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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema BSE
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607023944/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2000-11b.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

BSE

Hintergrund:
Ende November 2000 werden durch ein neues Testverfahren BSE-kranke Rinder in Deutschland entdeckt. In England sterben immer mehr junge Menschen an der rätselhaften Seuche. Medien und Öffentlichkeit sind bestürzt.

 

Die Katastrophe der Agrar-Planwirtschaft

von Michael Miersch

Was hatte die kommunistische Planwirtschaft mit der heutigen EU-Agrarplanwirtschaft gemeinsam? Sie scheiterte nicht nur ökonomisch sondern auch moralisch. Der wirkliche Wahnsinn am neuesten BSE-Schock (der wievielte ist es eigentlich?) ist die schier unendliche Aussitzkraft der EU-Agrarbürokratie, der Bauernlobby und der nationalen Landwirtschaftsminister. Die gespielte Empörung, das Bedauern, das Verurteilen, das Ankündigen durchgreifender Maßnahmen gehören schon zum festen Ritual dieses Systems. Immer wird das Problem auf den Einzelfall reduziert und nie gefragt, warum in der Agrarbranche ein Skandal den nächsten ablöst. Rinder werden tagelang durch Europa gekarrt und halbtot nach Nordafrika verfrachtet: Einzelfall. Mäster pumpen ihre Kälber mit Hormonen voll: Einzelfall. Eierfabrikanten sprayen Hennen mit Nikotin ein: Einzelfall. Hersteller mischen Industrieöl ins Tierfutter: Einzellfall. Man empört sich eine Weile und man geht zur Tagesordnung über.

Die wechselnden Skandale folgen zwangsläufig aus einer absurden Agrarordnung, die Planwirtschaft, Verschwendung, Umweltzerstörung und Tierquälerei begünstigt. Am Portal zu diesem bürokratischen Irrgarten hockt als trauriges Wappentier eine wahnsinnige Kuh. Mit der Abwertung von Tieren hat vor Jahrzehnten dieser falsche Kurs begonnen. Wer ernsthaft will, dass die Skandalkette abreist, muß genau dort ansetzen.

Doch offenbar besitzen die wenigen Gewinner dieses Systems genug Einfluß echte Reformen zu verhindern. Als Wählergruppe schlagen die paar Tausend Agrarbürokraten, Verbandsfunktionäre, Großmäster, Züchter und Viehhändler wohl kaum zu Buche. Dennoch darf diese Minderheit unbehelligt Menschen vergiften, Tiere mißhandeln und obendrein Subventionen kassieren. Deutsche Landwirtschaftsminister aller Parteien verstanden sich stets als Interessenvertreter des Bauernstandes, der mittlerweile nur noch ein Prozent der Bevölkerung ausmacht.

Vordergründig scheint die Agrarplanwirtschaft ganz im Dienst der Verbraucher zu stehen. Die superbilligen Sonderangebote an den Fleischtheken gaukeln das vor. Doch was die Käufer im Supermarkt sparen, wurde ihnen als Steuerzahler zuvor abgenommen. Von der durschnittlichen Steuerlast einer dreiköpfigen Familie in Deutschland fließen 1500 Mark jährlich in die staatliche Stützung der Landwirtschaft. 80 Milliarden Mark im Jahr - das ist die Hälfte des gesamten EU-Etats - kostet die europäischen Steuerzahler die Unterstützung der Agrarbranche. Dennoch wird europaweit alle zwei Minuten ein Bauernhof aufgegeben. Denn an den Agrarsubventionen mästen sich nicht so sehr die einfachen Landwirte. Die größten Summen fließen in andere Bereiche. Weiterverarbeitung, Lagerung, Exportförderung und Preisstützung fressen die Milliarden. In der Tierhaltung geht das meiste Geld an die Betreiber von Tierfabriken, in denen Milchkühe, Mastbullen oder Schweine eine leidvolles Dasein fristen. Insgesamt bekommen vier Prozent der Höfe 40 Prozent der EU-Subventionen.

Doch immer wenn die Wogen der wechselden Skandale sich geglättet hatten, herrschte bisher wieder das heimliche Einverständnis zwischen Marktregulierern, Landwirtschaftslobby und Verbrauchern. Motto: Ihr schaut nicht so genau hin dafür gibt es weiterhin spottbillige Lebensmittel. 1950 mußte eine Familie noch über die Hälfte ihres Einkommens in Essen und Trinken investieren, heute gibt der deutsche Durchschnittshaushalt nur noch 16 Prozent für Ernährung aus. Das ist kaum mehr als für Freizeit und Reisen (und was von der Steuer in die Landwirtschaft geht merkt ja keiner). Der Agrarwissenschaftler Günter Postler bringt es auf dem Punkt: "Wir kippen Motoröl für 20 Mark den Liter in unser Auto und fahren dann zum Supermarkt, um dort Speiseöl für 2,49 Mark zu kaufen." Wo solche Relationen herrschen wundert man sich kaum, dass jahrelang lauwarm erhitzter Brei aus verseuchten Tierkadavern an Pflanzenfresser wie Rinder verfüttert wurde.

Seit Bernhard Grzimek 1971 erstmals eine Hühnerbatterie im Fernsehen zeigte, hätte jeder wissen können, was für Zustände in der Landwirtschaft herrschen. Doch das romantische Trugbild vom Bauernhof mit glücklichen Kühen auf der Weide und einem krähenden Hahn auf dem Mist hielt sich noch jahrzehntelang in den Köpfen der Konsumenten. Klischees aus der Dosenmilchwerbung waren stärker als alle Aufklärung. Niemand kann heute mehr die Wahrheit verdrängen. Tausende von Fernsehberichten und Zeitungsartikeln haben Grzimeks Arbeit fortgesetzt: Rinderwahnsinn, Schweinepest, Hormonfleisch, Tiertransporte - die Tatsachen sind bekannt. Doch im Paradies der Billigwurst kann man gemütlich leben, wenn man nur ein wenig verdrängt. Jetzt hat die Agrar-Planwirtschaft erste Menschenleben gekostet. Hoffentlich ist es dadurch wenigstens schwerer geworden, wie gewohnt zur Tagesordnung überzugehen.

Es sei - so behauptet die Agrarlobby - nicht möglich den Fleischbedarf der europäischen Industriegesellschaften ohne Fabrikställe und quälerische Tierhaltung zu decken. Wahr ist: Die Alternative kann nicht im romantischen Bauernhof mit Freilandhaltung auf der Blumenwiese bestehen. Moderne Landwirtschaft muß ökonomisch vernünftig sein. Es gibt keine Zurück zu Opas Bauernhof. Denn die Bauern haben erhebliche Nachwuchsprobleme. Die meisten Höfe - auch die wirtschaftlich gesunden - werden aufgegeben, weil sich kein Nachfolger findet. Deshalb ist es pure Heuchelei, wenn eine große Koalition von den Grünen bis Edmund Stoiber die Rettung des bäuerlichen Familienbetriebes beschwört. Die Kleinbetriebe werden sterben, so wie die handwerklichen Manufakturen einst von der Industrie abgelöst wurden. Und wir sollten ihnen nicht nachtrauern. Landromantik ist ein Gefühl von Städtern, die selbst niemals bereit wären, 35-Stunden-Woche, Urlaub und Freizeitgenuß gegen harte Arbeit auf dem Feld und im Stall zu tauschen. Dass es im Kleinbetrieb den Tieren besser ginge ist übrigens auch nur ein Gerücht. Im traditionellen bayerischen Bauernhof sind die Kühe ganzjährig und lebenslang angekettet.

Doch tiergerechte und ökologisch verträgliche Landwirtschaft kann durchaus auch ökonomisch vernünftig und hoch technisiert sein. Die riesigen Öko-Betriebe in Ostdeutschland machen es vor. Schon das gebräuchliche Wort "Massentierhaltung" führt in die Irre, denn es ist nicht die schiere Zahl die zählt. Herdentiere fühlen sich unter ihresgleichen Wohl. Landwirtschaftliche Hochschulen im In- und Ausland haben seit langem Stallungssysteme entwickelt, in denen man Tiere artgerecht und dennoch auf geringer Fläche und arbeitssparend halten kann. Ihre Erkenntnisse sollten Maßstab werden für die Tierhaltung der Zukunft. Solche modernen, tiergerechten und ökologisch durchdachten Agrarfabriken könnten durchaus als mehrstöckige Großgebäuden gebaut werden, wie jetzt in Hollad geplant. Denn selbst ökologisch ist die Freilandhaltung keine Alternative. Allein die 26 Millionen Schweine in Deutschland würde eine Fläche von der Größe Hessens benötigen, und diese dann in einen nitratverseuchten Sumpf verwandeln.

Ökonomische Rationalität und Achtung vor Tieren schließen sich nicht aus. Es gilt nur eine paar einfache Regeln einzuhalten, die eigentlich schon der normale menschliche Anstand gebieten sollte: Tiere müssen so gefüttert werden, wie es ihr Körper verlangt; sie brauchen Licht und Luft; sie müssen ihr natürliches Verhalten ausleben können und dürfen nicht mit Masthilfen und Medikamenten vollgepumpt werden. Das genügt eigentlich schon, damit jeder EU-Bürger in Zukunft wieder sorglos Fleisch essen kann.

 

Erschienen in Die Welt vom 27.11.00