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Praktikum
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Unterrichtsmethoden in sozialwissenschaftlichen Fächern: Praktikum

Das Praktikum

Ulrike Winkelmann

Inhalt

1. Kurzbeschreibung
2. Portrait
3. Anwendungsfelder
4. Herkunft und Entwicklung
5. Hinweise zur praktischen Umsetzung
6. Anspruch und Grenzen
7. Literatur

 

1. Kurzbeschreibung

Das Schülerpraktikum ist eine schulische Veranstaltung, die außerhalb des Lernortes Schule stattfindet. Organisatorische Gestaltung und inhaltliche Konzeption variieren von Bundesland zu Bundesland. Das alles umspannende Ziel des Praktikums ist, dass Schüler Einblick in die Arbeitswelt und in betriebliche Abläufe bekommen oder/und Erfahrungen mit einzelnen Berufen machen sollen.

2. Portrait des Praktikums

An den Schulen werden Schülerpraktika unter den unterschiedlichsten Fragestellungen durchgeführt, in Form von Orientierungspraktika, in denen Schüler in Betrieben einzelne Aspekte, z.B. den Zusammenhang von Arbeit und Lohn bearbeiten sollen, als Betriebspraktika, in denen im Rahmen der ökonomischen Bildung Einblicke in das komplexe System eines Betriebes gewonnen werden sollen, als Berufsvorbereitungspraktikum, in dem Schüler ausprobieren können, ob ein bestimmter Beruf für sie geeignet ist oder als Kontrastpraktikum, in dem der Berufswunsch und die Berufsvorstellungen mit davon abweichenden betrieblichen Verhältnissen konfrontiert werden sollen.

Schülerpraktika bieten die Möglichkeit, Phänomene der Arbeitswelt und betriebliche Systeme aus eigener Anschauung zu erleben sowie Sachzwänge und Grenzen der Berufsvorstellungen zu erfahren. Sie werden größtenteils im Rahmen des Wirtschafts- und Arbeitslehreunterrichts sowie des Faches Sozialwissenschaften durchgeführt. Für Schülerpraktika sind ein unterrichtliches Konzept und die Einbindung in Fachunterricht erforderlich: Der Dumont-Werbespruch für Reiseführer "Man sieht nur, was man weiß" trifft in besonderem Maße auch auf das Praktikum zu. Werden Schüler ohne Vorbereitung in die Arbeitswelt geschickt, läuft man Gefahr, dass der Bildungswert gering bleibt und lediglich "aus dem Bauch" gewonnene, bereits vorhandene Vorurteile verstärkt werden, ohne dass sie hinterfragt oder in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Die punktuell im Praktikum gewonnenen Erfahrungen werden verallgemeinert, ohne auf ihren Realitätsgehalt überprüft worden zu sein.

Die Durchführung von Praktika unter bestimmten Fragestellungen bietet eine sehr gute Möglichkeit, soziale und ökonomische Erfahrungen außerhalb der Schule zu machen, andere Bereiche in den "Unterricht" hereinzuholen und sozialwissenschaftliche und ökonomische Probleme handlungsorientiert und schülernah zu thematisieren. Im Rahmen des Praktikums können Methoden wie Hypothesenbildung und deren Überprüfung durch Befragungen, Erkundung u.ä. angewendet und geübt werden.

3. Anwendungsfelder

Praktika werden heute in Schulen in unterschiedlichster Form, Dauer, Intensität und Art der Vor- und Nachbereitung durchgeführt. So gibt es beispielsweise "Schnupperpraktika" von drei Tagen für Mädchen, in denen sie Erfahrungen mit technischen Berufen machen können, damit sie sich auch anderen, nicht frauentypischen Berufen öffnen. In der Oberstufe werden Praktika im Rahmen bestimmter Projekte durchgeführt. Vor allem dienen Praktika jedoch der Berufswahlorientierung und hier haben sie teilweise auch die Funktion einer "Probe-Lehre"’, indem die Betriebe das Praktikum nutzen, um Auszubildende zu rekrutieren oder zu beurteilen.

4. Herkunft und Entwicklung

In den Fünfzigerjahren , wurden in den Schulen – abgesehen von wenigen Bundesländern, die bereits Hauptschüler für einige Zeit in Betriebe schickten – keine Praktika durchführt. Das änderte sich erst Anfang der Sechzigerjahre mit der Einrichtung des Deutschen Ausschusses des Bundestages und der Etablierung der KMK (Kultusministerkonferenz), die den Schülerpraktika einen großen Stellenwert einräumten. Man verfolgte damit die Ziele, den Schülern Einblicke in die Arbeitswelt zu verschaffen, sie über die Wirtschafts- und Arbeitswelt unter unterschiedlichen Aspekten – vor allem technischen, ökonomischen und sozialen – zu orientieren, sie zu einem Arbeitsverhalten zu erziehen, das Arbeitstugenden, wie z.B. Konzentration, Genauigkeit, Teamarbeit und Flexibilität umfasst, und sie zu ihrer Berufswahlentscheidung hinzuführen.
Didaktische Konzepte zum Praktikum reichen von der Probe-Lehre über die Anpassung an die Erfordernisse der Arbeitswelt bis zur kapitalismuskritischen Bewusstseinsbildung.

Im Mittelpunkt der didaktischen Diskussion stand dabei der Stellenwert der Berufsorientierung. Zu den wichtigsten Ansätzen gehörte das Konzept von Franz-Josef Kaiser (1971), der der Ansicht war, das Praktikum sollte nicht der Berufsfindung dienen, sondern Einblick in die Sozialstruktur der Wirtschafts- und Arbeitswelt geben. Andere stellten die Berufswahlorientierung in das Zentrum ihrer Konzepte, etwa Georg Groth, Ilse G. Lemke und Peter Werner (1971) oder Hans K. Platte (1986), dessen Konzept große Verbreitung erfuhr. Platte betrachtete das Praktikum als Schule im Betrieb und entwickelte detaillierte Einsatzpläne für Praktikanten zu 16 unterschiedlichen Berufen.

Ein sehr umfangreiches und theoretisch fundiertes Konzept, das von einer kritischen Berufsorientierung und einem kritischen Berufsrollenverständnis ausgeht, wurde von Jürgen Feldhoff, Karl A. Otto, Jürgen Simoleit und Claus Sobott (1985) vorgelegt. Im Unterschied zur Aspektdidaktik, die die Arbeitswelt unter verschiedenen, aber nicht zusammenhängend thematisierten Aspekten betrachtet und analysiert hat, steht dieses Konzept in einem thematischen Zusammenhang: Rationalisierung und Humanisierung. Das Praktikum wird in Projektform durchgeführt und als dreiphasige Einheit organisiert: Das eigentliche Praktikum wird in mehrtägigen Projekten vor- und nachbereitet, die, wie das Praktikum selbst, in außerschulischen Einrichtungen stattfinden sollen. Das Ziel ist, eine möglichst rationale Entscheidung für einen Beruf anzustreben. Ausgehend von dem Bedürfnis der Schüler nach Berufswahlorientierung werden unter verschiedenen Aspekten Fragestellungen und Erwartungen an das Praktikum entwickelt. Die im Praktikum gemachten Erfahrungen sollen als Problem bewusst gemacht und auf allgemeine Kategorien zur Beurteilung von Berufsarbeit, wie Einkommen, Arbeitsplatzsicherheit, Schutz vor Belastung und Dequalifizierung etc., bezogen werden. Die Schüler sollen lernen, Berufschancen und Anforderungen unter der Perspektive der Veränderung und Veränderbarkeit zu beurteilen. Als thematischer Ausgangspunkt wurde der Problemzusammenhang von Rationalisierung und Humanisierung gewählt, weil mit dieser Thematik wesentliche Strukturmerkmale der Arbeitswelt und ihrer Entwicklungsdynamik erfasst und konkretisiert werden können. Schüler sollen den Realitätsgehalt ihrer Erwartungen kritisch überprüfen, Kriterien zur Beurteilung von Interessenstrukturen und Handlungsmöglichkeiten gewinnen und ein Problembewusstsein entwickeln. Sie sollen die Arbeitssituationen als Resultat der Doppelwirkung von ökonomisch-technischen Erfordernissen und interessenbezogener Einflussnahme auffassen und damit als veränderbar begreifen. Nach diesem Konzept hat Beruf auch eine emanzipatorische Funktion: Problemlösung, Selbstverantwortung und Berufsrollenverständnis sollen nicht auf Anpassungsleistungen beschränkt bleiben.

5. Anspruch und Grenzen

Zahlreiche Untersuchungen, die allerdings nur bis in die Mitte der Achtzigerjahre reichen, zeigen, dass das Praktikum von den daran beteiligten Gruppen – Schülern, Lehrern und Eltern, Betriebsbetreuer und Schulministerien – fast einheitlich als positiv beurteilt wurde. Diese Gruppen räumen dem berufsorientierenden Aspekt einhellig den ersten Platz ein. Doch in der didaktischen Diskussion ist gerade der Erfolg der berufsorientierenden Funktion des Praktikums umstritten. Umfragen zufolge wird die Möglichkeit der berufsorientierenden Erfahrung im Praktikum gering bewertet. Ein wichtiges Problem besteht darin, dass die Betriebswahl die Berufswahl verdunkelt. Schüler nehmen im Betrieb bevorzugt solche Informationen auf, die ihre schon vorhandenen Erwartungshaltungen bestärken. Sie reduzieren die wahrgenommene Komplexität des Praktikumbetriebes nach individuellen, häufig vorbewussten Kriterien; vor allem werden Berufswünsche verstärkt (Hans-Eberhard Modick/Manfred Hübner). Schüler sind im Praktikum einer Vielfalt diffuser Eindrücke ausgesetzt. Darüber hinaus existieren systematische Einschränkungen der Erfahrbarkeit von berufsrelevanten Aspekten, auch von Rationalisierung und Humanisierung. Probleme ergeben sich außerdem, wenn sich herausstellt, dass Betriebe für ein Praktikum ungeeignet sind. Bei einem einmaligen Praktikum kann diese punktuelle negative Erfahrung nicht relativiert werden. Deshalb werden gelegentlich mehrere Praktika gefordert.

Ein Praktikum ist auch ein Lenkungsinstrument für die Berufswünsche. Da die Schülerpraktika selten schulbezirksübergreifend durchgeführt werden sind die Schülerinnen und Schüler an das mitunter einseitige und begrenzte Angebot an Praktikumsbetrieben in ihrem Wohnort gebunden und können nur eingeschränkte Erfahrungen machen. Berufswünsche werden so kanalisiert und an die vorhandene Angebotsstruktur angepasst.

Schließlich kann kann das Praktikum für Betriebe ein Auswahlinstrument für potenzielle Bewerber sein.

6. Hinweise zur Umsetzung

Bei der Durchführung von Praktika in Schulen kann man vier zentrale Probleme feststellen: unzulängliche inhaltliche Vorbereitung durch die Schule, fehlendes didaktisches Hineindenken in die Praktikantensituation des Betriebes, mangelhafte Betreuung, unzulängliches Erkennen und Nutzen der Lernerfahrungen aus dem Praktikum seitens der Schulfächer. Das Praktikum wird so zu einer frei schwebenden Sonderveranstaltung, die kaum etwas von den ihr möglichen Lernqualitäten entwickeln kann.

Der Vorschlag von Günter Reuel und Klaus Schneidewind (1989), Berufsorientierung durch Erwerbsarbeitsorientierung zu ersetzen, da sich auf jede Form der Erwerbsarbeit universelle Erkenntnismöglichkeiten beziehen, z. B. Geschlecht und Arbeitsrolle, Fremdbestimmtheit, Rationalisierung etc., ist hilfreich. Reuel und Schneidewind unterscheiden im Hinblick auf die Einbettung in ein Konzept drei Perfektionsstufen des Praktikums:

  • Isolationsmodell: Das Praktikum steht isoliert im Schulalltag und hat keinerlei Anbindung.
  • Dreischritt oder Kontextmodell: Die drei Phasen führen zum gewollten Ganzen, dem Lehr-Lern-Verbund mit Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung.
  • Integrationsmodell: Das Praktikum ist eingebettet in ein Schulfach, idealerweise in Arbeitslehre (Wirtschaft und Technik).

Generell kann man feststellen, dass es keine eindeutige und allgemein gültige Handlungsanweisung zur Durchführung von Praktika an einer Schule geben kann. Trotzdem können einige Aspekte zusammengefasst werden, die die praktische Durchführung in der Schule erleichtern und den Erfolg ermöglichen.

Erstens sollten die Erwartungen in Bezug auf Berufswahlorientierung nicht zu hoch sein. Zweitens sollten Praktika inhaltlich und organisatorisch gut vorbereitet und auch ausgewertet werden. Drittens sollte man möglichst ein festes Team bilden, das sich mit dem Praktikum befasst, und nicht, wie in vielen Fällen üblich, die Organisation den Klassenlehrern aufbürden. Viertens erfordert die Beteiligung der beiden Institutionen Schule und Betrieb, dass diese in einem bestimmten Rahmen zeitlich und personell zusammenarbeiten. Fünftens ist es Aufgabe der Schule, dem Betrieb die Ziele zu vermitteln, die mit dem Praktikum verfolgt werden. Sechstens sollten die Fragestellungen zum Praktikum an Interessen von Schülern geknüpft sein, aber wichtige Aspekte der Arbeitswelt nicht auslassen. Der thematische Schwerpunkt des Bielefelder Modells "Projekt Betriebspraktikum" von Rationalisierung und Humanisierung hat auch heute noch seine Bedeutung, ist aber in den letzten Jahren gegenüber der Berufswahlorientierung in den Hintergrund getreten.

7. Literatur

Groth, Georg; Lemke, Ilse G.; Werner, Peter (1971): Betriebspraktikum für Schüler. Entwurf eines Arbeitslehre-Vorhabens. Weinheim, Berlin, u.a.

Faulstich-Wieland, Hannelore (1996): Das Betriebspraktikum, in: Dedering, Heinz (Hg.): Handbuch zur arbeitsorientierten Bildung, München.

Feldhoff, Jürgen; Otto, Karl. A.; Simoleit, Jürgen; Sobott, Claus (1985): Projekt Betriebspraktikum, Düsseldorf.

Hübner, Manfred (1995): Erkundung und Praktikum, in: Arbeiten und Lernen/Wirtschaft, 5. Jg. 1995, H. 19, S. 14-21.

Kaiser, Franz-Josef (1971) (Hg.): Theorie und Praxis der Arbeitslehre. Bad Heilbrunn.

Kaiser, Franz-Josef; Kaminski, Hans (1999): Methodik des Ökonomie-Unterrichts, Bad Heilbrunn, S. 316-330.

Platte, Hans Kaspar (Hg.) (1986): Lernen vor Ort. Anleitungen, Informationen und Fakten zum Betriebspraktikum. Bad Godesberg.

Themenheft (1995): Erkundung und Praktikum, Arbeiten und Lernen/Wirtschaft, 5. Jg., H. 19.

Reuel, Günter; Schneidewind, Klaus (1989): Das Betriebspraktikum, in: Arbeiten und Lernen/Wirtschaft, 11. Jg. 1989, H. 61, S. 10-16.


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