(Translated by https://www.hiragana.jp/)
NETZEITUNG 39 FRAGEN: «Was ich sah, hat mich glücklich gemacht»
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20070821112822/http://www.netzeitung.de:80/voiceofgermany/39fragen/369193.html
  • Letztes Update 13:26 - Dienstag 21. August 2007
Linie Teaser
 

«Was ich sah, hat mich glücklich gemacht»

23. Nov 2005 07:03

Philip Gröning (re.)
Bild vergrößern
Foto: X-Verleih
Der Dokumentarfilm «Die große Stille» über das Leben in einem Karthäuserkloster läuft mit großem Erfolg im Kino. Die Netzeitung sprach mit dem Regisseur Philip Gröning über das Leben der Mönche, die Stille hinter den Augen, und Gartenarbeit.
 

Von der Filmpremiere übers Filmfest Lüneburg zum Seminarraum. Philip Gröning ist viel unterwegs im Moment. Zur verabredeten Telefonzeit ist nur die Mailbox dran: ich melde mich, sagt eine leicht gehetzte Stimme auf deutsch und englisch.

Zehn Minuten später ist es mit der Hektik vorbei. Philip Gröning wirkt ruhig, konzentriert und auf diskrete Weise freundlich. Für einige Sekunden ist da nur das Rauschen der Leitung.


1 Wo befinden Sie sich gerade?

In der Filmhochschule in Ludwigsburg.

2 Was sehen Sie?

Eine schräge Wand und die Zeichnungen der Animationsklasse, die hier unterrichtet wird.

3 Und was hören Sie mit dem Ohr, das nicht am Hörer liegt?

Das Rascheln meiner Jacke.

4 Ihr Lieblingsgeräusch im Kloster?

Das Geräusch der Türen im Kreuzgang. Wenn man hörte, wie sich in weiter Entfernung etwas bewegt hat. Ein Wahnsinnsgeräusch. Man hört, wie eine Tür hinter zwei Türen geöffnet oder geschlossen wird, und es gibt diesen riesigen Schallraum.

5 Wieso wollten sie das Leben im Kloster filmen?

Ich wollte mich selbst zur Ruhe bringen, als Gegengewicht zu der Hektik in der Filmwelt, in der ich damals meinen ersten Kurzfilm gedreht hatte. Und ich dachte, dass ein Film über das Schweigen im Kloster ein Film in seiner pursten Form werden kann. Ein Film über Zeit. Das hat mich fasziniert. Außerdem dachte ich, dass es mir guttun würde.

6 Über zehn Jahre haben Sie auf die Drehgenehmigung für das Karthäuser-Kloster gewartet. Als Sie den Prior das erste Mal fragten, sagte er: «noch nicht». Was meinte er damit?

Damals hatte das Kloster gerade drei neue Mönche aufgenommen, und er sagte, dass sie zehn, fünfzehn Jahre bräuchten, um sich einzuleben. Vielleicht hat er aber auch gemeint, dass ich damals noch zu jung war.

7 In dem Buch «Reise in die Stille» beschreibt der Reiseschriftsteller Patrick Leigh Fermor seinen Aufenthalt in einem Trappisten-Kloster. Die ersten Tage war er nur müde. Sie auch?

Total müde. Absolut erschöpft. Wenn die Reize wegfallen, merkt man, wie ausgepowert man ist. Und auch traurig.

8 Wie sah der Tagesablauf der Mönche aus?

Sehr kompliziert, weshalb er im Film auch nicht wiedergegeben wird. Im Groben gesagt: Man geht um acht Uhr abends ins Bett, steht um zwölf wieder auf. Bis halb drei ist Nachtmesse in der Kirche. Zurück in der Zelle, betet man, schläft bis sieben, betet für sich, dann geht´s wieder zur Messe in die Kirche. Dann hat man in der Zelle einen Moment für sich - Freizeit, wo man mal einen Keks essen kann.

Dann kommt eine Gebetsstunde. Dann arbeitet man. Dann kommt um zwölf wieder ein Gebetsmoment und das Mittagessen. Am Nachmittag gibt es Gartenarbeit, Gebetsstunden, Vesper. Gebet in der Zelle, in der Kirche, wieder in der Zelle. Ausklang in den Abend. Und dann ist es auch schon wieder acht.

9 Was haben sie getan, während die Mönche gebetet haben?

Auch gebetet. Manchmal auch gefilmt. Aber natürlich kann man so ein Leben nicht verstehen, wenn man es nicht teilt.

10 Was ist ein Gebet?

...Hm. Ein Gebet ... ist ein Moment von Klarheit.

11 Was passiert mit der Sprache im Kopf, wenn man schweigt?

Die verschwindet auf eine Art, bildet sich zurück. Also all das, was wir vorhaben: wo will ich in fünf Jahren sein, was ist mein Lebensplan? Das Konzepthafte verschwindet. Die Sprache wird momenthafter, bruckstückhafter und auch ruhiger. Die Assoziationen verdrängen das geschlossene Denken.

12 In welchen Körperteil spürt man die Stille am intensivsten?

Ich denke im Hals und in der Brust. Vielleicht auch hinter den Augen.

13 Zu den schönsten Sequenzen im Film gehören die Bilder vom Wasserbecken, in das die Mönche im Vorbeigehen ihre Fingerspitze tauchen. Verändert die Stille das Verhältnis zu den Dingen?

Sehr. Die Dinge werden viel genauer wahrgenommen. Die Dinge werden zum Gegenüber und zur Tröstung. Man versteht, dass die Welt Schöpfung ist. Wir schauen die Dinge an, und sie kommen uns entgegen, wie Heidegger vielleicht sagen würde. Man sieht genauer und wird glücklicher. Das, was ich gesehen habe, hat mich manchmal nur glücklich gemacht.

14 Wann berühren sich Mönche?

Extrem selten. Bei der Aufnahme, da gibt es eine rituelle Umarmung. Diese Umarmungen gibt es auch während der Messen. Sonst fast nie. Natürlich in Situationen, wo jemand krank ist, aber sonst fast nie.

15 Haben Sie Aggressionen erlebt?

Ich habe einmal aus großer Entfernung gesehen, wie sich zwei gestritten haben. Es ging, glaube ich, um Gartenbaufragen. Aber ich habe aber nie erlebt, dass Mönche sich dauerhaft bekämpft haben.

16 Gab es Mönche, die etwas gegen den Film hatten?

Ja. Ein Mönch hat klar gesagt, dass er nie im Bild und nie im Ton sein will. Zu dem hatte ich persönlich ein sehr gutes Verhältnis, weil ich ihm die meisten Zettel schreiben musste: Jetzt drehe ich an der Ecke, morgen am Weihwasserbecken. Da gab es eine sehr schöne Situation, weil dieser Mönch mir mal geholfen hat, ein Stativ durch den Schnee zu tragen. Er sagte: er sei zwar gegen den Film, aber als Mensch wollte er mir helfen.

17 Welche Tageszeit war die anstrengendste?

Morgens. Um sieben aufzustehen, wenn ich die Nachtmesse mitgemacht hatte.
Der unterbrochene Schlaf macht zwar tagsüber klar, aber morgens war es hart.

18 Zufall oder Schicksal?

Schicksal.

19 Was ist ein Kloster?

Ein Kloster ist ein Raum, eine Gemeinschaft, in der Menschen genauer hinschauen und hinhören. In dem sie Selbstlosigkeit erfahren. Ein in Stein gebautes Lebenskonzept. Eine der absoluten Grundformen des Lebens.

20 Wie haben Sie mit den Mönchen kommuniziert?

Zum großen Teil durch kleine Zettel, die ich geschrieben und in Zettelkästen gelegt habe. Einmal in der Woche – bei den Spaziergängen – haben wir auch gesprochen. Beim Drehen konnte ich auch ein, zwei Sätze sagen, weil die Karthäuser kein rigides Schweigeverbot haben. Es gibt auf der ganzen Welt keinen Orden, wo man eintritt und nie wieder spricht. Es geht darum, Stille zu ermöglichen und pragmatisch zu sein. Statt langer Reden einfach nur: Dies Kabel da hinten, hat das Strom?

21 Wo war die Stille am tiefsten?

In der Kirche.

22 Sind die Porträtaufnahmen von den Mönchen, die man im Film sieht, sprachlos abgelaufen?

Das war lustig. Das waren ja die Anfangssachen. Ich hatte am Anfang Angst vor mir selbst mit der Kamera. Die Mönche hatten keine Angst, aber ich hatte Panik, dass ich stören könnte und wollte diese Panik mit einem Sprung überwinden, durch eine direkte Konfrontation: Kamera – Mönch. Während der Aufnahmen haben mich einige Mönche gefragt, was sie tun sollen – aber ich habe geschwiegen. Das ergab einen spannenden Austausch der Rollen.

23 Ich war selber mal zur Meditation eine Woche lang in einem Kloster. Da wurde auch nicht gesprochen, wir sollten aber auch nicht mit Blicken kommunizieren. Wie war das bei ihnen?

Mit Blicken schon. Wenn sich zwei Mönche auf dem Kreuzgang begegnen, schauen sie sich in die Augen und deuten eine kleine Verbeugung an. Diese kleinen Zärtlichkeitsgesten sind sehr wichtig für die Gemeinschaft, für die Aufgehobenheit in der Einsiedelei. Einmal – aber das war in einem anderen Kloster – gab es eine schöne Geste: Ein Mönch hat seine Hand in das Weihwasser getaucht und das Wasser dann an seinem Finger in die Hand eines anderen weitergeben.

24 Worin ähnelt das Leben eines Mönchs dem Leben eines Künstlers?

Beide verzichten auf vieles, um sich einer Wahrheitssuche hinzugeben. Beide brauchen einen Raum für sich allein, um tiefer zu kommen. Es ähnelt sich darin, dass es kein Ergebnis gibt, dass die Gesellschaft unmittelbar braucht. Es ist eher die Ausstrahlung, die die Gesellschaft braucht. Bei den Mönchen ist es wichtig, dass man weiß: so ein Leben gibt es! Bei Künstlern erlebt man dieses Leben in der Abstrahlung der Kunst. Es gibt viele Ähnlichkeiten, deshalb hat mich das auch so fasziniert.

25 Die größte Angst beim Filmemachen?

Die größte Angst ist, einen schlechten Film zu machen, der dem Thema nicht gerecht wird. Unscharf und behauptet. Wenn ich merken würde, ich tue etwas falsches, und ich kann es nicht verhindern. Aber ich habe keine Angst davor, einen Film zu machen, der kein Publikum findet.

26 Was hätten Sie anstelle eines Filmemachers werden wollen?

Erst wollte ich Astrophysiker werden und dann Psychiater. Maler wäre ich auch gern geworden. Aber das wäre ich eigentlich jetzt auch noch gern. Mal schauen, was passiert.

27 In der «Berliner Zeitung» stand, sie hätten den «vollendeten Film» gedreht. Dann könnten sie jetzt aufhören?

Woran würde man das erkennen? Nee, ich mach das lieber weiter. Dafür macht es zuviel Spaß.

28 Gibt es etwas, was ihnen an «Die große Stille» nicht gefällt?

Nicht wirklich.

29 Gab es mal den Impuls abzubrechen?

Klar, oft. Als die mich ´99 anriefen, habe ich mich gefragt, ob ich das nach fünfzehn Jahren noch machen soll. Und dann beim Drehen war ich wahnsinnig oft erschöpft. Da gab es Momente, wo ich dachte, ich sehe nichts mehr, ich kann gar nichts Gültiges erzählen. Auch im Schnitt. Wo ich manchmal dachte, ich kriege die Form nicht zu einer Geschlossenheit. Der Schnitt hat ja auch zweieinhalb Jahre gedauert.

30 Wollten Sie mal im Kloster bleiben und Mönch werden?

Zwischendurch, ja. Ich hatte bei einer Wanderung einen Unfall und bin sechs Meter tief einen Fels runter gefallen, ohne mich zu verletzen erstaunlicherweise. Danach habe ich zehn Tage nichts gedreht – da kam der Gedanke, den Film sein zu lassen und da zu bleiben. Aber der ist wieder verschwunden, weil mir schon klar war: man hat verschiedene Leben, verschiedene Rollen. Ich bin zu sehr Künstler und liebe meine Arbeit zu sehr, als dass ich ein kontemplativer Mönch sein könnte. Es ist ein sehr faszinierendes Leben, was sie führen, aber ich muss weiter hinter der Kamera bleiben.

31 Auch wenn Sie sehr diskret gefilmt haben, durchschneidet die Kamera das innige Band zwischen Mönch und Gott. Ist der Verrat eine Begleiterscheinung des Filmens?

Nein. Ich glaube auch nicht, dass in diesem Film jemand oder etwas verraten wurde.

32 Was war die größte Schwierigkeit beim Schneiden des Films?

Einen Rhythmus zu finden, der nicht sprachlich ist. Alles, was ich an Dramaturgie wusste, musste ich vergessen, denn immer, wenn ich dramaturgische Formeln angewendet habe, ist der Film mir auseinander gebrochen. Schwierig war auch, außerhalb des logischen Denkens einen Erfahrungsraum zu bauen, den es vorher noch nicht gegeben hat. Von dem Maler Mark Rothko kann man das lernen. Auf der malerischen Ebene.

33 Wie kommen die Ideen zu ihnen?

Nachts, ganz plötzlich. Meistens, wenn ich mir vornehme, eine Weile nichts zu tun. Nicht zu lesen, mich nicht zu verabreden, keine Geschäfte zu machen. Gar nichts. Dann kommen die Ideen aus der Leere, schlagartig.

34 Wer oder was filmt in Ihnen?

Oh. Immer mehr ich selbst. Früher hätte ich gedacht, da filmt Tarkowski oder Wenders mit. Inzwischen glaube ich, bin ich es immer mehr selbst.

35 Gibt es Worte über den Film, die sie verletzt haben?

In Venedig hat mir eine Frau auf einem Empfang erzählt, dass ihr jemand gesagt habe: der Film sei vollkommen pervers. Auch, wie die Mönche leben, sei pervers. Die seien die christliche Taliban-Fraktion. Das war verletzend.

36 Was gibt Trost?

Trost ist manchmal schwierig. Feuer. In meiner Wohnung heize ich mit Öfen. Natur. Die Menschen, die mir wirklich nah sind. Aber mehr noch Natur.

37 Wie hat der Prior den Film aufgenommen?

Wir haben den Film zusammen gesehen. Danach hat er gesagt: Das ist ein großes Werk.

38 Was vermissen Sie aus der Zeit am meisten?

Meine Zelle. Den perfekten Raum. Die Abgeschottetheit auch.

39 Und jetzt?

Jetzt werde ich versuchen, meinen Studenten zu erklären, wie man Filme macht, obwohl ich auch nicht genau weiß, wie man´s macht.

Mit Philip Gröning sprach Andreas Schäfer.



Drucken Mister Wong Yigg Google del.icio.us Oneview Webnews

Aus anderen Ressorts:

Altpapier vom Dienstag

Unwahr ist, dass Christian Ulmen für den Geschäftsführerposten bei der kriselnden ProSiebenSat1 AG gehandelt wird Foto: Pro Sieben
Bild vergrößern
Das Privatfernsehen bemüht sich proaktiv um sein Werbesystem. Doch es mangelt ihm inzwischen auch an Paradiesvögeln.

Irakischer Zivilist opfert sich für US-Soldaten

Amerikanische Truppen im Irak Foto: AP
Bild vergrößern
Ein Iraker hat einen Selbstmord-Anschlag auf amerikanische Soldaten verhindert. Er rettete mehreren Menschen das Leben, starb aber selbst durch die Bombe.
  •  
  • zum Seitenanfang
    Geschäftsführer: Dr. Robert Daubner | Chefredakteurin: Domenika Ahlrichs | Impressum
    NZ Netzeitung GmbH · Albrechtstr. 10 · 10117 Berlin · Tel.: 030 240 888-0 · Fax: 030 240 888 801
    Alle Rechte © 2007 NZ Netzeitung GmbH
     
    Vermarktung: Online Media Sales Group GmbH
     
    IT & Security by Procado
     
    [ai:ti]-Quotes&Charts;: IT Future AG
    Quellen der Börsendaten: IT Future AG, Standard&Poor;'s Comstock Inc. und weitere.