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EINIGE BEMERKUNGEN ZUR KRISE DER PSYCHOANALYSE
August RUHS
Welchen Wert aber hat diese Anerkennung angesichts der Tatsache, dass Freud wörtlich die Psychoanalyse nicht als Therapie empfohlen hat, sondern wegen ihres Wahrheitsgehaltes, wegen der Aufschlüsse, die sie uns gibt über das, was dem Menschen am nächsten liegt, nämlich sein eigenes Wesen. Um einer punktuellen Reduktion der Psychoanalyse vorzubeugen, hatte er schon 1926 geschrieben: "Der Gebrauch der Analyse zur Therapie der Neurosen ist nur eine ihrer Anwendungen; vielleicht wird die Zukunft zeigen, dass sie nicht die richtige ist. Jedenfalls wäre es unbillig, der einen Anwendung alle anderen zu opfern, bloss weil dieses Anwendungsgebiet sich mit dem Kreis ärztlicher Interessen berührt" (Freud, 1975, 339). Sicherlich, gerade die einseitige Inanspruchnahme der Psychoanalyse und auch der anderen Psychotherapieverfahren durch die Medizin, deren gesetzlich festgelegtes Behandlungsmonopol dazu führte, dass die sogenannten Laienanalytiker und Laienpsychotherapeuten immer am Rand der Illegalität arbeiten mussten, stellte einen Missstand dar, für dessen Behebung eine gesetzliche Neuregelung tatsächlich nahelag. Indem dadurch die Psychotherapie insgesamt auf eine breitere Basis gestellt werden sollte, erhofften sich auch viele Analytiker einen Aufschwung sowie einen Bewertungs- und Anerkennungszuwachs ihrer Disziplin. Mittlerweile müssen auch sie sich eingestehen, dass sie nicht auf der Gewinnerseite dieses Unternehmens stehen, dass sich ihre Erwartungen keineswegs erfüllt haben und dass die Art, wie die Psychoanalyse nunmehr staatlich reglementiert wird, einen vorläufigen Tiefpunkt in ihrer Abwärtsentwicklung darstellt. Diesen malignen Prozess von einem die Welt verändernden Denken zu einer Institution, welche mit einer Kirche oder einer politischen Partei gleichzusetzen sei, sieht Cremerius (1992, 64ff) auch schon im Schicksal der Psychoanalyse in der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, welches durch folgende Kennzeichen bestimmt sei:
- Eine Verflüchtigung des Sexuellen
- Das Aufgeben der Gesellschaftskritik
- Die Verschleierung der die Neurosen verursachenden und fördernden
Funktion der Gesellschaft
- Die Vernachlässigung des aufklärerischen,
emanzipatorischen Auftrages der Psychoanalyse
- Die Verdrängung von Freuds Theorie der Objektbeziehung,
wonach seine erschreckende Feststellung, dass der menschliche
Trieb nicht ein spezielles Liebesobjekt, ein "Du"
sucht, sondern ein "Sexualziel" beliebiger
Art, das nur die sexuelle Spannung lösen soll, mit jenen
Idealen verkleistert sei, die Freud als verlogen erkannt hätte
- Die Bindung der Psychoanalyse an Medizin, Psychiatrie und
Psychologie, d.h., den Ausschluss von Laien aus
den Psychoanalytischen Vereinigungen
- Die Pathologisierung der Homosexualität und der
daraus abgeleiteten Folgerung, Homosexuelle nicht zur
psychoanalytischen Ausbildung zuzulassen.
Als dessen hauptamtliche Totengräber fungieren übrigens gerade jene Vertreter unserer Zunft, an welchen immer schon ein gespaltenes Verhältnis zur Psychoanalyse aufgefallen ist, welche anderen Identitäten immer schon stärker zugeneigt waren und somit den Geist und den Buchstaben Freuds zu verstehen oder zu tradieren nicht imstande waren. Allerdings könnte das Grab leer bleiben, weil man den Körper, bevor er zum Kadaver geworden ist, aufgefressen haben wird. Denn unter den gegebenen Verhältnissen wäre der Tod der Psychoanalyse keineswegs ein Mord - wenn es wenigstens einer wäre! -, sondern ein Verschwinden im Sinne einer Phagozytose, einer Einverleibung. Denn die Königsdisziplin der Psychotherapie, Stammmutter aller jener Verfahren, welche vorgeben, einen schnelleren und weniger mühevollen Weg zum seelischen Heil gefunden zu haben und in welchen das suggestive Kupfer in der Legierung mit dem Gold der Psychoanalyse derart überwiegt, dass man rasch zu ihrer Anwendung schreiten muss, um nicht das Ablaufdatum zu überschreiten, muss nun zusehen, wie ihre Couch zu einem Prokrustesbett verwandelt wird, in das sich alles, was sich Psychotherapie nennt, und was von der monopolistischen Zentralmacht eines selbstgefälligen und selbstgerechten Dachverbandes als solches anerkannt worden ist, legen muss. Infolgedessen werden jedem psychotherapeutischen Verfahren nicht nur die buchstäblich von der Psychoanalyse abgekupferten Kriterien hinsichtlich eines nunmehr verallgemeinerten Anwendungsbereiches und einer generalisierten Zielvorstellung aufgezwungen, sondern es werden auch jene Grundzüge der Übermittlung der Lehre, wie sie als Eigenanalyse und als Kontrollanalyse die Eckpfeiler der analytischen Ausbildung darstellen, ausnahmslos jedwedem Vorgehen, das sich psychotherapeutisch nennt, unter den Begriffen von Selbsterfahrung und Supervision verbindlich vorgeschrieben. Notabene auch der Psychoanalyse selbst.
Grotesk nicht nur dies, sondern auch etwa die Vorstellung, wie sich eine Verhaltens- oder Familientherapie ihre sogenannte Selbsterfahrung organisieren wird, um den Buchstaben des Gesetzes treu zu sein (es ist allerdings anzunehmen, dass es genügend Zunftkollegen geben wird, die mit ihrem oft auch nur spärlichen Wissen die Konkurrenz mit diesbezüglichem Nachhilfeunterricht bedienen werden). In dieser einheitlichen psychotherapeutischen Klostersuppe, die fortan an alle Bedürftigen, an alle Mühseligen und Beladenen kostenlos ausgeschenkt werden soll, wird nun der Geist der Psychoanalyse, besser gesagt, die Psychoanalyse als Geist weiterleben. Wenn es, wie Lacan sagt, durchaus nicht gleichgültig ist, auf welcher Seite der Strasse die Psychoanalyse auf den Strich geht, und wenn sich herausstellen wird, dass das Strichabenteuer mit einem tödlichen Ausgang endet, dann ist es vielleicht eher möglich, dass dieser "Ghost of the father" seinen Hamlet finden wird, der schliesslich den Tod auf sich nehmend Rache nehmen wird an jenen Hunden, mit welchen sich die Mutter ins Bett gelegt hat, um mit Flöhen aufzustehen. Vorher wird man aber noch an jener Speise kosten, die uns ein Witz darbietet, in welchem die Frau eines armen alten Ehepaares sich bei ihrem Mann beklagt, dass die Reichen im Gegensatz zu ihnen selbst sich stets an köstlichen Palatschinken (oesterr.Form eines Pfannkuchens) delektieren könnten. "Machen wir doch auch Palatschinken", sagt da der Mann. "Aber wir haben doch keine Eier". "Dann machen wir sie eben ohne Eier", entgegnet wiederum der Mann. "Aber wir haben auch keine Milch". "Dann machen wir sie eben ohne Milch", sagt der Mann. Und nachdem die Frau aus Mehl und Wasser einen Palatschinkenteig zubereitet hat und nachdem sie daraus Palatschinken gefertigt hat und auf den Tisch stellt, und nachdem beide davon gekostet haben, schiebt der Alte degoutiert den Teller von sich weg mit der Bemerkung: "Pfui, und so was schmeckt den Reichen?"
Unter dem Titel «Die Psychoanalyse und ihre Tod » habe ich 1993 wütend gegen das kurz zuvor in Kraft getretene österreichische Psychotherapiegesetz angeschrieben. Da meine damaligen Behauptungen und Besorgnisse bis heute nichts an Gültigkeit eingebüsst haben und da sich meine seinerzeitigen Befürchtungen als durchaus begründet erwiesen haben, habe ich einen großen Teil jenes Textes unverändert in diesen Beitrag zur gegenwärtigen Situation der Psychoanalyse in Österreich übernehmen können. Was allerdings noch nachzutragen wäre betrifft eine Entwicklung der letzten Jahre im klinischen Bereich, wobei es zu einer Art Schulterschluss psychoanalytischer Vereinigungen im weitesten Sinn des Wortes (also Schulen von Adler und Jung inbegriffen) gekommen ist, um dem rauhen Wind zu trotzen, welcher der Psychoanalyse vor allem aus der Richtung des staatlich organisierten «Psychobooms » entgegenweht. Kompromissbereit und bescheiden hat der entsprechende Dachverband für die Psychoanalyse, allerdings beschränkt auf die Bundeshauptstadt Wien, eine Ausnahmestellung bezüglich der Refundierung von Behandlungskosten durch Krankenversicherungen erreichen, wodurch hochfrequente und mehrjährige «Analysen mit Krankenkassenunterstützung » ohne wesentlichen Verwaltungs- und Kontrollaufwand möglich wurden. Im Zuge eines gerade jetzt in Aussicht gestellten sogenannten Gesamtvertrages zwischen allen Krankenversicherungen und allen Psychotherapeuten mit der Möglichkeit von psychotherapeutischen Leistungen auf Krankenschein ist die Psychoanalyse allerdings von einer erneuten Nivellierung bedroht, die ihre Identität nochmals und vielleicht noch nachhaltiger als durch das Psychotherapiegesetz untergraben könnte. Die Zahl derer, die wütend dagegen anschreiben, ist verschwindend gering. Offenbar ist der Mut müde geworden...
LITERATUR
Cremerius, J. (1992): Die Zukunft der Psychoanalyse. In: Kuster, M.: Entfernte Wahrheit. Von der Endlichkeit der Psychoanalyse. Edition Diskord, Tübingen.
Freud, S. (1902): Briefe an Wilhelm Fliess, 1887-1904. Fischer, Frankfurt, 1986.
Freud, S. (1926): Die Frage der Laienanalyse. Stud.Erg.Bd. 275-34.
Haubl, R. (1997): Das Veralten der Psychoanalyse und die Antiquiertheit des Menschen. Psychoanalyse im Widerspruch, 17, 7-26.
Israel, L. (1992): Es war einmal ... Diskurier, Text.Klinik. Deutung, Heft 1.
Kuster, M., (Hrsg.) (1992):Entfernte Wahrheit. Von der Endlichkeit der Psychoanalyse. Edition Diskord, Tübingen.
Ruhs, A. (1993): Die Psychoanalyse und ihr Tod. texte - psychoanalyse. ästhetik. kulturkritik. Heft 1, 31-42.
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