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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Demoskopie
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607025130/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2005-08-10a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Demoskopie

Hintergrund:
Vor der Bundestagswahl 2005 berufen sich Parteien und Interessenygruppen auf Umfragen, die teilweise sehr unterschiedlich ausfallen.

 

Wundersamer Meinungswandel

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

In Wahlkampfzeiten lassen Parteien, Lobbys und anverwandte Institutionen fragen was das Zeug hält. Der Bürger ist über die Launenhaftigkeit seiner Anschauungen mitunter sehr verwirrt. Besonders dann, wenn sich verschiedene Umfragen zum gleichen Thema diametral widersprechen.

Ein sehr schönes Beispiel dafür liefert eine aktuelle Befragung der Bundesbürger zum Thema Atomenergie, die das Institut Emnid im Auftrag von Greenpeace durchführte. Ergebnis: 70 Prozent der Deutschen wollen am Atomausstieg festhalten, nur zehn Prozent sprachen sich dafür aus, das Abschalten hinauszuzögern. Das finden wir deshalb verwirrend, weil Emnid-Chef Klaus Peter Schöppner noch vor knapp einem Jahr ein vollkommen anderes Bild zeichnete: 52 Prozent der Deutschen, also die Mehrheit empfehle der Bundesregierung, den Energiebedarf der Bundesregierung durch einen Mix von Technologien sicherzustellen, die Kernkraft ausdrücklich eingeschlossen. Was sich wiederum mit einer Allensbach-Umfrage vom Anfang des Jahres deckt: 53 Prozent glauben demnach nicht, dass man langfristig auf den Einsatz der Atomreaktoren verzichten kann. Am meisten bietet das Institut für praxisorientierte Sozialforschung: Bei den Mannheimer Forschern waren es sogar 71 Prozent, die für eine Weiternutzung der Kernkraftwerke plädierten (2001).

Wie kommt so etwas zustande? Wir bezweifeln nicht, dass es bei jeder dieser Umfragen mit rechten Dingen zuging. Andererseits ändern sich derartige Grundeinstellungen normalerweise nicht in Monats- oder Jahreszeiträumen. Deshalb bleibt nur eine Erklärung: Das Ergebnis hängt in hohem Masse davon ab, wie gefragt wurde. Wir sind demoskopische Laien, haben uns dazu aber ein paar Gedanken gemacht. Wie müsste beispielsweise die Fragestellung lauten, wenn eine rekordverdächtige Ablehnung verlängerter Betriebgenehmigungen für Kernkraftwerke herauskommen soll? Als heißen Tipp für die nächste Greenpeace-Umfrage möchten wir eine Verknüpfung mit der amerikanischen Politik und George W. Bush, dem Vertreter des Teufels auf Erden, vorschlagen (die im Folgenden verwendeten Fakten sind nicht erfunden, sondern entsprechen jeweils den Tatsachen). Die Frage sollte also wie folgt gestellt werden: "Der amerikanische Präsident George W. Bush hat die Restlaufzeiten amerikanischer Kernkraftwerke auf Wunsch der Stromversorger verlängert. Sollte die Bundesregierung dem Beispiel der US-Administration folgen?" Wir vermuten, dass zwei Drittel oder mehr Deutsche "Nein" sagen würden.

Mit etwas pädagogischem Einfühlungsvermögen könnte man die Mitbürger jedoch auch vom Gegenteil überzeugen. In diesem Fall empfiehlt sich folgende Herangehensweise: "Die Bundesregierung betrachtet den Klimaschutz als eine der zentrale Zukunftsherausforderungen. Wie sollte sie dieser Verantwortung gerecht werden? A) Durch Sonntagsfahrverbote und eine Kerosinsteuer auf Urlaubsflüge? B) Durch eine Verlängerung der Restlaufzeiten deutscher Kernkraftwerke?" Da dürfte dann eine echte Volksbewegung zum Erhalt der Atomkraft herauskommen.

Ähnliches vermuten wir bei folgender Formulierung: "Die Abschaltung des Atomkraftwerkes Obrigheim (265 Megawatt) kostete insgesamt über 400 Arbeitsplätze. Als mittelfristiger Ersatz ist in der Region ein Holzschnitzelkraftwerk (5 Megawatt, 10 Arbeitsplätze), die Entmottung eines alten Heizölkraftwerkes von 1974 und eines alten Kohlekraftwerk-Blockes von 1964 vorgesehen. Sollte die Bundesregierung mit dieser Politik fortfahren?".

 

 

Erschienen in Die Welt vom 10.08.2005