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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Manipulierte Fotos
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Manipulierte Fotos

Hintergrund:
In den täglichen Nachrichten tauchen immer wieder Pressefotos auf, die gestellt oder manipuliert wurden. Durch den Libanon-Krieg entsteht eine Diskussion darüber.

 

BKA, Beirut, Babelsberg

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Erschienen am 01.09.2006 in DIE WELT

Tatort Köln. Unerschrockene BKA-Fahnder mit Kapuzen oder dunklen Sonnenbrillen tragen Kartons mit wichtigem Beweismaterial aus der Wohnung eines Terror-Verdächtigen. Eine Szene, wie sie sich der vom Abendkrimi verwöhnte Fernseh-Zuschauer so einen Antiterroreinsatz vorstellt. Und weil das Bundeskriminalamt sich offenbar auch vorstellt, wie die Leute sich das so vorstellen, wollte man dem Geschmack des Publikums und der Fotografen ein wenig entgegen kommen. Die Kartons waren nämlich leer und wurden kurz darauf ins Haus zurückgetragen. "BKA inszeniert Razzia-Show", schrieb die BILD-Zeitung.

Ein bischen Show m,uss offenbar sein. Wenn es einen Beruf mit Zukunft gibt, dann ist es der des Laiendarstellers. Vogelgrippe? Dann muss die Feuerwehr mit Blaulicht und Schutzanzügen ausrücken, was zwar schwachsinnig ist, aber sehr hübsche Bilder für Fotografen und Kameramänner ergibt. Besonders gut gefallen hat uns die Aufnahme eines vollkondomisierten Helfers, der eine verendete Ente in einen Plastiksack stülpt. Er ist dicht umgeben von einem Dutzend vollkommen ungeschützter Fotografen, für die offenbar keinerlei Gefährdung besteht. Hübsch sind auch die Greenpeace-Aktivisten, die in Deutschen Gentechnik-Versuchsfeldern unter Atemmasken ihr Leben riskieren, während die immer gleiche Fotografenhorde in Straßenkluft hinterher stapft und sich seit Jahren bester Gesundheit erfreut.

Ein wenig problematisch ist diese Methode nur, wenn ein Fotoreporter mal aus Versehen einen etwas größeren Bildausschnitt wählt. So gibt es eine mitreißend dynamische Aufnahme von einem wütenden Globalisierungsgegner, der beim WTO-Gipfel in Cancún einen Stein gegen die repressiven Staatsorgane schleudert. Das Foto zierte viele Gazetten, denn so sieht der Kampf der Unterdrückten aus. Auf dem größeren Bildausschnitt sind dann die näheren Umstände zu erkennen, allerdings gehören dazu weder die vermeintliche Staatsgewalt noch der Kampf gegen Unterdrückung. Statt dessen umzingelt eine Vollversammlung von Fotografen den einsamen Steinwerfer, der exklusiv für die Weltpresse den Entrechteten mimt.

Wirkliches Weltniveau bei der Ausbildung von Laiendarstellern haben inzwischen die Palästinensergebiete erreicht. Nachdem die Medienvertreter auf den ihnen zugewiesenen Fotospots eingetroffen sind, lassen sich wie auf Knopfdruck Wut, Trauer und Betroffenheit abrufen. In Fachkreisen heißt die Region inzwischen "Pallywood". Sie wird allseits wegen der Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der Komparsen gelobt, schließlich gibt es einen Redaktionsschluss. Selbst bei mehrmaliger Wiederholungen der gleichen Szene geht den Akteuren nichts von ihrer Begeisterung verloren. Inzwischen ruchbar geworden sind allerdings die Presse-Shootings der Hisbollah-Productions im Libanon, zu deren Repertoir gespielte Verzweiflungsszenen mit toten Kindern im Arm gehörten.

Der amerikanische Medienforscher David D. Perlmutter bezeichnet die sich häufenden Fälle als "Pantheon der Schande" für den Bildjournalismus. Vulgär-Symbolik triumphiert über Wahrhaftigkeit, der Unterschied zwischen Dokument und Fiktion löst sich auf. Das gut fotografierte Klischee obsiegt in den Bildredaktionen über die Wirklichkeit, selbst grobe Ungereimtheiten wecken offenbar keine Zweifel - oder werden bewusst ausgeblendet. Die Glaubwürdigkeit des Bildes befindet sich im freien Fall und die stillschweigende Komplizenschaft der Beteiligten veranlasst uns zu einem kostensenkenden Vorschlag: Er besteht aus einer in Babelsberg nachgebauten Ruinenkulisse und einer gute sortierten Requisite. Da lassen sich wunderbaren Bilder arrangieren: Mal sitzt eine stumme Greisin auf einem makellos erhaltenen Sessel mitten in einem staubigen Trümmerfeld, mal insinnuiert eine hübsch im Vordergrund drappierte Spielzeugpuppe eine ausgelöschte Familie. Die gleiche Machart also, wie sie uns aus dem Libanon erreichte - nur konsequenter.