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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Artenschutz
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607024452/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2004-02-18a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Artenschutz

Hintergrund:
UNEP-Chef Klaus Töpfer behauptet, jedes Jahr würden zigtausende Arten aussterben.

 

Sag mir, wo die Arten sind

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Bei jeder Arznei gibt es eine Höchstdosis. Wird sie überschritten, treten schädliche Wirkungen ein, bis hin zur Vergiftung. Auf dem Gebiet der Kommunikation ist es ähnlich. Wer dauernd übertreibt, etwa mit penetranten Werbebotschaften, dem glaubt man schließlich gar nichts mehr. Das gilt auch dann, wenn für eine gute Sache geworben werden soll.

"Jahr für Jahr sterben 60 000 Arten aus", klagte Klaus Töpfer auf der UN-Konferenz zur Erhaltung der Biologischen Vielfalt, die bis Ende dieser Woche in Kuala Lumpur tagt. SECHZIGTAUSEND! Eine biologische Apokalypse! 1,75 Millionen verschiedene Pflanzen- und Tierarten sind in den naturkundlichen Archiven der Welt beschrieben und registriert. Stimmt Töpfers Behauptung, dürfte also in weniger als 30 Jahren die gesamte Flora und Fauna vom Erdball verschwunden sein.

David Attenborough, der große alte Mann der BBC, der seit einem halben Jahrhundert auf den Spurens seltenere Tiere durch die Welt reist, hält solche Zahlenspiele für Unfug. Er pflegt entsprechende Diskussionen mit einer Gegenfrage zu würzen: "60 000? Arten? Nennen Sie mir doch bitte eine davon!". Danach wird es meist still in der Runde. Und das hat einen einfachen Grund: Die Zahl besitzt keine faktische Grundlage. Auch führende deutsche Ökologen, wie Josef H. Reichholf oder Paul Müller haben sich intensiv mit dem Thema befasst und können nachweisen, dass der angebliche zigtausendfache Artentod in erster Linie ein Konstrukt der Mediengesellschaft ist.

Und das funktioniert so: Alle Experten sind sich einig, dass es sehr viel mehr Tierarten gibt (in erster Linie Käfer im tropischen Regenwald), als man bislang überhaupt entdeckt hat. Beschrieben und erfasst sind, wie gesagt, weniger als zwei Millionen. Doch um das Ausmaß des Nichtwissens wird heftig gestritten. Manche meinen, es gäbe zehnmal so viele Arten. Andere glauben es seien hundert oder gar zweihundert mal so viele. Und da immer noch Regenwälder gerodet werden, geht man davon aus, dass dabei unbekannte Käferarten verschwinden.

Dies sind aber gewagte Hochrechnungen, die auf Vermutungen und groben Schätzungen beruhen. Kurz gesagt: Bei den von Klaus Töpfer beklagten 60 000 Arten, die angeblich jedes Jahr verloren gehen, handelt es sich um Pflanzen und Tiere, von denen einige Wissenschaftler annehmen, dass sie eventuell existieren könnten. Doch in Zeitungsartikeln und Fernsehsendungen wird der angebliche Arten-Gau dann unhinterfragt zum Fakt erklärt.

Die Zahl der nachweislich verschwundenen Tierarten ist sehr, sehr viel geringer. Klaus Töpfers eigene Behörde, die UNEP, veröffentlichte erst vor wenigen Monaten eine Studie dazu. Deren Ergebnis: Die derzeitig tatsächlich nachgewiesene globale Aussterberate ist die niedrigste seitdem 17. Jahrhundert. Die zuständige Fachabteilung, das WCMC (World Conservation Monitoring Centre) verfasste eine Verlustliste für die vergangene 400 Jahren: Sie umfasst weniger als 1100 Tier- und Pflanzenarten. Das ist schlimm genug. Denn jede einzelne davon ist unwiederbringlich. Wälder kann man neu anpflanzen, Flüsse sanieren, Umweltgifte verbieten, doch verlorene Arten kehren nicht zurück.

In den Museen zeugen die Aussterbedaten unter Skeletten von Zeiten blindwütigen Raubbaus. Auerochse: 1627. Stellersche Seekuh: 1768. Dronte: 1679. Riesenalk: 1844. Quagga-Zebra: 1887. Wandertaube: 1914. Beutelwolf: 1936. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts begann die Verlustrate zu sinken, denn die Wertschätzung wilder Tiere und Pflanzen wuchs. Kein Land der Erde könnte es sich mehr erlauben, Tierbestände so zu plündern, wie dies im 18. und 19. Jahrhundert üblich war. Der WWF (World Wide Fund for Nature) und andere internationale Naturschutzorganisationen, passen auf, dass Tragödien, wie das Abschlachten der Bisons in Nordamerika, nicht wieder geschehen. Das ist kein Grund die Hände in den Schloss zu legen. Es ist aber auch kein Grund die Situation schwärzer zu malen als sie ist.

Klaus Töpfer hat als deutscher Umweltminister viel Gutes für den praktischen Umweltschutz erreicht. Und er hat sich in einer Zeit um Rationalität bemüht, als die Massenmedien sich an Weltuntergangsphantasien berauschten. Schade, dass ausgerechnet er nun Alarmismus verbreitet. Vielleicht dienen solche Übertreibungen ja der UNEP. Der Aufklärung dienen sie nicht.

 

Erschienen in Die Welt vom 18.02.2004