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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Antiliberale Stimmung
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Antiliberale Stimmung

Hintergrund:
Die Bundestagswahl 2005 führt zu einer linken Mehrheit im Parlament.

 

Die Macht der Mentalität

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Nach dieser Bundestags-Wahl fehlen einem für vieles die Worte. Sollten wir deshalb lieber zu einem zeitlosen Thema greifen, die Freuden der Herbstsonne, die Fahrpreisgestaltung der Bahn oder die liebenswerten Eigenarten holländischer Kooikerhondje? Oder möglichst weit weg in die Außenpolitik flüchten? Hat nicht funktioniert, die Gedanken kreisen dann doch zu sehr um das Wahlergebnis und die Frage wie dieses Land eigentlich tickt.

Starke Zweifel, ob ein wirklicher Politikwechsel in Deutschland stattfinden würde, beschlichen uns Mitte August angesichts einer Infratest-Umfrage. Diese wurde zwar von einem großen Nachrichtenmagazin veröffentlicht, ging jedoch im Wahlkampfgetöse unter. Das Institut fragte die Deutschen, was sie von folgender Aussage hielten: "Der Sozialismus ist eine gute Idee, die bislang nur schlecht ausgeführt worden ist." 56 Prozent unserer Mitbürger im Westen und 66 Prozent im Osten stimmten dem zu. Außerdem waren 67 Prozent der Befragten im Westen und 63 Prozent im Osten, der Meinung: "Es muss einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus geben." Dass fast zwei Drittel unsere Landleute am liebsten noch mal eine Form des Sozialismus ausprobieren wollen, damit hätten wir nun wirklich nicht gerechnet. Waren zwei Sozialismen nicht genug?

Ein klares Votum für marktwirtschaftliche Reformen, mehr Freiheit und Eigenverantwortung sieht jedenfalls anders aus. Die Sehnsucht nach einer vermeintlichen Sicherheit erweist sich trotz jahrelangen Reformbeschwörungen fast aller Fachleute als stärker. Freiheit steht in Deutschland weit gehend unter Verdacht und der Liberalismus besitzt nur ein kleines politisches Milieu (daran ändert auch das relativ gute Wahlergebnis der FDP nichts). Zivilgesellschaft, Erziehungswesen und Kulturbetrieb werden von linksgrüner Gesinnung beherrscht - vom Kindergarten bis zur Unterhaltungsindustrie. Hierzulande liebt es die große Mehrheit entweder links oder konservativ etatistisch. Gutes kommt von Oben, man muss nur lange genug fordern und räsonieren. "Der Hass gegen den Liberalismus," schrieb Ludwig von Mises bereits 1927, "ist das Einzige, in dem die Deutschen einig sind."

Die Wurzeln dieser Misere reichen zurück ins 19. Jahrhundert, Nach einer kurzen Blütezeit wurde der deutsche Liberalismus von Bismarck und der sozialdemokratischen Opposition gemeinsam in die Zange genommen. Das Schmähwort "Manchestertum", das Lassalle erfand, klebte allen an der Stirn, die für freie Märkte und die Einhegung der Staatsgewalt eintraten. Die Forderung nach Freihandel galt als Schwindel, hinter dem englische Interessen steckten. Eugen Richter, der große deutsche Liberale des 19. Jahrhunderts, sah die Probleme des Sozialismus und des Wohlfahrtstaates so klar voraus wie kein anderer.

Doch nach seinem Tode fing eine neue Generation liberaler Politiker an, mit "zentralisierter Wirtschaftsleitung" zu liebäugeln, wie es dem Zeitgeist zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsprach. Nach Friedrich Naumann, der Leitfigur dieses staatsseligen Pseudo-Liberalismus, ist bis heute die Stiftung der FDP benannt. Eugen Richters Vermächtnis ging hingegen verloren und viele dieser "geläuterten" Liberalen wandten sich später einem aggressiven Nationalismus zu.

Es gibt heute eine neue Generation junger Staatsskeptiker, die den klassischen Liberalismus im Sinne Eugen Richters wiederentdeckt haben - doch sie sind eine Minderheit in der Minderheit. Liberale sind gewohnt, von einer gewissen exotischen Aura umgeben zu sein und haben nie das Gefühl genossen, im Volke zu schwimmen, wie ein Fisch im Wasser. Die große Mehrheit betrachtet "liberal" oder gar "neoliberal" als Schimpfwort und träumt von einer Art Wohlfühl-Sozialismus. Während des Wahlkampfes stimmte selbst mancher Länderfürst der CDU in diese Melodie ein. So betrachtet ist es erstaunlich, dass die CDU überhaupt stärkste Partei wurde. Eine Partei, die lediglich einen sozialdemokratischen Flügel hat - und sich sogar ein paar Liberale leistet. Die brauchen jetzt Rückgrat, Mut und einen langen Atem.

 

 

Erschienen in Die Welt vom 21.09.2005