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DeutschlandRadio Berlin - MerkMal - Kampf um die Pressefreiheit - Die Spiegel-Affäre 1962
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MerkMal
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25.10.2002
Kampf um die Pressefreiheit - Die Spiegel-Affäre 1962
Georg Gruber

"Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande" .... (Gemurmel im Saal) "Wer sagt das?" "Ich sage das!"

Ich - Konrad Adenauer, der Bundeskanzler. Tumultartige Szenen im Bundestag in Bonn, an drei aufeinander folgenden Tagen, Anfang November 1962. Fragestunden laufen normalerweise anders ab, Parlamentspräsident Eugen Gerstenmaier, CDU, musste immer wieder zur Ordnung rufen.

Je mehr Macht, auch journalistische Macht jemand in Händen hat, desto mehr ist er verpflichtet, die Grenzen zu wahren, die die Liebe zum Volke, jetzt stellen Sie sich.." (Gerstenmaier greift ein:) "einen Augenblick, meine Damen und Herren, was ist hier gerufen worden?... Lassen Sie den Herrn Bundeskanzler weiterreden!... Der Präsident dieses Hauses schützt die Redefreiheit, auch für den Bundeskanzler ..."

Der Anlass der hitzigen Debatten: die Spiegelaffäre, die Deutschland an den Rand einer Staatskrise brachte. Für die einen ging es um Landesverrat, für die anderen nach Maßnahmen gegen das Hamburger Nachrichtenmagazin "Spiegel" und der Verhaftung eines Redakteurs in Spanien um die Presse- und Meinungsfreiheit. Über die genauen Umstände wurden der Bundestag und die Öffentlichkeit lange im Unklaren gelassen, - wobei es manche mit der Wahrheit nicht ganz genau nahmen. Etwa Franz Josef Strauß, damals Verteidigungsminister, der beteuerte, er habe mit der ganzen Sache "im wahrsten Sinn des Wortes nichts zu tun."

"Ich wusste nicht, was kommt; ich wusste nicht, wann es kommt; ich wusste nicht gegen wen es kommt, usw."

Wer waren die Hauptakteure der Affäre neben Strauß? Auf der einen Seite Konrad Adenauer und Innenminister Hermann Höcherl, ein Parteifreund von Strauß.

"Offenbar ist auch hier so verfahren worden und das ist offenbar etwas außerhalb der Legalität, aber wir sind alle der Meinung (Gemurmel im Saal), es ist tatsächlich so, ich weiß gar nicht, warum Sie lachen"

Zwischen den Fronten: Justizminister Wolfgang Stammberger, FDP, der bei den Ermittlungen gegen den Spiegel übergangen wurde, so als wäre die Bundesanwaltschaft ein Teil des Verteidigungsministeriums. Und natürlich der Spiegel und sein Herausgeber.

"Am heutigen Mittag, 12 Uhr, ist der Herausgeber des Spiegel, Rudolf Augstein, verhaftet worden".

Der Verlagsleiter des Spiegel, Hans Detlev Becker, am 27. Oktober 1962, dem Tag nach der nächtlichen Durchsuchungsaktion in den Redaktionsräumen des "Spiegel", die einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik war - und auch blieb. Die Vorgeschichte: "Bedingt abwehrbereit", so hieß der Titel einer Spiegelgeschichte über die Bundeswehr und das Nato-Manöver "Fallex 62". Der Artikel ging mit Verteidigungsminister Strauß hart ins Gericht, der die Bundeswehr mit amerikanischen Atomwaffen ausrüsten wollte und darüber die konventionelle Ausrüstung vernachlässigt hatte - so der "Spiegel"-Vorwurf.

"Mit Raketen an Stelle von Brigaden und mit Atom-Granatwerfern an Stelle von Soldaten ist eine Vorwärtsverteidigung der Bundeswehr nicht möglich, eine wirksame Abschreckung bleibt fraglich."

Es war nicht das erste Mal, dass der Spiegel den Verteidigungsminister kritisierte, der sich anschickte, Nachfolger von Adenauer zu werden.

"Er war Gast in meinem Hause im Maienweg und benahm sich derart, dass ich gesagt habe: Der nicht!"

Unter dem Pseudonym Moritz Pfeil listete Rudolf Augstein immer wieder Skandale des Bayern auf und warnte vor einer "balkanische(n) Krankheit, die von München aus das Land infiziert." 1962 musste Strauß wegen der durch den "Spiegel" aufgedeckten Fibag-Affäre sogar vor einen Untersuchungsausschuß. In den Maßnahmen gegen das Nachrichtenmagazin sahen viele eine Racheaktion des Verteidigungsministers.

"Erlauben Sie mir aber hier auch eine persönliche Bemerkung: Hätte das Verteidigungsministerium, übrigens zu einem Zeitpunkt, wo ich noch fast eine Woche im Urlaub war, Anzeige erstattet, hätte es geheißen: Racheakt, erstattet es keine Anzeige, heißt es gern und leicht: Pflichtverletzung. Wo ist hier der Mittelweg? "

"...ferner sind unsere Redaktionsräume in Hamburg und Bonn teils versiegelt, bzw. unter Bewachung gestellt, versiegelt, teils durchsucht worden."

Landesverrat und aktive Bestechung - so lautete der Vorwurf.

"Ferner sind die Privatwohnungen des Herausgebers und der drei genannten Redakteure durchsucht und auch dort Materialien beschlagnahmt worden, u.a. ein Schulaufsatz von Rudolf Augstein, den man in einer Schublade fand."

Der Spiegel-Artikel "Bedingt Abwehrbereit" enthalte 37 zum Teil äußerst wichtige militärische Geheimnisse. Erst nach über 100 Tagen kam Rudolf Augstein aus der Untersuchungshaft frei.

"Herr Augstein, sind Sie während der Untersuchungshaft über das auf dem Laufenden gehalten worden, was außerhalb der Mauern des Untersuchungsgefängnisses in dem, was man die Spiegelaffäre genannt hat, geschehen ist?" - (Augstein:) " Nicht über alles, aber ich habe Zeitungen gelesen und habe Radio gehört, nicht fern gesehen, aber immerhin Radio gehört, insofern bin ich einigermaßen auf dem Laufenden geblieben."

In derselben Nacht, in der die Räume durchsucht worden waren, war auch der Autor des Artikels, Conrad Ahlers, im Franco-regierten Spanien verhaftet worden - ohne Rechtsgrundlage. Damit begann die eigentliche Affäre. Über Tage und Wochen versuchten Adenauer, Strauß und Höcherl, die Abläufe zu verschleiern. Auch gegenüber dem Bundestag.

"Wenn Herr Ahlers in Deutschland gewesen wäre und er wäre verhaftet worden, könnte keiner was sagen, nun war er zufällig in Spanien und da hat ihn dasselbe Missgeschick getroffen."

"Weil die Demokratie sich nur auf rechtstaatliche Weise verteidigen kann, ist das eine Schwäche, aber eine Schwäche, auf die wir stolz sind"

... antwortete der SPD-Bundestagsabgeordnete Arndt dem Bundeskanzler ...

"...dann macht es sehr wohl einen Unterschied, ob die Verhaftung unter Verstoß von Regeln in Malaga war oder mit einem Haftbefehl hier in Deutschland."

Die FDP hielt sich mit Kritik noch zurück, bis auf den Abgeordneten Döring, der mit Augstein befreundet war.

"Aber Herr Bundeskanzler, ich bin es nicht nur meinem Freunde, sondern auch dem Staatsbürger Augstein und allen anderen schuldig, dagegen zu protestieren, dass Sie hier sagen, Herr Augstein verdient am Landesverrat, dann haben Sie als erster hier ein Urteil gefällt, das zu fällen nur den Gerichten zusteht! (Beifall)"

Selbst zwei Wochen nach der Verhaftung von Conrad Ahlers tat sich Innenminister Höcherl schwer, den Vorgang zu rekonstruieren:

"Obwohl das gar nicht in meinem Dienstvertrag steht, dass ich jeden Tag bis 12 Uhr arbeiten muss, habe ich nun bis 12 Uhr abends festgestellt oder festzustellen versucht, ob nun anhand eines Postzettels festgestellt werden könnte, das ist nicht möglich ..."

Neben dem Innenminister saß Verteidigungsminister Strauß, der die zentrale Frage hätte beantworten können: Wer hatte an den Militärattaché Oster in Spanien die Weisung gegeben, die Verhaftung zu erbitten. Erst am dritten Tag der Fragestunden im Bundestag gab Strauß zu, persönlich mit dem Militärattaché gesprochen zu haben:

"Als der Militärattache sagte,- ich weiche dem nicht aus, das wäre eine völlig falsche Annahme oder Unterstellung - bei einem Anruf den Sachverhalt gar nicht glauben wollte und sagte, er kenne nur die Stimme des Ministers, bin auch ich mit ihm verbunden worden und habe ihm das wiederholt, was vorlag."

Aus der Spiegel-Affäre wurde eine Affäre Strauß, dessen Bekenntnisse im Bundestag noch immer weit von der Wahrheit entfernt waren. Das zeigte ein Bericht der Bundesregierung, der im Februar 1963 veröffentlicht wurde. Strauß war es, der die Weisung zur Verhaftung gegeben hatte und natürlich war er auch schon im Vorfeld der Aktion gegen den "Spiegel" über alles informiert. Auch dazu hatte er im Bundestag etwas anderes gesagt.

"Ich wusste nicht, was kommt; ich wusste nicht, wann es kommt; ich wusste nicht, gegen wen es kommt, usw."

"Meine Damen und Herren, in der deutschen Bevölkerung ist Unruhe, und diese Unruhe ist eine begrüßenswerte Unruhe."

Sprechchöre "Strauß rein - Augstein raus, Strauß rein - Augstein raus"

"Der Hamburger Innensenator Schmidt führte Protestdemonstrationen an, nicht um sie anzuführen, sondern um sie zu kanalisieren. Da kam der Gefängnisdirektor in meine geschrubbte Zelle und sagte: Hören Sie? Die sind alle für Sie. Da habe ich gelauscht und war zufrieden."

In den Tagen der Spiegelaffäre bildete sich zum ersten Mal eine außerparlamentarische Opposition. Studenten, Professoren, Gewerkschafter und auch die Schriftsteller der "Gruppe 47" protestierten gegen den Eingriff in die Pressefreiheit.

"Die Unterzeichneten drücken Herrn Rudolf Augstein ihre Achtung aus und sind mit ihm solidarisch. In einer Zeit, die den Krieg als Mittel der Politik unbrauchbar gemacht hat, halten sie die Unterrichtung der Öffentlichkeit über sogenannte militärische Geheimnisse für eine sittliche Pflicht, die sie jederzeit erfüllen würden."

Selbst die Bildzeitung war empört nach den peinlichen Verschleierungsversuchen im Bundestag.

"Die Bundesregierung hat sich blamiert. Es ist die Blamage des schwächsten und schlechtesten Kabinetts, das wir seit 1949 haben. Der Justizminister hat versagt. Der Verteidigungsminister hat die volle Wahrheit verschwiegen."

"Lesen Sie die Auslandszeitungen, wir haben allen Grund, dass nicht eine Spur an uns hängen bleibt. ...

Die Spiegelaffäre wurde auch im Ausland als Versuch gesehen, eine kritische Presse mundtot zu machen.

"Sie Pariser Tageszeitung "Le Monde" schrieb von Rache, die Strauß genommen habe. Die "New York Times" schrieb: 'Die Aktion gegen den Spiegel erinnert stark an die Zeiten der Gängelung der Presse durch staatliche Gewalt' - und das amerikanische Wochenblatt "Time" berichtete gar: 'Es hätte sich so auch in Hitler-Deutschland abspielen können'."

Der Versuch, den missliebigen "Spiegel" zu treffen und einzuschüchtern, scheiterte - stattdessen verlor Verteidigungsminister Strauß sein Amt. Das war eine der Bedingungen der FDP für die Fortsetzung der Koalition.

"Ertragen Sie mich, meine Damen und Herren, wir sind ja im selben Parlament, ich muss Sie ja auch ertragen"

Außerdem beharrte die FDP darauf, dass Konrad Adenauer, damals schon 86 Jahre alt, sein Amt in der Mitte der Legislaturperiode aufgab.

"Ich lese übrigens den "Spiegel" nicht, ich habe besseres zu tun"

Vier Wochen blieben die Räume des "Spiegel" versiegelt, dessen Macher aber in Ausweichquartieren weiter produzieren durften. Erst fast ein Jahr nach der Durchsuchungsaktion wurde der Großteil des beschlagnahmten Materials zurückgegeben, darunter auch zwölf Flaschen 1947er Monopol-Champagner. Die Auflage, zwischenzeitlich von 500.000 auf 700.000 gestiegen, hatte sich da bei 570.000 eingependelt. Die Verfahren wegen Landesverrats verliefen im Sande. Im März 1965 lehnte der Bundesgerichtshof die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen Ahlers und Augstein ab. Der "Spiegel" hatte sich in diesem Machtkampf um die Pressefreiheit behauptet. Die Karriere von Franz Josef Strauß bekam allerdings nur einen kleinen Knick. Er sah sich sowieso als Opfer eines "Massenwahns":

"Die Wahrheit spielte damals keine Rolle, nur die emotionalisierte, aufgeheizte Stimmung. Ich bin damals behandelt worden wie ein Jude, der es gewagt hätte, auf dem Reichsparteitag der NSDAP aufzutreten."

1966 saß Strauß als Finanzminister der Großen Koalition wieder in der Regierung. Und Conrad Ahlers, den er noch vier Jahre zuvor in Spanien hatte verhaften lassen, war mit von der Partie: Er bekam das Amt des stellvertretenden Regierungssprechers.
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