.

Die Physiker drücken das so aus: alle Teilchen haben so genannte "Quantenzahlen", und die Summe aller Quantenzahlen darf sich nicht ändern. So hat zum Beispiel ein Proton die "Baryonzahl" +1 (plus eins), und ein Antiproton die Baryonzahl -1 (minus eins). Wenn vorher in der Welt die Summe aller Baryonzahlen Null war, so kann ich ein Proton-Antiprotonpaar erzeugen, und die Summe (1-1) ist noch immer Null.
"Ewige" Naturgesetze
Aber was heißt hier "darf", wer "verbietet" denn, dass sich die Summe ändert? Kommt da die Teilchenpolizei und gibt dem Proton ein Strafmandat? Natürlich nicht, gemeint ist hier vielmehr, dass man das einfach nie beobachtet hat, es ist also eine Erfahrungstatsache, die als "Verbot" formuliert wird.

Und da wir annehmen, dass beim Urknall die Naturgesetze dieselben waren wie heute (sonst könnten wir ja gar keine Aussagen darüber machen), erwarten wir auf Grund unserer heutigen Erfahrung bei physikalischen Experimenten, dass damals genauso viel Materie wie Antimaterie entstanden sein muss.
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Bild: CERN
Der Urknall
Astronomen, Kosmologen und Physiker haben gemeinsam ein ziemlich genaues Bild davon erarbeitet, wie unsere Welt entstanden ist. Vor gut 10 Milliarden Jahren war das Weltall nur so groß wie ein Punkt (eine "Singularität", wie man dies wissenschaftlich bezeichnet, ein Objekt ohne irgendeine Ausdehnung - was wir uns natürlich auch kaum vorstellen können), und wir wissen nicht, was vorher war, ja viele bestreiten, dass es überhaupt Sinn hat, nach dem "Vorher" zu fragen, denn zu jenem Zeitpunkt entstanden auch Raum und Zeit selber.

Tatsache ist wohl, dass es damals eine Art Explosion gab, der Punkt begann, sich sehr schnell auszudehnen. Diese Ausdehnung findet noch immer statt und wird nach neuesten Erkenntnissen vermutlich bis in alle Ewigkeit weiter dauern. (Augenfälliges Anzeichen dafür ist die sogenannte "Rotverschiebung" ferner Galaxien: durch den so genannten Doppler-Effekt erscheint deren Licht zu längeren Wellenlängen, ins Rote, verschoben.)

Beim Urknall entstanden Teilchen und Antiteilchen, viele sind bald wieder verschwunden, haben sich gegenseitig vernichtet oder sind zerfallen, und unsere heutige Welt mit allen Sternen, Galaxien, Planeten, Apfelbäumen und Autos besteht aus den Teilchen, die bis heute überlebt haben.
->   Bild "The Big Bang" in voller Größe
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Aber - wieso sind wir dann überhaupt hier?

Der Raum zwischen den Sternen ist keineswegs völlig leer, sondern enthält an vielen Stellen Gasnebel, wie hier den berühmten Adler-Nebel, und andere Formen sogenannter "dunkler Materie".
Wieso haben sich nicht gleich nach dem Urknall alle Teilchen mit ihren Antiteilchen gegenseitig vernichtet? Nun, man könnte sich denken, dass die Teilchen beim Urknall so rasch auseinander flogen, dass sie einfach keine Zeit hatten, das entsprechende Antiteilchen zu finden. Natürlich, dort wo sich später Materie zusammengeballt hat, in den Sternen, ist es verständlich, dass nur jeweils Materie oder Antimaterie überbleiben konnte, der Rest musste wohl zerstrahlen.

Wir, unsere Erde, die anderen Planeten und die Sonne bestehen aus Materie. Sind vielleicht andere Sonnensysteme in unserer Nachbarschaft aus Antimaterie aufgebaut? Soviel wir wissen, nein, in unserer ganzen Milchstraße gibt es praktisch keine Antimaterie. Das könnte man sich dadurch erklären, dass die verschiedenen Sonnensysteme und die "interstellare Materie" einander zu oft begegnen und dass daher etwaige Antimaterie-Sonnen schon zerstrahlt sind.
Bestehen alle Galaxien aus Materie?
Aber andere Galaxien könnten doch wohl aus Antimaterie bestehen? Müssen künftige Raumreisende also da recht vorsichtig sein, bevor sie in einer anderen Galaxie landen? (Immerhin haben sie auf der Reise dorthin ja einige Millionen Jahre Zeit, sich das gut zu überlegen!) Soviel wir wissen, bestehen aber auch alle anderen Galaxien aus Materie und nicht aus Antimaterie.

Dafür gibt es viele Hinweise, unter anderem sucht man in der kosmischen Strahlung nach "primären Antiteilchen", also Antiteilchen, die aus dem Kosmos kommen und nicht bei Zusammenstößen in der Atmosphäre entstanden sind, und bis jetzt wurden keine solchen aus den Tiefen des Weltalls stammende Antiteilchen gefunden.

Der Gastbeitrag von Manfred Jeitler für science.ORF.at ist in zwei Teilen erschienen: Materie und Antimaterie, Teil 2

Reproduktion der Abbildungen mit freundlicher Genehmigung des CERN.
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Manfred Jeitler, Institut für Hochenergiephysik der ÖAW
Mitarbeiter am Experiment: NA48, CERN (Genf)
->   Institut für Hochenergiephysik, ÖAW
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01.01.2010