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Herausforderungen an eine neue Zeitungskultur
19. Jul 08:15

Peter Glotz
Foto: ddp
Der Medienwissenschaftler Peter Glotz rechnet angesichts der Entwicklung der Online-Medien mit folgenreichen Problemen für die Tageszeitungen. Sie sind auf den Strukturwandel schlecht eingestellt, so Glotz in seinem jüngsten Buch.

Von Peter Glotz

Jahrzehntelang haben sich die Zeitungs- und Zeitschriften-Verleger mit dem «Rieplschen Gesetz» getröstet. Wolfgang Riepl war über Jahrzehnte der Chefredakteur der größten Nürnberger Zeitung. Im Jahr 1913 hat er eine geniale Dissertation über «Das Nachrichtenwesen des Altertums» veröffentlicht, mit der er die Kommunikationsgeschichte zwar nicht erfand, aber auf neue Füße stellte.

Riepl schrieb: Es «ergibt sich gewissermassen als ein Grundgesetz der Entwicklung des Nachrichtenwesens, dass die einfachsten Mittel, Formen und Methoden, wenn sie nur einmal eingebürgert und brauchbar befunden worden sind, auch von den vollkommendsten und höchst entwickelten niemals wieder gänzlich und dauernd verdrängt und außer Gebrauch gesetzt werden können, sondern sich neben diesen erhalten, nur daß sie genötigt werden, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen.»

Das «Rieplsche Gesetz» lautet kurz gefasst: Kein neues, höher entwickeltes Medium substituiert ein altes. Und für viele Jahrzehnte erwies sich dieses Gesetz als zutreffend. Marktanteile verschoben sich, aber im Großen und Ganzen verdrängte weder das Radio die Zeitung noch das Fernsehen den Film. «Im Großen und Ganzen» wird auch für das Internet gelten. Doch insbesondere die Zeitungen sind in Bedrängnis geraten – und das nicht nur aufgrund der schwierigen konjunkturellen Lage.

Bedeutungsverlust

Im Lesermarkt verliert die Mediengattung Tageszeitung seit über 20 Jahren an Bedeutung. In Deutschland sank ihre Reichweite in der Gesamtbevölkerung von 83 Prozent im Jahr 1979 auf 71 Prozent im Jahr 2003. Bei den 14- bis 29-Jährigen ging der Wert von 72 auf 51 Prozent zurück. In den USA sank die Reichweite der Tageszeitungen von 1973 bis 2002 von 73 auf 55 Prozent in der Gesamtbevölkerung und von 64 auf 41 Prozent bei den 18- bis 24-Jährigen.

Dabei haben sich die Auflagen der Tageszeitungssegmente unterschiedlich entwickelt. Während zum Beispiel in Deutschland die Regional- und Kaufzeitungen in den 90er Jahren Verluste hinnehmen mussten, konnte die überregionale Qualitätspresse ihre Auflagen zumeist halten oder sogar steigern. Nun aber sinken auch hier die Auflagen. Insgesamt werden heute in den alten Bundesländern über eine Millionen Tageszeitungen weniger verkauft als 1990 (Bund Deutscher Zeitungsverleger 2002).

Nutzungszeit verloren

Doch das Medium Tageszeitung hat nicht nur an Reichweite und Auflage verloren. Abgenommen hat auch die Nutzungsintensität. 1980 wurden Tageszeitungen in Deutschland im Durchschnitt 38 Minuten am Tag gelesen. Im Jahr 2000 waren es 30 Minuten. Die Tageszeitungen verloren 20 Prozent ihrer Nutzungszeit, während der tägliche Medienkonsum unter Einschluss der Parallelnutzung von 1980 bis 2000 um 60 Prozent von 309 auf 502 Minuten stieg.

Als großer «Fressfeind» der Tageszeitungen galt bislang vor allem das Fernsehen. Mit dem Internet ist nun ein weiterer Konkurrent um die tägliche Information hinzugekommen. Es gewinnt zunehmend an Bedeutung im Informationsalltag. Von 1997 bis 2003 stieg die Zahl der Internetnutzer in Deutschland von 4,1 Mio. auf 34,4 Mio. Durchschnittlich sind die Nutzer täglich mehr als eine Stunde online.

Als digitale Infrastruktur ist das Internet weit mehr als ein Massenmedium. Für einen intermedialen Vergleich ist es notwendig, jeweils nur die journalistische Funktion der einzelnen Medien zu betrachten. Für eine solche Herangehensweise liegen nun erstmals Ergebnisse aus der Werbeträger-Forschung vor. In der jüngsten «Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse» (AWA 2003) wurde abgefragt, ob sich jemand gestern über das aktuelle Geschehen informiert habe – und wenn ja, in welchem Medium. Damit wurde die Nutzung journalistischer Angebote in den verschiedenen Massenmedien in einer Befragung methodisch einheitlich erfasst.

Dominanz des Fernsehens

Es ergab sich eine deutliche Dominanz des Fernsehens auch bei Nachrichten. Es erreicht alle Altersgruppen in hohem Maße: 72 Prozent aller Bundesbürger informieren sich täglich im Fernsehen über das aktuelle Geschehen. Zeitungen erreichen in dieser Funktion etwas mehr als die Hälfte, nämlich 52 Prozent. Bei den 14- bis 19-Jährigen sind es 18 Prozent, bei den 20- bis 29-Jährigen 32 Prozent.

Das Internet nutzen bislang rund 5 Prozent der Bevölkerung, um sich täglich zu informieren. In den jungen Zielgruppen ist die Nutzung überdurchschnittlich, aber auch hier übersteigt sie nicht die 10-Prozent-Marke. Diese Ergebnisse zur Nachrichtennutzung in verschiedenen Medien stimmen mit anderen Untersuchungen weitgehend überein.

Dieser direkte Vergleich erlaubt nun erstmals – nicht geblendet von Hunderten von Millionen von «Page Impressions» – die jeweilige Rolle der Medien in der journalistischen Vermittlung zu vergleichen.

Internet: Beachtliche Position

Das Internet hat für ein junges Medium eine beachtliche Position erreicht: 3,5 Millionen Bundesbürger lesen täglich Online-Nachrichten. Doch in der Zeitung informieren sich täglich noch immer 33,7 Mio., im Fernsehen 46,3 Mio. Andererseits: Neun Prozent der 20- bis 39-Jährigen lesen täglich Online-Nachrichten, während sechs Prozent eine überregionale Abonnements-Tageszeitung lesen (AWA 2003).

Der Unterschied in der Mediennutzung zwischen On- und Offlinern ist bislang nicht in der Reichweite erkennbar, sondern in der Nutzungsdauer. In Deutschland lesen Onliner mit 3:18 Stunden im Schnitt 42 Minuten weniger Zeitung pro Woche als Offliner, eine Differenz von 18 Prozent. Für die Vereinigten Staaten wurde mit derselben Methode ein Unterschied in der wöchentlichen Zeitungs-Lesedauer von 90 Minuten oder 36 Prozent gemessen: 2:42 Stunden statt 4:12 Stunden.

In Deutschland sind Onliner im Schnitt acht Stunden pro Woche im Netz. Ihre Mediennutzungszeit ist jedoch nur um rund zwei Stunden höher als die von Offlinern. So gesehen gehen rund sechs Online-Stunden zu Lasten der klassischen Medien.

In den USA ist eine ähnliche Tendenz zu beobachten. Bei Internetnutzern ist nicht die Reichweite der klassischen Medien geringer, sondern ihre Nutzungsintensität. Dies ist leicht einsichtig: Die klassischen Medien werden nicht vollständig aus dem Leben der Onliner verdrängt, sie verlieren jedoch an Stellenwert und müssen sich die Zeit mit dem neuen Medium teilen. Erkennbar ist eine deutliche Substitutionskonkurrenz zwischen den Medien.

Experten rechnen mit Auflageverlusten

Wie sieht nun die Zukunft der Print-Medien aus? Diese Frage wurde 200 Experten im Rahmen der Delphi-Studie «Zeitung und Zeitschrift in der digitalen Ökonomie» vorgelegt. Dabei wurden hochrangige Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt. Rund 40 Prozent arbeiteten an der Schnittstelle zwischen Internet und klassischen Medien, 40 Prozent vornehmlich mit dem Internet und 20 Prozent mit klassischen Medien. Die Antworten zwischen diesen Gruppen unterscheiden sich im übrigen nicht stark und nur selten signifikant. Erörtert wird hier jeweils das Gesamtergebnis für den deutschsprachigen Raum.

Nach Einschätzung der befragten Experten werden Tageszeitungen – regionale und überregionale gleichermaßen, das wurde getrennt abgefragt – bis 2006 fünf Prozent und bis 2010 zehn Prozent ihrer Auflage gegenüber dem Niveau vom Herbst 2002 verlieren. Die durchschnittliche Nutzungszeit wird dabei um 10 beziehungsweise 15 Prozent zurückgehen. Die Tageszeitungen werden also stärker an Nutzungszeit verlieren als an Auflage. Dieses Delphi-Urteil stimmt mit der bisher zu beobachtenden Tendenz überein. Grund für diese Rückgänge ist im Übrigen nicht nur das Internet. Gefragt war nach einer Einschätzung der Entwicklung «unter Berücksichtigung aller Faktoren».

Für Publikumszeitschriften rechnen die Experten mit geringeren Verlusten. Ihnen wird ein Auflagenrückgang von zwei Prozent und fünf Prozent vorausgesagt. Dabei werden sie fünf und sieben Prozent ihrer Nutzungszeit einbüßen.

Zunehmender Wettbewerb

Den Rückgang bei Auflage und Nutzungsdauer dieser klassischen Medien begründen die Experten mit einem zunehmenden Wettbewerb um eine kaum noch steigende Mediennutzungszeit. Sollte die Nutzung von journalistischen Online-Angeboten zunehmen, so würde nur rund ein Fünftel des Wachstums «nicht zu Lasten der bestehenden Medien» gehen, so die Experten. Dabei bewerten die Experten die Substitutionskonkurrenz zwischen Zeitung und Internet höher als zwischen Zeitschrift und Internet, da ihnen im ersten Fall die funktionale Ähnlichkeit höher erscheint.

Das Urteil der Delphi-Experten lautet somit: Die Verluste der Regional- und Kaufzeitungen werden sich fortsetzen. Die überregionalen Zeitungen haben den Gipfel ihrer Auflage überschritten. Im sich verschärfenden Verdrängungswettbewerb der Mediengattungen wird die Nutzungszeit stärker zurückgehen als die Auflage. Das Internet ist auch journalistisch eine Konkurrenz für die Print-Medien.

Auch im Werbemarkt haben Print-Medien in der Vergangenheit erhebliche Marktanteilsverluste hinnehmen müssen. Seit Einführung der Fernsehwerbung haben Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland dramatisch überregionale Werbung verloren. Bei den erfassten Brutto-Werbeausgaben sank der Anteil der Zeitungen von 1990 bis 2002 in Deutschland von 26 auf 22 Prozent, der Anteil der Publikumszeitschriften sogar von 40 auf 26 Prozent. Das Fernsehen legte von 25 auf 43 Prozent zu (Nielsen 2003).

Weniger von Privatfernsehen bedrängt, stehen die Schweizer Zeitungen mit einem Anteil von 42 Prozent der erfassten Brutto-Werbeausgaben vergleichsweise sehr gut da (Media Focus 2003).

Online-Wachstum geht zu Lasten des Print

Der Online-Werbemarkt befindet sich bisher auf niedrigem Niveau. Er gefährdet den Umsatz von Tageszeitungen bislang kaum. Das zukünftige Wachstum von Online-Werbung werde jedoch auch zu Lasten der Print-Medien gehen, so die Delphi-Experten. Wie im Lesermarkt rechnen sie auch im Werbemarkt mit einem stärkeren Verdrängungswettbewerb der Mediengattung.

Ist im Leser- und Werbemarkt ein kontinuierlicher Etablierungsprozess des Internets bei einer starken Stellung der klassischen Medien zu beobachten, so könnte es in den Rubrikenmärkten zu erheblich stärkeren und rascheren Verwerfungen kommen.

Als marktplatzähnliche Angebote verfügen Rubrikenmärkte über erhebliche Netzwerkeffekte und entfalten so sich selbst verstärkende Dynamiken in die eine oder andere Richtung. Die technischen Vorteile der Online-Abwicklung sind hier zum Teil erheblich. An kühnen Thesen zur Zukunft der Rubrikenmärkte mangelt es nicht: Der kürzlich verstorbene Axel Zerdick sagte im Sommer 2003: «Unternehmen werden Stellenangebote bald nur noch aus Dummheit, Faulheit oder Mitleid in der Zeitung veröffentlichen.»

Nach Einschätzung der Experten in der Delphi-Studie werden die überregionalen Tageszeitungen bis zum Jahr 2010 rund die Hälfte ihres Umsatzes mit Stellen- und Automobilanzeigen sowie 40 Prozent bei den Immobilienanzeigen gegenüber dem Jahr 2002 verlieren. Regional- und Lokalzeitungen werden 30 Prozent der Umsätze bei Stellen-, 35 Prozent bei Immobilien- und 40 Prozent bei Automobilanzeigen verlieren.

Ins Internet abgewandert

Besonders stark ist heute schon der Automarkt ins Internet abgewandert. Die Regionalzeitung «Südkurier» hat an einem Stichtag im Jahr 2002 für eine Stadt in ihrem Verbreitungsgebiet das Angebot an VW Passats gezählt: «Autos-cout24» hatte 118 Exemplare im Angebot, «Mobile.de» 44, der «Südkurier» 13.

Die Stellenmärkte tragen als margenstarkes Geschäft ganz erheblich zur Finanzierung der überregionalen Qualitätspresse im deutschsprachigen Raum bei. Bei einigen dieser Titel haben die Stellenmärkte in guten Jahren bis zu 50 Prozent des Umsatzes ausgemacht, bei anderen häufig über 30 Prozent.

Die Entwicklung der Stellenmärkte verlief in den 90er Jahren nicht parallel zum Geschäftsklima-Index oder zur Konjunktur-Entwicklung, sondern zur Anzahl der beim Arbeitsamt gemeldeten freien Stellen. Die Korrelation ist stark und signifikant, wie Forschungsergebnisse zeigen.

Seit dem Jahr 2001 laufen die Linien jedoch weit auseinander. Anders als in der Konjunkturkrise 1993 sinkt die Seitenzahl der überregionalen Print-Stellenmärkte nicht parallel mit der Zahl der gemeldeten Stellen ab. Die Print-Stellenmärkte fallen deutlich stärker zurück. Dies ist ein überraschend klares Anzeichen für einen nunmehr bereits erheblich vorangeschrittenen Strukturwandel. Demnach liegen die überregionalen Tageszeitungen in den Stellenmärkten schon heute rund zwei Drittel unter dem Niveau, das sie ohne Online-Konkurrenz hätten. Das verändert – trocken gesagt – für die betroffenen Zeitungsverlage das ganze Leben.

Eine Extrapolation des Trends ergibt, dass die überregionalen Tageszeitungen bis 2005 rund drei Viertel ihres einstigen Stellenmarktvolumens an das Internet verlieren könnten.

Segmentierung des Marktes

Zu rechnen ist mit einer Segmentierung des Marktes: Die überregionalen Tageszeitungen werden besonders prestigeträchtige Kader-Stellenausschreibungen bis auf weiteres an sich binden können. Viele andere Segmente des Stellenmarktgeschäfts werden sie verlieren.

Dabei sprechen für das Internet nicht nur die niedrigeren Kosten und die bessere Auffindbarkeit von Stellen und Bewerbern. Viele große und mittlere Unternehmen bevorzugen inzwischen die digitale Bewerbung: Neben der Ausschreibung werden zunehmend auch die interne Vorauswahl oder Ablage von Initiativbewerbungen digital abgewickelt. Die Print-Anzeige bedeutet da einen «Medienbruch».

Dabei ist das Online-Stellenmarktgeschäft für die neuen Anbieter keinesfalls schon gesichert. Einerseits baut das Arbeitsamt ein steuerfinanziertes Konkurrenzangebot auf. Andererseits könnten langfristig Jobsuchmaschinen, eine Art «Google» für Stellenangebote, das Betreiben von Stellenmärkten unattraktiv machen.

Günstigere Online-Abwicklung

Die Online-Stellenmarktanbieter versuchen daher, neben der reinen Vermittlung weitere Schritte im Vermittlungsprozess zu übernehmen. So bauen sie für Firmen Jobportale auf und helfen ihnen bei der Vorauswahl der Bewerber. Hierzu passt, dass die großen Jobbörsen inzwischen Personaldienstleistern gehören.

Durch die günstigere Online-Abwicklung wird der Markt für anzeigengestützte Personalgewinnung bis 2005 in Deutschland auf etwa die Hälfte zurückgehen. Im Hochjahr 2000 nahmen die Zeitungen in Deutschland rund 1,7 Milliarden Euro durch Stellenanzeigen ein. In einem durchschnittlichen Jahr lag dieser Wert bei etwa 1,3 Milliarden Euro. Die Mediengattung Zeitung wird in Deutschland bei einem durchschnittlichen Arbeitsmarkt Mindereinnahmen von jährlich rund 600 bis 700 Millionen Euro haben. Dies entspricht rund zehn bis 15 Prozent ihrer gesamten Anzeigenannahmen.

Online wird das Stellenmarktgeschäft weitgehend für die Subventionierung von Journalismus verloren gehen. Durch die modulare Nutzung des Internets, die Mitbewerberstruktur und die geringe Bedeutung eines journalistischen Umfelds bei Online-Stellenbörsen sind die Geschäfte Journalismus und Stellenmärkte im Netz auf Dauer potenziell entkoppelt. So gesehen fragt es sich, ob das Betreiben von Online-Stellenbörsen überhaupt Teil des Kerngeschäfts von Verlagen ist.

Tageszeitungen haben Online-Geschäft verspielt

Die überregionalen Tageszeitungen in Deutschland haben das Online-Stellenmarktgeschäft bereits weitgehend verspielt. Neben dem, was ihnen im Print-Geschäft bleibt, können sie nur noch darauf hoffen, dass Unternehmen vermehrt «Personalimage»-Anzeigen schalten, die auch im redaktionellen Teil positioniert werden. Sie können auch erwägen, Vertriebspartnerschaften mit den sich herausbildenden starken Stellenbörsen einzugehen. Ein kombiniertes Print-/Online-Geschäft wird es aber nur dort für die Tageszeitungen geben, wo auch ihr Online-Ableger zu den Marktführern gehört.

Die Mediengattung Tageszeitung sieht sich derzeit mit einer Überlagerung kurz- und langfristiger Trends konfrontiert. Wie in einem Ozean schaukeln sich so die Wellen auf und können ganze Tanker zerstören. Auch einige Tanker der Tageszeitungsflotte befinden sich in bedrohlicher Lage. Die prominenten Beispiele für eine ernste Situation: Die «FAZ»-Gruppe machte im Jahr 2002 einen Verlust von 60 Millionen Euro, der «Süddeutsche Verlag» von 76 Millionen Euro, die Gruppe der «Neuen Zürcher Zeitung» von 50 Millionen Schweizer Franken, so die Jahresberichte der Unternehmen.

Schonungslose Analyse

Es gilt, die Analyse schonungslos und genau zu betreiben. Zu lange wurde angenommen, die Tageszeitung habe qua ihres kulturellen Mandats auch eine Art Bestands- und Bedeutungsgarantie. Doch es hat wenig Sinn, so zu tun, als könnte man Qualitätszeitungen als Kulturinstitutionen definieren, die den Gesetzen des digitalen Kapitalismus entzogen wären, sozusagen als Stiefgeschwister der Theater.

Die Selbstbestätigungsriten einiger Zeitungsverlage haben bis heute eine schonungslose Analyse zum Teil verhindert. Die Kostensenkungspotenziale bei Tageszeitungen waren in der Vergangenheit groß. In den fetten Jahren hatte sich viel Speck angesammelt, und viele schauten nicht so genau auf die Kosten. Ein Teil dieser Speckschicht ist jedoch inzwischen abgetragen. Weitere Kostensenkungspotenziale sind für so manches Haus nicht mehr leicht zu realisieren.

Für die überregionalen Tageszeitungen stellt sich damit die Frage, ob die Art und Weise, wie sie Zeitungen machen und verkaufen, noch haltbar ist. Ihr Geschäftsmodell steht zur Disposition. Zugleich besteht die Gefahr, dass die radikale Ausweitung der Feuilletons in den überregionalen Zeitungen, die mit dem Historikerstreit begonnen hat, schlicht zurückgenommen wird. Damit verbun-den sein könnte ein Funktionsverlust der Tages- zugunsten der Wochen- oder Monatspresse.

Engpässe auch eine Chance

Doch die Engpässe sind auch eine Chance zur Verdichtung, Verwesentlichung und einer stärkeren Berücksichtigung der Leserwünsche. Wenn die Leser im Durchschnitt die Tageszeitung eine halbe Stunde zur Hand nehmen, ist es selbstherrlich, sie mit drei Stunden Lesestoff zu belasten. Die Zeitungen werden sich noch stärker auf ihre aktuell-reflektierende und mit Substanz anreichernde Rolle konzentrieren müssen.

Zudem werden Zeitungen neue Einnahmequellen erschließen müssen. So haben zum Beispiel «El Pais» und «La Repubblica» ihren Zeitungen Bücher beigelegt und so ihrer Auflage neuen Schwung verliehen. Eugen Russ hat seine «Vorarlberger Nachrichten» um die Funktion eines Rabattklubs erweitert. Diese neuen Einnahmequellen stellen das Selbstverständnis der Zeitungen auf eine harte Probe. Dabei müssen diese neuen Modelle einen angemessenen verlegerischen Rahmen erhalten, um die Unabhängigkeit der Redaktion auch weiterhin zu gewährleisten. Zunehmend zeichnet sich aber ab, dass sich im Print-Geschäft neben klassischen Vertriebs- und Anzeigeneinnahmen eine solche dritte Einnahmesäule fest etabliert.

Für Regionalzeitungen sieht der Wettbewerb durch das Internet etwas anders aus. Journalistisch erwächst ihnen online kaum Konkurrenz. 42 Prozent aller Bundesbürger schätzen die Kompetenz der Tageszeitung für regionale Online-Information am höchsten ein. Allerdings ist die Nutzung der Online-Angebote vieler Regionalzeitungen im Vergleich zur Print-Auflage noch sehr gering. Bei den Rubriken entscheidet sich erst in der nächsten Zeit, wie sich die regionalen Online-Märkte für Stellen und Immobilien entwickeln.

Auch Verlierer

Die Medientheorie wird sich von der optimistischen Lesart des Rieplschen Gesetzes verabschieden müssen, wonach beim Hinzutreten eines neuen Mediums die alten weitgehend unbeschadet als Komplementärangebote fortbestehen. So mögen viele das Verhältnis zwischen Tageszeitung und Fernsehen empfunden haben. Die friedliche Koexistenz von Tageszeitung und Fernsehen/Radio ist jedoch eine Mär. Sie beschreibt lediglich eine relative Stabilität der vergangenen Dekaden. Doch es war schließlich das Radio, das die Zeitungen zwang, vom täglichen Druck zweier oder dreier Ausgaben abzusehen.

Diese optimistische Lesart des Rieplschen Gesetzes ist nun nicht mehr haltbar. Funktionale Differenzierung in reifen Medienmärkten bedeutet, dass es immer auch Verlierer gibt.

Dabei sind die Gründe für die Reichweitenverluste der Tageszeitung vielfältig und bei weitem nicht nur in Verschiebungen im Medienkanon zu suchen. Die Tageszeitungen stehen einer sich differenzierenden Gesellschaft mit zunehmend individualisierten Lebensentwürfen und -milieus gegenüber. Das «Eines für alle»-Medium, das die Tageszeitung gerade im Regionalbereich darstellt, kann dem zunehmend weniger gerecht werden.

Pressefusionskontrolle auf den Prüfstand

Das Internet entzieht dem Medium Tageszeitung schon heute Aufmerksamkeit und vor allem finanzielle Ressourcen. Dies wird Auswirkungen auf die Tageszeitungslandschaft und die durchschnittliche Betriebsgröße einer Tageszeitung haben. Es ist zu erwarten, dass sich neben wenigen überregionalen Zeitungen regionale Zeitungsgruppen herausbilden werden. Unter diesen Vorzeichen macht es Sinn, die Pressefusionskontrolle in Deutschland erneut auf den Prüfstand zu stellen und herauszufinden, wo sie für Vielfalt sorgt und wo sie sinnvolle Kooperationen behindert. Es ist ein liberalistischer und ökonomischer Irrtum zu glauben, dass Besitz etwas über die Meinungsvielfalt aussagt.

Viele Tageszeitungen stehen in Deutschland in der Tradition der Generalanzeiger und wahren intern das Prinzip der Ausgewogenheit. Andererseits gibt es kleine Zeitungen, die sich in ihrer Region aufführen wie Rupert Murdoch. Grundsätzlich tut Wettbewerb auch dem Tageszeitungsgeschäft gut: Wo Tageszeitungsverlage miteinander konkurrieren, bemühen sich diese häufig mehr um ihre Leser als Monopolisten. Doch angesichts des Strukturwandels im Zeitungsgeschäfts erscheint es geboten, den Verlagen mehr Kooperationen und Fusionen zu genehmigen. Deshalb muss man alles tun, um redaktionelle Unabhängigkeit, zum Beispiel durch Stiftungs-Modelle, abzusichern.

Gefahren des Scheiterns

Die internationale Diskursfähigkeit eines Landes hängt von seinen Medien ab. Die «globale Klasse» (Dahrendorf) mag sich mit der Sonntagsausgabe des «Observer», dem «New Yorker», dem «Economist» oder der «International Herald Tribune» behelfen. Allerdings wären alle Träume von einer geistigen «Selbstbehauptung Europas» rasch ausgeträumt, wenn man sich auf diesen Ausweg verließe. Eine Gesellschaft, die die Kommunikationsinstrumente ihrer Elite zerstörte, dankte ab.

Es ist schon schlimm genug, dass der Dialog zwischen Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft in Deutschland nur mühsam und zäh funktioniert - die kulturellen Eliten sind oft genug esoterisch, die politische Klasse praktizistisch und theorielos. Aber immerhin: Bei der Ostpolitik, dem Historikerstreit, der Debatte um 1968, der Gentechnik oder der Zukunft Europas gelangen Selbstverständigungsprozesse, die auch jenseits unserer Grenzen zur Kenntnis genommen wurden und Wirkungen auslösten. Die deutschen Qualitätszeitungen waren dabei eine zentrale Relais-Station. Das endgültige Scheitern ihres Geschäftsmodells würde nicht nur ein paar mittelständische Unternehmen schädigen oder zu Grunde richten. Es würde die Fähigkeit unserer Gesellschaft zur ernsthaften Kontroverse, zur Sinnkommunikation, zur Arbeit der Zuspitzung gefährden.

Prof. Dr. Peter Glotz ist Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen.

Sein hier gekürzt dokumentierter Text ist in Band 12 der Reihe «Medien und Märkte» der UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz, erschienen: Peter Glotz/Robin Meyer-Lucht (Hg.): «Online gegen Print. Zeitung und Zeitschrift im Wandel» (29 Euro). Der Band enthält auch die ausführlichen Ergebnisse der angesprochenen Delphi-Studie, die Studien über den Anzeigenmarkt sowie Fallstudien unter anderem über die Netzeitung, «NZZ online», «New York Times Digital», «Spiegel online» und «Faz.net».

 
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Bezugsquellen
  • Amazon.de
  • UVK-Verlag direkt

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