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Neuer Spitzenkandidat Wie Sebastian Kurz die ÖVP kaperte und Österreichs Politik durcheinanderbringt

Griff nach der Macht: Sebastian Kurz will österreichischer Bundeskanzler werden.
Griff nach der Macht: Sebastian Kurz will österreichischer Bundeskanzler werden.
© Herbert Neubauer/APA/dpa
Noch vor einer Woche galten die Chancen der ÖVP, den nächsten Kanzler zu stellen, als faktisch nicht existent. Dann kam Sebastian Kurz.

Der Anzug sitzt, das Haar aalglatt nach hinten gegelt, makellose Show am Sonntagabend. Sebastian Kurz steht am Rednerpult, er allein. Blitzlichtgewitter. Links hinter ihm hängt die Europa-Flagge, rechts das österreichische Bundeswappen. Der Adler auf rot-weiß-rotem Grund symbolisiert Souveränität. Der Auftritt, den Kurz jetzt abspulen wird, passt perfekt in die Kulisse. Beherrscht, abgeklärt, selbstsicher. Wenige Minuten zuvor hat der aktuelle österreichische Außenminister seine eigene Partei gekapert. Nachdem Reinhold Mitterlehner vergangene Woche resigniert zurückgetreten war, bestellte der ÖVP-Bundesparteivorstand Kurz am Sonntag zum neuen Parteichef. Einstimmig.

"Sie können sich sicherlich alle vorstellen", sagt Kurz der Presse, "es (gemeint ist die Übernahme des Parteivorsitzes; Anm.d.Red.) war kein einfacher Schritt für mich." Es fällt schwer, diese Aussage wirklich zu glauben. Zu klar fallen seine Worte, zu fokussiert ist sein Blick. Keine fahrigen Bewegungen, kein Zittern in der Stimme, kein Zweifel. Er hat diesen Auftritt, den er nach der dreistündigen Sitzung des Bundesvorstandes der ÖVP abarbeitet, geplant. Seit sechs Jahren sitzt Kurz in der österreichischen Regierung, vor dreieinhalb Jahren wurde er, damals 27, jüngster Außenminister der Europäischen Union. Heute will er die Regierungskoalition aus SPÖ und ÖVP beenden, vorzeitige Neuwahlen im Herbst. Heute will Sebastian Kurz, 30, jüngster Kanzler in der Geschichte Österreichs werden.

Die Hoffnung trägt einen Namen: Sebastian Kurz

Kurz ist die große Hoffnung der ÖVP. Die letzte große Hoffnung, meinen einige. "Noch vergangene Woche standen die Chancen der ÖVP, bald den Kanzler zu stellen, bei Null", sagt Peter Filzmaier, österreichischer Politikwissenschaftler, dem stern. "Mit Kurz ist die ÖVP wieder im Spiel." Die österreichische Volkspartei ist die christlich-konservative Traditionspartei der Bundesrepublik, mit starken Parallelen zu CDU/CSU. 1945 gegründet stellte die ÖVP in knapp der Hälfte aller bisherigen Bundesregierungen den Bundeskanzler, saß in 23 der insgesamt 29 Regierungskoalitionen. Die ÖVP gehört zur Alpenrepublik wie Kaiserin Sisi, Wintersport und Wiener Schmäh.

Zuletzt aber war die große, alte Partei ins Straucheln geraten. Maue Umfrageergebnisse, die ÖVP rangierte hinter der rechtspopulistischen FPÖ und der sozialdemokratischen SPÖ auf Rang 3. "Die ÖVP stand zuletzt inhaltlich extrem unter Kompromisszwang", analysiert Filzmaier. In der Regierung mit der SPÖ, intern mit den zahlreichen Parteiorganisationen. Eine klare Position zu vertreten - plötzlich ein Ding der Unmöglichkeit. Wofür steht die ÖVP? Auf diese Frage will jetzt Sebastian Kurz antworten. Am Sonntag sagte er deshalb: "Es müssen nicht nur Köpfe getauscht werden. Auch die ÖVP muss sich verändern." Und meint damit: Veränderung nach seinen Regeln. Kurz fordert viel. Er diktiert, weil er es kann.

Mächtigster Chef der ÖVP

Der 30-Jährige, der sein Jura-Studium noch nicht abgeschlossen hat, gilt als einer der beliebtesten Politiker seines Landes. Kompetent, mit Trieb zur Macht in Partei und Bundesrepublik. Der österreichische Politikforscher Christoph Hofinger, der sich am Dienstag Leser-Fragen auf Standard.at stellte, erklärt: "Eine nicht abgeschlossene Ausbildung ist keine Hypothek. Auch Ältere würden mit Kurz offenbar einem deutlich Jüngeren die Führung zutrauen und – was für die ÖVP-Wähler entscheidend ist – sie gehen davon aus, dass er gute Chancen hat, diese Wahl zu gewinnen. Was nutzt ein erfahrener Kandidat, wenn er nur Dritter wird?"

Kurz diktierte der ÖVP also einen Forderungskatalog, sonst würde das nichts mit dem Parteivorsitz, meinte er. Die Partei kuschte. Am Sonntag akzeptierte der ÖVP-Vorstand sämtliche Bedingungen: Und so wird die altgediente ÖVP bei der nächsten Wahl als "Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei" antreten, Kurz die Liste alleinverantwortlich erstellen und freie Hand für die Verhandlung von Koalitionen haben. Er führt eine Partei, doch will das Image einer Bewegung. Ein bisschen wie Emmanuel Macron in Frankreich, und doch ganz anders. Sebastian Kurz, der 17. ÖVP-Chef seit 1945, ist zugleich auch der mächtigste der Parteigeschichte.

Stärken und Schwächen

"Kurz wurde bisher unterschätzt", sagt Politikwissenschaftler Filzmaier. "Vor allen Dingen wurde unterschätzt, wie professionell der Mann arbeitet und dies sowohl inhaltlich, als auch organisatorisch und kommunikativ." Kurz gilt gemeinhin als Kommunikations- und Polittalent. Doch er sei zudem ein guter Manager, sagt Filzmaier, und als Außenminister fachlich stets vorbereitet und auf dem Punkt. In Zuwanderung- und Integrationsfragen vertritt er eine klare rechte Position, zu anderen wichtigen Themen wie Steuer und Jugendarbeitslosigkeit hat Kurz hingegen bisher geschwiegen. Er sollte nichts sagen, musste auch nicht. Als Parteivorsitzender und ÖVP-Spitzenkandidat wird sich das jetzt ändern. Wie Kurz dann abschneidet, wird wohl über Sieg oder Niederlage entscheiden, meint Filzmaier. Es geht um alles oder nichts. Noch bleibt Sebastian Kurz etwas Zeit. Sein Kampf um Österreich hat gerade erst begonnen. 

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