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DEUTSCHLAND ai Jahresbericht 2005
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Jahresbericht 2005

Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2004

DEUTSCHLAND

Amtliche Bezeichnung: Bundesrepublik Deutschland

Staatsoberhaupt: Horst Köhler (löste im Juli Johannes Rau im Amt ab)

Regierungschef: Gerhard Schröder

Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft

Statut des Internationalen Strafgerichtshofs: ratifiziert

UN-Frauenrechtskonvention und Zusatzprotokoll: ratifiziert


     
Im Berichtszeitraum wurden der Polizei Misshandlungen und übermäßiger Einsatz von Gewalt vorgeworfen. Die im Vorjahr entbrannte Diskussion über die Frage, ob die Anwendung der Folter durch die Strafverfolgungsbehörden in bestimmten Situationen zulässig sei, hielt an.

Hintergrundinformationen

Nach langem Zögern empfahlen die Innenminister und -senatoren der 16 Bundesländer auf ihrer Sitzung im Juli die Ratifikation des Zusatzprotokolls zum UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Das Zusatzprotokoll sieht unter anderem eine Kontrolle der Hafteinrichtungen durch ein auf nationaler Ebene eingerichtetes unabhängiges Gremium vor. Über die Umsetzung dieser Vorgabe wurde Ende des Berichtszeitraums noch debattiert.

Der Deutsche Bundestag ratifizierte das Zusatzprotokoll zum UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes, das die Rechte von Kindern in bewaffneten Konflikten behandelt. Bedauerlicherweise machte der Bundestag den Vorbehalt, dass Minderjährige ab dem Alter von 17 Jahren weiterhin freiwillig in die Bundeswehr eintreten können.

Misshandlungen und übermäßige Gewaltausübung durch die Polizei

Im Januar veröffentlichte amnesty international einen Bericht über Misshandlungen und übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, in dem beispielhaft 20 Fälle dargestellt und eine Reihe ähnlicher Vorwürfe aus anderen Quellen zitiert wurden. In dem Bericht forderte die Organisation sowohl die Bundesregierung als auch die Regierungen der 16 Bundesländer auf sicherzustellen, dass solche Vorwürfe unverzüglich und unparteiisch untersucht, Statistiken über mögliche polizeiliche Misshandlungen geführt und solche Fälle durch ein unabhängiges Kontrollgremium überprüft werden. Mitarbeiter von amnesty international diskutierten den Bericht und die darin enthaltenen Empfehlungen mit Vertretern von Polizei und Regierung sowie mit anderen Sachverständigen, doch hatten bis Ende 2004 weder die Bundesregierung noch eine der Landesregierungen die von der Organisation unterbreiteten Vorschläge aufgegriffen.

In vielen der von amnesty international untersuchten Fälle wurden Strafverfahren gegen Polizeibeamte entweder eingestellt oder endeten mit Freisprüchen. Nur in einem Fall, dem von Aamir Ageeb (siehe unten), wurden Polizeibeamte verurteilt.

Die 44-jährige Swetlana Lauer, eine aus Kasachstan stammende deutsche Staatsangehörige, erhob den Vorwurf, im Februar 2002 in ihrer Wohnung im bayerischen Hallstadt von mehreren Polizeibeamten misshandelt worden zu sein. Das Strafverfahren gegen die beteiligten Beamten wurde eingestellt, ein vom Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin gegen diese Entscheidung eingelegter Widerspruch im April 2003 abgewiesen. Das von der Bamberger Staatsanwaltschaft gegen Frau Lauer angestrengte Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und Beleidigung wurde durch einen außergerichtlichen Vergleich beigelegt, nachdem sie sich zur Zahlung von 210 Euro verpflichtet hatte. Im Mai wurden die Akten in dem Fall geschlossen.

Im Dezember 2000 soll der 49-jährige Josef Hoss in Sankt Augustin bei Bonn von Polizisten eines Sondereinsatzkommandos misshandelt worden sein. Auch dieses gegen die beteiligten Polizisten eingeleitete Verfahren wurde im Juni 2003 eingestellt und eine hiergegen erhobene Beschwerde von der Staatsanwaltschaft Köln im Februar 2004 abgewiesen. Der Rechtsanwalt von Josef Hoss legte gegen den Bescheid erneut Widerspruch ein, dem jedoch im April gleichfalls nicht stattgegeben wurde. Das Sondereinsatzkommando soll zwischenzeitlich aufgelöst worden sein. Über die von Josef Hoss geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche war bis Ende 2004 noch nicht entschieden worden.

Der 62 Jahre alte Walter Herrmann, ein politisch-sozial engagierter Mann, wurde Berichten zufolge im September 2001 von Beamten der Kölner Polizei misshandelt. Er erlitt mehrfache Verletzungen, die auf Misshandlungen durch Polizisten sowohl bei seiner Festnahme als auch später auf dem Kölner Polizeipräsidium zurückzuführen sein sollen. Im Februar sprach ein Kölner Gericht drei Polizeibeamte von der Anklage der Körperverletzung im Amt frei. Der Richter befand, es lägen nicht genügend Beweise dafür vor, dass Walter Herrmann die Verletzungen vorsätzlich zugefügt worden seien. Rechtsmittel gegen diese Entscheidung wurden im November zurückgewiesen und der Freispruch bestätigt.

Im Juli 2002 war der 30 Jahre alte René Bastubbe im thüringischen Nordhausen von einem Polizeibeamten erschossen worden, als er sich seiner Festnahme widersetzte und einen oder mehrere Pflastersteine auf den Polizisten warf. Als sich René Bastubbe bückte, um einen weiteren Stein aufzuheben, schoss ihm der Polizeibeamte aus einer Entfernung von mehreren Metern in den Rücken. Der junge Mann starb an den Folgen erheblichen Blutverlustes. Im Oktober 2003 sprach das Landgericht Mühlhausen den Polizeibeamten mit der Begründung frei, dieser habe in Notwehr gehandelt. Die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision wurde im Juni vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe abgewiesen.

Die kenianische Staatsangehörige Miriam Canning war Berichten zufolge im Juli 2001 von Polizeibeamten in Stuttgart misshandelt worden. Die Beamten hatten sie am frühen Morgen in ihrer Wohnung aufgesucht, um die Personalien ihres 19 Jahre alten Sohnes und ihres Cousins zu überprüfen, die in der Nacht in eine Polizeikontrolle geraten waren. Die Familie Canning erstattete wegen des Vorfalls Anzeige, doch stellte die zuständige Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Beamten ein. Bei diesen Ermittlungen waren offenbar mehrere wesentliche Fragen nicht weiter untersucht worden, vor allem nicht jene nach den Ursachen der von Miriam Canning erlittenen Verletzungen, die nach Einschätzung eines Arztes eine deutliche Übereinstimmung mit den von der Frau erhobenen Misshandlungsvorwürfen aufwiesen. Gleichwohl wurde im Oktober 2004 Miriam Cannings Schmerzensgeldforderung mit dem Argument abgewiesen, ihre Verletzungen seien eher auf Vernachlässigung oder Fahrlässigkeit als auf einen absichtlichen Angriff zurückzuführen.

Aamir Ageeb, ein sudanesischer Staatsangehöriger, war während seiner Abschiebung am 28. Mai 1999 auf dem Flug von Frankfurt über Kairo nach Khartum gestorben. Sachverständige hatten seinen Tod auf Ersticken zurückgeführt, verursacht durch die Art und Weise der Fesselung des Sudanesen im Flugzeug. Am 18. Oktober verurteilte das Landgericht Frankfurt am Main drei Beamte des Bundesgrenzschutzes wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge im Amt zu je neun Monaten Freiheitsstrafe, setzte diese jedoch auf Bewährung aus. Außerdem erhielten die Beamten die Auflage, an die Familie Ageebs eine Geldstrafe von jeweils 2000 Euro zu zahlen. Der Vorsitzende Richter stellte in der mündlichen Urteilsbegründung fest, nicht nur die drei schuldig gesprochenen Grenzschützer, sondern auch deren Vorgesetzte seien für den Tod des Sudanesen verantwortlich, weil sie weder klare Anweisungen erteilt noch während der Abschiebung eingegriffen hätten. Darüber hinaus, so der Richter, seien die Richtlinien für die Durchführung von Abschiebungen unzureichend. Einige dieser Bestimmungen sind nach dem Tod von Aamir Ageeb geändert und klarer formuliert worden.

Diskussion über Folter

In der Öffentlichkeit wurde weiterhin die Frage diskutiert, ob es unter bestimmten Umständen – beispielsweise als Mittel im Kampf gegen den »Terrorismus« – Strafverfolgern erlaubt sein solle, Folter einzusetzen. Die Debatte war durch einen Bericht ausgelöst worden, demzufolge der Polizeivizepräsident von Frankfurt am Main, Wolfgang Daschner, einen untergebenen Beamten angewiesen hatte, im Zusammenhang mit der Entführung eines elf Jahre alten Jungen bei der Vernehmung eines dringend Tatverdächtigen Gewalt anzuwenden. Wolfgang Daschner verteidigte sein Handeln in der Öffentlichkeit. Im Juni ließ das Landgericht Frankfurt am Main die Anklage gegen ihn wegen schwerer Nötigung zu. Am 20. Dezember wurden Wolfgang Daschner und ein untergebener Beamter für schuldig befunden, dem Verdächtigen Folter angedroht zu haben. Allerdings fand das Landgericht mildernde Umstände in diesen Fällen und beließ es bei einer strafbewehrten Verwarnung. Bei der mündlichen Urteilsbegründung ließ die Vorsitzende Richterin keinen Zweifel daran, dass Folter ein Verbrechen darstellt und sowohl gegen internationales als auch gegen Verfassungsrecht verstößt.

Mehrere führende Persönlichkeiten verurteilten in der Öffentlichkeit den Einsatz von Folter, gleichwohl versuchten einige in der Diskussion, Folterungen mit dem Argument zu rechtfertigen, in bestimmten Fällen müssten Ausnahmen vom grundsätzlichen Folterverbot möglich sein. amnesty international war weiterhin besorgt über das Ausbleiben einer aktiven und unmissverständlichen Klarstellung führender Politiker, dass die Bindung Deutschlands an das internationale Folterverbot unumstößlich ist.

Neues Zuwanderungsgesetz

Nach einer rund vier Jahre währenden Diskussion wurde ein neues Zuwanderungsgesetz beschlossen, das zum größten Teil am 1. Januar 2005 in Kraft treten sollte. Unter den neuen Bestimmungen können Opfer von Menschenrechtsverstößen durch nichtstaatliche Akteure sowie Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung als Flüchtlinge anerkannt werden. Auf der anderen Seite droht ein Großteil der neuen Regelungen die Rechtsstellung von Asylsuchenden und von Menschen ohne Aufenthaltstitel zu verschlechtern.

Berichte von amnesty international

Erneut im Fokus – Vorwürfe über polizeiliche Misshandlungen und den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt in Deutschland (ai-Index: EUR 23/001/ 2004)

EU arms embargoes fail to prevent German engines being incorporated into military vehicles available in Burma/Myanmar, China and Croatia (ai-Index: ACT 30/016/2004)

Europe and Central Asia: Summary of Amnesty International’s Concerns in the Region: January–June 2004: Germany (ai-Index: EUR 01/005/2004)

amnesty international

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