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Unbeeindruckt singt
die Mönchsgrasmücke
Eine Anstiftung zum Optimismus
Von Dirk
Maxeiner
und Michael Miersch
"Wie können Sie in DIESER
Welt nur optimistisch sein?", lautet eine der meistgestellten Fragen
unserer Leser. Zerknirscht und schuldbewusst fragen wir uns selbst: Wie
konnten wir überhaupt auf diese schiefe Bahn geraten?
Es gibt beispielsweise geborene oder unverbesserliche
Optimisten, die haben mildernde Umstände. Auch die vielen Management-Gurus
mit ihren Think-positiv-Botschaften können nicht voll für ihr
Tun verantwortlich gemacht werden, weil es ja meist Amerikaner sind. Nein
zu denen gehören wir nicht, wir haben unseren Optimismus hart erarbeitet.
Motto: Wer die Welt in einem etwas besseren Licht sehen will, der sollte
sich möglichst lange in der Dunkelheit aufgehalten haben. Dies haben
wir als ehemalige leitende Redakteure des deutschen Umweltmagazins "Natur"
in ausreichendem Maße getan. Monat für Monat wurde auf den
Seiten unserer Zeitschrift der dräuende Weltuntergang beschworen,
der Tod war unser ständiger Begleiter. Waldsterben und Robbensterben,
Insektensterben und Vogelsterben, ja sogar ein Spermiensterben schien
unmittelbar bevorzustehen.
Zum Glück weigerte sich das richtige Leben hartnäckig der redaktionellen
Linie zu folgen. Zu einem besonders eklatanten Fall von Insubordination
kam es während einer Redaktionskonferenz Anfang der neunziger Jahre.
Es war Frühling und durch das geöffnete Fenster drang mitten
in der Stadt das romantische Lied einer Mönchgrasmücke an unsere
Ohren. Was ein junger Praktikant mit der vollkommen unpassenden Bemerkung
quittierte: "Da pfeift schon wieder eine eurer ausgestorbenen Vogelarten."
Das Lachen entfaltete eine subversive Wirkung und die Mönchgrasmücke
begann ganz leise an unsere Überzeugungen zu rupfen. Wir veröffentlichten
einen Report über die erstaunliche Anpassungsfähigkeit vieler
Tiere, die sich mittlerweile in den Städten wie zuhause fühlen
und prächtig vermehren. Als artenreichstes Biotop der Stadt Frankfurt
stellte sich ausgerechnet eine Gebrauchtwagenhalde heraus, auf der sich
seltene Pflanzen und Insekten angesiedelt hatten.
Die Natur entpuppt sich immer wieder als Weltmeister der Anpassung, Veränderung
ist ihre tägliche Geschäftsgrundlage. Unterstützt von praktischem
Umweltschutz feiert sie mitunter in Atem beraubendem Tempo ein Comeback.
Das gilt nicht nur für Mücken sondern auch für Elefanten,
die sich in vielen Ländern Afrikas prächtig erholten. Bedauerlicherweise
wurde unsere Begeisterung für dieses Phänomen von unseren Lesern
überhaupt nicht geteilt.
Statt dessen lernten wir eine neue Erscheinung kennen, die uns seit damals
begleitet: Einst wurde der Überbringer schlechter Nachrichten geköpft
oder endete im Kerker. Mittlerweile ist es umgekehrt. Schlechte Neuigkeiten
scheinen ausgesprochen willkommen zu sein, gute Botschaften lösen
Verdacht aus. Die Nachricht "Der Rhein ist vergiftet" wird mit
einer gewissen Genugtuung aufgenommen, die Nachricht "Der Rhein wird
sauberer" dagegen mit höchster Skepsis. Das Faktum "Der
Wald lebt und wächst " führt gar zu ausgesprochener Verärgerung.
Als Überbringer solch guter Botschaften wurden wir zwar nicht geköpft,
aber die erregten Natur-Leser kündigten reihenweise ihre Abonnements,
warum wir alsbald auf die rote Liste der gefährdeten Redakteure gerieten.
Da unser Ruf ohnehin ruiniert war, entschlossen wir uns 1993, unseren
Abschied zu nehmen und es fortan ganz ungeniert zu treiben. Wir schrieben
das Buch "Öko-Optimismus", eine Bestandsaufnahme der zahllosen
positiven Entwicklungen im Umweltschutz: Von regenerierten Rhein bis zum
blauen Himmel über der Ruhr, vom Rückgang des Bevölkerungswachstums
bis zur Rückkehr verloren geglaubter Tierarten.
Das Buch entwickelte sich zum Bestseller, was unseren Optimismus naturgemäß
beflügelte, mancherorts aber nicht so gerne gesehen wurde. Die Verbindung
der Worte "Ökologie" und "Optimismus" wurde von
den Hohepriestern des Ökologismus als reine Blasphemie empfunden.
Der Präsident des Naturschutzbundes Deutschland, wollte das Wort
daher "noch nicht einmal in den Mund nehmen". Optimismus empfand
er wohl irgendwie bedrückend. Der österreichische Philosoph
Günther Nenning witterte gar "einen Dolchstoß ins grüne
Auge" und rief uns auf einem Podium erregt zu: "Ihr müsst
widerrufen!" Unsere amüsierte Nachfrage beim heiligen Vater
ergab: Das war tatsächlich ernst gemeint.
Unsere erste Fernsehdebatte bestritten wir dann in optimistischer Unschuld
beim Bayrischen Rundfunk, der eigentlich noch nie durch besonders kritische
Berichterstattung aufgefallen ist. Aber Optimismus geht dann selbst in
Bayern zu weit. Die Sendung hieß (nomen est omen): "Live aus
dem Schlachthof". Schon während des Vorfilms wurde uns rasch
klar, dass die Redaktion gedachte, dem Namen der Talkshow alle Ehre zu
machen. Die Thesen aus Öko-Optimismus wurden mit Bildern von Tankerkatastrophen
und Erdbebenopfern, von Chemieunfällen und Hungersnöten unterlegt.
Und dann wischte ein Schwamm über die Kamera, wisch und weg, alles
wird gut, hier kommen die Gesundbeter vom Dienst. Zur Einstimmung des
Publikums trug dann noch eine junge Frau von der "Deutschen Autofahrerpartei"
bei. Sie versicherte, selbst den Weg zum Zigarettenautomat grundsätzlich
mit ihrem BMW zurückzulegen, womit sie uns nicht wirklich einen Gefallen
tat. Die Botschaft an das Publikum war somit komplett: Öko-Optimisten
fahren mit dem Auto zum Zigarettenautomat, na bitte.
Wir waren zwar mit der Straßenbahn zum Schlachthof gefahren, und
besitzen auch keinen BMW. Aber prinzipiell ist Optimisten natürlich
alles zuzutrauen. Fünf Jahre später können wir sagen: Anfangs
tut es manchmal weh, aber mit der Zeit macht Optimist sein richtig Spaß.
Wer in einer Diskussionsrunde deutscher Kulturpessimisten darauf hinweist,
dass die wichtigsten Indikatoren für das Wohlergehen der Menschheit
sich immer besser entwickelt haben, der erzielt eine durchschlagende Wirkung.
So etwa wie jemand, der in einem katholischen Gottesdienst ein Präservativ
aufbläst. Beides hält jung, befördert allerdings nicht
das Sozialprestige.
Je schlechter jemand über die Welt und seinen Mitmenschen berichtet,
desto besser ist er angesehen. "Das schlimmstmögliche Szenario
für wahrscheinlich, ja wahr zu halten, egal ob es sich um Hunde,
Rinder oder ertrunkene Kinder handelt, gilt als Ausweis des kritischen
Bewusstseins", schreibt die Publizistin Katarina Rutschky, "mit
einer gewissen moralisch, aber auch intellektuell gefärbten Wollust
lassen sich deshalb alle gern über den desolaten Zustand der Welt
informieren." Wer besonders schlechtes erwartet ist stets auch auf
der sicheren Seite. Man verzeiht dem falschen Propheten, wenn es besser
kommt als er es vorausgesehen hat.
Bei dieser Gelegenheit wollen wir ein wenig die Fakten streifen. Dem
Optimisten kommt dabei zu Pass, dass er sich heute im Internet antiquarische
Bücher besorgen kann. 1972 prophezeite Paul Ehrlich, einer der prominentesten
Alarmrufer und Warner aus den USA ("Die Bevölkerungsbombe"),
wie die Zukunft aussehen wird, in der wir heute leben. Um es kurz zum
machen: die Welt wäre bereits so gut wie untergegangen. Ehrlich sagte
allen Ernstes voraus, dass die Hälfte der 3,5 Milliarden Menschen,
die 1972 auf der Erde lebten, verhungern werden. Den biologischen Tod
aller Meere datierte er auf 1979. Außerdem würden kaum noch
Pflanzen wachsen, weil das Sonnenlicht nicht mehr durch die verschmutzte
Luft dringen könnte. Die Lebenserwartung in USA werde 1980 auf 42
Jahre sinken. Ab 1974 muss das Wasser in Nordamerika rationiert werden
und Seuchen breiten sich aus. Da fällt das gleichzeitige Aussterben
fast aller Tierarten eigentlich kaum noch ins Gewicht.
Und Ehrlich war keine Ausnahme: "Global 2000", die von US-Präsident
Carter in Auftrag gegebene Zukunftsstudie, prophezeite, die Preise für
Nahrungsmittel werden bis zum Jahr 2000 weltweit zwischen 35 und 115 Prozent
ansteigen. In Wirklichkeit sind sie um 50 Prozent gefallen. In seinem
berühmten Report "Die Grenzen des Wachstums" verkündete
Dennis Meadows im Auftrag des "Club of Rome" 1972, das Ende
der globalen Erdölvorräte zur Jahrtausendwende. Jeder kann sich
heute bei der Tankstelle seiner Wahl vom Gegenteil überzeugen.
Die Zeitungen gaben dem deutschen Wald Anfang der achtziger Jahre noch
fünf bis zehn Jahre Lebenszeit. Heute ist klar: Als fast die gesamte
Nation an den nahen Untergang des Waldes glaubte, nahm der Wald in Deutschland
und Europa zu. Und zwar sowohl auf der Fläche (also mehr Wald), als
auch im Volumen (also kräftigere Bäume). Die Schäden blieben
auf bestimmte Gebirgslagen konzentriert.
Wer mit seinen Prognosen so meilenweit daneben lag wie Ehrlich, Meadows
und Co., wird nicht mehr sonderlich ernst genommen - sollte man meinen.
Weit gefehlt! Die meisten Apokalyptiker von gestern dominieren mitsamt
ihrer Thesen bis heute in den Talk- und Expertenrunden. Sie zeigen keinen
Hauch von Selbstkritik und schieben - wie die Zeugen Jehovas - den Weltuntergang
immer um ein paar Jahre weiter nach vorne. Das Jahr 2050 ist derzeit ein
ganz heißer Tipp. Schon Karl Valentin wusste: "Die Zukunft
war früher auch besser".
Die Unberechenbarkeit der Zukunft und die Wandelbarkeit der menschlichen
Gesellschaften kommen in Szenarien der Berufs-Pessimisten nicht vor. Erfindungsreichtum
ersetzt Ressourcen und erweitert die Spielräume. Viele Umweltproblem
wurden schneller gelöst, als die Ideologen es gebrauchen können.
Ausgerechnet die westliche Ich-Gesellschaft heilte im Zeitraffertempo
die ökologischen Verheerungen des sozialistischen Biotops namens
DDR. Dabei hätte die nach Ansicht der Ideologen eigentlich ein ökologisches
Paradies sein müssen: Keine Flüge nach Mallorca, keine Kiwis
aus Neuseeland, eingeschränkter Individualverkehr, kein McDonalds,
Konsumverzicht allenthalben. Doch heraus kam eine gigantische Sondermülldeponie.
Apokalyptiker und Kulturpessimisten betrachten den Menschen immer nur
als Verbraucher und Verursacher und nie als Problemlöser und Erschaffer.
Der Mensch wird nur noch als Krebsgeschwür und Belastung der Natur
verachtet - wie will man mit diesem Denken Zukunft meistern? Der sich
ökologisch gebende Zeitgeist pflegt die Geschichte der Wissenschaft
und der Industrialisierung gerne als Verfallsgeschichte darzustellen.
Welch merkwürdige Sichtweise. Man schaue sich doch nur die jüngste
Vergangenheit an: Fortschritt ist eine messbare Tatsache. Er misst sich
an Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Alphabetisierung, Nahrungskalorien
pro Kopf, Durchschnittseinkommen und vielen anderen Indikatoren. Welchen
davon man auch immer nimmt, alle sahen vor 25, 50 oder vor 100 Jahren
schlechter aus als heute. Die Welt ist besser geworden, entgegen aller
Prognosen von Endzeitpropheten und kulturpessimistischen Intellektuellen.
Die Luft ist reiner geworden in vielfacher Hinsicht, nicht nur, was Schadstoffe,
sondern auch, was die Politik anbetrifft. So waren vor wenigen Jahrzehnten
Osteuropa, Spanien und Portugal noch Diktaturen, Afrika und Ostasien größtenteils
noch Kolonien. Sowohl in relativen wie in absoluten Zahlen sinkt die Zahl
der unterernährten Menschen seit Jahren, die Lebenserwartung steigt
auch in den armen Ländern steil an. Ausnahme sind einzig einige korrupte
Diktaturen in Afrika und planwirtschaftliche Systeme wie Nordkorea. Amartya
Sen, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, weist in
seinem Buch "Ökonomie für den Menschen" nach , dass
es in einer Mehrparteien-Demokratie mit freier Presse noch nie eine Hungersnot
gab.
In den letzten 200 Jahren hat sich die Lebenserwartung in Europa verdoppelt
und diese Entwicklung wird in den weniger entwickelten Ländern mit
einer Zeitverzögerung nachgeholt. Das Wachstum der Weltbevölkerung
ist nicht darauf zurückzuführen, dass Frauen immer mehr Kinder
bekommen, sondern darauf dass immer mehr Kinder überleben. Weltweit
liegt heute die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau bei 2,7. Das ist
der niedrigste Stand in der gesamten Menschheitsgeschichte. Bei einer
Kinderzahl von zwei flacht der Bevölkerungszuwachs ab und pendelt
sich schließlich auf einem gleich bleibenden Niveau ein. In Deutschland
liegen wir etwas darunter, was prompt wieder zur Schreckensnachricht befördert
wird: "Sterben die Deutschen aus?" oder: "Vergreist die
Gesellschaft?".
Aus der Lösung alter Probleme werden immer neue entstehen, es wird
kein Weltwochenende geben. Die Welt mag nicht so sein, wie sie idealerweise
sein sollte, aber trotz aller Missstände ist sie global betrachtet
auf einem guten Weg. "Wir sind entsetzt wie viel Menschen heute noch
an Hunger sterben müssen", sagt Umberto Eco, "noch mehr
sollte uns aber die Zahl der Verhungerten in vergangenen Jahrhunderten
erschrecken. Insbesondere wenn man die Zahl der Weltbevölkerung von
einst gegenüberstellt." Und was die Verantwortlichen für
Kriege und Blutbäder des 20. Jahrhunderts angeht, so werden diese
zumindest nicht mehr, wie ihren mittelalterlichen Vorgänger, mit
Denkmälern geehrt oder in der Kunstgeschichte verherrlicht. "Alles
in allem haben wir eine Vorstellung dessen gewonnen, was gut und was böse
ist," zieht Eco eine positive moralische Bilanz, "dank dieser
neuen Werte sind viele von uns noch am Leben, während in vergangenen
Epochen ein mächtiger sie einfach um die Ecke gebracht hätte."
Kurzfristig mögen die Pessimisten immer mal wieder recht bekommen,
aber langfristig haben bislang immer noch die Optimisten besser gelegen.
Deshalb ist es höchste Zeit mit dem "Fünf vor Zwölf"-Gedröhne
aufzuhören. Die Menschheit schreitet stolpernd voran und wird auch
weiterhin Fehler machen um (manchmal) klüger aus ihnen zu werden.
Aber ist es deshalb beständig "Fünf vor Zwölf"?
Viel wahrscheinlicher ist einfach nur zwölf vor fünf.
Dennoch zieht sich durch alle Großdebatten der letzten Zeit ein
ängstlicher Zukunftspessimismus. Warum flackert kaum noch ein positives
Zukunftsbild auf? Warum ist es allgemein üblich, so niedrige Erwartungen
an die Zukunft zu stellen? Der Katastrophen-Konsens eint die Deutschen
wie kein zweites Thema. In ihrer Rolle als schreckliche Optimisten saßen
die Autoren dieser Zeilen schon prall gefüllten Bürgersälen
gegenüber, in denen ihnen eine überwältigende Mehrheit
aus ambitionierten Weißweintrinkern in gepflegter Abendgarderobe
vorwarf, den desaströsen Zustand der Welt zu verharmlosen und dem
so genannten "mainstream" nach dem Munde zu reden. Die offensichtliche
Tatsache, dass es weder im Saal noch sonst wo auch nur den Hauch eines
optimistischen "mainstream" gab, spielte dabei nicht die geringste
Rolle. Die ganz große pessimistische Mehrheit hält sich erstaunlicherweise
stets für eine einsame, aber tadellose Minderheit. "Das kritische
Bewusstsein der kulturkritischen Bildungselite ist zum volkstümlichen
Konsumgut geworden, nicht anders als der Weißwein in der Eckkneipe
oder der Anspruch auf Authentizität in jeder anderen Hinsicht,"
schreibt Katharina Rutschky und fragt: "Traditionell war das kritische
Bewusstsein immer negativ - vielleicht müssen wir nun, wo es zum
Volksport geworden ist, eines ausdenken, das positiv ist?" Dem möchten
wir aufs schärfste zustimmen: Nichts ist heute subversiver als Optimismus.
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