petition der woche: Asyl für russische Fahnenflüchtige
Die Moral der russischen Soldat:innen bröckelt. Christopher Lauer fordert nun Aufenthaltstitel für russische Deserteur:innen.
Der Krieg Putins in der Ukraine scheint auch in den Reihen der russischen Streitkräfte nicht auf volle Loyalität zu stoßen. Zumindest wenn man den zahlreichen Film- und Fotoaufnahmen glaubt, die zurückgelassene intakte russische Militärfahrzeuge und Uniformen zeigen. Fahnenflucht ist nach dem geltenden Strafgesetzbuch Russlands jedoch alles andere als ein Kavaliersdelikt. Gemäß dem Artikel 338 droht russischen Deserteur:innen eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren.
Während die ukrainische Regierung versucht, russische Soldat:innen mit Geld und Straffreiheit zur Kapitulation zu bewegen, werden in Deutschland Forderungen nach einem Asyl für russische Deserteur:innen laut. Vergangenen Sonntag stellte der Publizist und Berater Christopher Lauer eine Petition mit dieser Forderung an den Bundestag. Konkret fordert Lauer die Ausstellung von Aufenthaltstiteln für Deserteur:innen der russischen Streitkräfte.
Lauer möchte damit demoralisierten russischen Soldat:innen die Angst vor der Fahnenflucht nehmen und dem absurden Krieg etwas entgegensetzen. Russischen Deserteur:innen Asyl zu gewähren habe er nach eigenen Angaben bereits am 20. Februar einem Mitglied der Bundesregierung vorgeschlagen. Sein Vorschlag fand jedoch keinen Anklang, da sein Gegenüber der Meinung gewesen sei, dies stellte eine zu starke „Provokation gegenüber Russland“ dar.
„Viele empfinden die Forderung wahrscheinlich als völlig irre, ich finde es einfach eine super Idee“, sagt Lauer. Er sieht die Petition getreu dem Motto „Kill them with kindness“, als eine Möglichkeit sich auf friedlichem Wege gegen den Krieg zu wehren. Anstoß für seine Petition gab ihm ein Tweet von Evan Lorenz, einem Redakteur der Wirtschaftsanalyse-Plattform „Grant’s Interest Rate Observer“: „Die Nato sollte einfach jedem russischen Soldaten, der überlaufen will, die europäische Staatsbürgerschaft anbieten. Innerhalb einer Stunde wird Russland keine Armee mehr haben“, zitierte Lorenz seine Frau.
Tatsächlich gewährt das geltende deutsche Asylrecht (nach § 3a Abs. 2 Nr. 5) Deserteur:innen einen Anspruch auf einen Flüchtlingsschutz, wenn der Militärdienst Gewaltverbrechen einschließt und den Deserteur:innen eine unverhältnismäßige Strafverfolgung droht. In der Vergangenheit wurde dieser Schutz jedoch in vielen Fällen verweigert. So wurden etwa Asylanträge von Männern, die aus Syrien vor einem Einsatz im völkerrechtswidrigen Krieg flohen, häufig abgelehnt oder nur teilweise bewilligt.
Clara Bünger, Sprecherin für Fluchtpolitik der Linkspartei, die sich inhaltlich Lauers Petitionsantrag anschloss, fordert eine offene Kommunikation der Bundesregierung und betont, dass auch ukrainischen Männern, die nicht kämpfen wollen, eine Flucht ermöglicht werden sollte. „Aus meiner Sicht darf niemand zum Kriegsdienst gezwungen werden, unabhängig davon, wie der Kriegseinsatz politisch und völkerrechtlich zu bewerten ist“, sagt Bünger der taz.
Inzwischen hat auch der FDP-Fraktionsvizevorsitzende Konstantin Kuhle gefordert, dass nicht nur Ukrainer:innen in den EU-Staaten Asyl bekommen sollten, sondern auch Russ:innen, die vor Repression aus Russland fliehen. „Wer den Mut hat, sich in Russland gegen Putins Regime zu stellen, der muss Asyl in der Europäischen Union bekommen“, sagte Kuhle dem Tagesspiegel.
Den weniger öffentlichkeitswirksamen Weg einer direkten Petition an den Bundestag wählte Lauer aus der Überzeugung heraus, dass Petitionen auf Plattformen wie Change.org „am politischen Prozess vorbeigehen“. Eine Petition, die sich an fachpolitische Sprecher:innen wendet, sei erfolgversprechender. Ob es nun am Weg oder der „Zeitenwende“ liegt, das Thema jedenfalls liegt auf dem Tisch.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen