NZZ attackiert Rudolf Augstein
08. Dez 2000 12:09, ergänzt 12:12
Harte Attacke der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) gegen Rudolf Augstein: Sie wirft ihm «Weisswäscherei» ehemaliger Nazis und die Vernachlässigung der journalistischen Sorgfaltspflicht vor.
In ihrer Ausgabe vom 8. Dezember befasst sich die NZZ mit der Vergangenheit des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein. Die Kernvorwürfe sind zwar nicht neu. Die NZZ stellt sie jedoch in den Kontext mit der Absage der Börne-Preis-Verleihung an Augstein. Er hätte diesen Preis Anfang November erhalten sollen; die Veranstaltung in der Frankfurter Paulskirche wurde jedoch wegen Erkrankung abgesagt; wenige Tage nach der Absage war Augstein - sich offensichtlich bester Gesundheit erfreuend - in der Redaktion seines Blattes aufgetaucht.
Neuer Termin für die Preisverleihung
Die NZZ nennt nun einen neuen Termin für die Übergabe: Augstein soll am 13. Mai 2001 für seine Verdienste um den aufklärerischen Journalismus geehrt werden.Die NZZ zweifelt an seiner Preiswürdigkeit: Augstein habe ehemaligen Nazis nicht bloß im Rahmen des deutschen Wiederaufbaus Arbeit gegeben, sondern hochrangige Nazis gezielt protegiert.
Unter ihm seien ehemalige Hauptsturmführer der SS und Mitarbeiter aus Heydrichs gefürchtetem Sicherheitsdienst zum Ressortleiter oder auch zum stellvertretenden Chefredakteur aufgestiegen. Den persönlichen Pressereferenten von Goebbels habe Augstein mit einem von ihm unterschriebenen Presseausweis versehen und als Spiegel-Korrespondenten nach Südamerika geschickt, obwohl der noch immer für seinen alten Dienstherrn, den Reichspropagandaminister, schwärmte. Die Neue Zürcher: «Was unter Augstein betrieben wurde, sieht verdächtig nach Weisswäscherei aus.«
Alleintäterthese nicht haltbar
Auch seine Meriten als Hobby-Historiker stellt die NZZ in Frage: Augstein habe mit seiner Artikelserie zum Reichstagsbrand die Geschichte vom Alleintäter Lubbe als kanonisch durchgesetzt - eine Darstellung, die aufgrund neuer Forschungsergebnisse nicht haltbar sei.Die Zeitung zitiert den Soziologen Hersch Fischler mit Hinweisen, «dass die Altnazis im Spiegel vom sowjetischen Geheimdienst erpresst und abgeschöpft wurden». Marinus van der Lubbe als Sündenbock habe verhindern sollen, den Reichstagsbrand neu aufzurollen. Dabei habe ein hoher Ministerialdirektor - zuständig ausgerechnet für den Verfassungsschutz - gedeckt werden sollen. Fischler sieht in Augsteins Darstellung des Reichstagsbrandes «eine der übelsten apologetischen Geschichtsfälschungen in der deutschen Publizistik überhaupt».
Spiegel-Version: «eine Legende»
Ob dies bereits ausreicht, Augstein als Börne-Preis-Träger zu «delegitimieren» ist für die NZZ eine offene Frage. Allerdings: «Vernachlässigung der journalistischen Sorgfaltspflichtist das mindeste, was den Blattmachern vorzuwerfen wäre.» Die mit der deutschen Einheit zugänglich gewordenen neuen Akten «entlarven nun Dokument um Dokument die Spiegel-Version als Legende». Der Spiegel muss sich den Vorwurf gefallen lassen, seinem Publikum die «Auseinandersetzung mit der neuen Beweislage» «schuldig geblieben» zu sein. (nz)