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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Terrorfolgen
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Terrorfolgen

Hintergrund:
Im Juni 2005 werden in Ägypten viele Urlauber durch Bombenanschläge getötet.

 

Terror und Tourismus

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Wo kann man noch getrost Urlaub machen? "Natürlich in Israel," witzelte ein Bekannter. "Die haben am meisten Erfahrung und passen am besten auf." Vermutlich hat er recht.: Der Tourismus wird zur Kampfzone. Die Nachwirkungen der Bomben in Luxor, Djerba, Bali, Mombasa, Taba und Sharm al-Scheich sind gravierender, als die Anschläge in den Metropolen des Westens. Denn sie haben außer der symbolischen eine erhebliche ökonomische Wirkung. Reiche Industriestaaten sind wirtschaftlich so robust, dass Terroristen den allgemeinen Wohlstand nicht ins Wanken bringen können. Die meisten New Yorker und Londoner stecken das mulmige Gefühl weg und denken nicht daran, ihre Stadt zu verlassen. In den Ferienorten Tunesiens, Indonesiens, Kenias oder Ägyptens ist das anders. Zwar waren bisher die Hotelbetten nach einer kurzen Schreckenspause verblüffend schnell wieder gefüllt. Dennoch es ist zu befürchten, dass die Anschlagkette dem Tourismus auf Dauer schadet.

Dies wäre eine tragische Entwicklung, deren Dimension man aus deutscher Sicht leicht unterschätzt. In einem Land, das mehr Touristen exportiert als importiert, das von Maschinenbau, Automobilen und Chemieprodukten lebt, erscheint der Tourismus als relativ unbedeutende Branche. Doch global betrachtet ist er die größte Industrie der Welt. Eine Industrie, die gerade dort Arbeit schafft, wo alle anderen Wirtschaftsbereiche unterentwickelt sind. Die Zahl der Menschen, die ins Ausland reisen hat sich seit den sechziger Jahren verzehnfacht, auf nahezu 700 Millionen im Jahr. Viele Hundert Millionen Familieneinkommen sind davon abhängig. Kenia oder Tunesien würden bei einem Zusammenbruch der Tourismuswirtschaft Einbußen erleiden, wie Deutschland bei einem Crash der Autoindustrie. Mit dem Unterschied, dass die Menschen in diesen Ländern von Hartz IV nur träumen können. Es ist eine fragwürdige These, dass Armut Terror hervorbringt. Doch mit Sicherheit wird Terror Armut hervorbringen, wenn die Angriffe auf Ferienorte weitergehen,

Die Terroristen wollen bewusst und gezielt genau das erreichen, was viele dem Anti-Terror-Kampf der von den USA geführten Koalition unterstellen: Einen Keil zwischen die Kulturen treiben. Sie wollen verhindern, dass Nord und Süd, Ost und West sich kennen lernen oder gar vermischen. So entziehen sie ganzen Regionen die wirtschaftliche Grundlage und bieten ihnen dafür religiöse Gehirnwäsche. In Kenia, wo Terrorkommandos ein Massaker unter Urlaubern anrichteten, wird mit saudischen Geldern eine Moschee nach der anderen gebaut und die Hassprediger werden gleich mitgeliefert.

Obwohl die Terroristen ganze Regionen und Wirtschaftszweige ruinieren können, so bleibt eines doch unerschütterlich: die "Sorry-Kultur", die in maßgeblichen Kreisen der westlichen Gesellschaften gepflegt wird. Nach einem der letzten Anschläge empörte sich der Kommentator einer deutschen Tageszeitung über die Touristen, die sich "unerträglich aufführen." "Verstößt der Gast gegen regionale Verhaltensregeln, was leider zu oft geschieht, liefert er seinen persönlichen Beitrag zu einer unheilvollen Verwestlichung." Dieser "Werte-Transfer" sei die Ursache des Terrors. Als ob Al Kaida und Co. friedlich würden, wenn deutsche Touristinnen zukünftig in Burkas an den Strand gingen und Pfefferminztee statt Pina Colada tränken. Jede noch so einfältige Erklärung wird bemüht, um zu Verdrängen, dass eine beträchtliche und zu allem entschlossne Bewegung von Moslemfanatikern dem Westen den Krieg erklärt hat.

 

 

Erschienen in Die Welt vom 27.07.2005