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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Landwirtschaft
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607024224/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2003-07-11a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Landwirtschaft

Hintergrund:
Die Auseinandersetzung um die Haltung zu Amerika macht einstige Weggenossen zu erbitterten politischen Gegnern. Der Konflikt dringt längst auch ins Privatleben vor und gefährdet manch alte Freundschaft.

 

Gepflegte Landschaften

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Pfingsten paddelten wir in Mecklenburg von See zu See. Wir staunten ehrfürchtig über Seeadler, Eisvögel und Störche. Die Kinder fühlten sich wechselweise wie Mogli und Indiana Jones. Schilfdickicht und Auwälder wucherten so üppig, dass auch die Phantasie der Eltern abhob, und wir uns schon am Amazonas wähnten. Abends waren alle glücklich und zufrieden und erzählten sich gegenseitig von den gemeinsam erlebten Abenteuern: Ein voller Erfolg im heiklen Genre der Generationen übergreifenden Freizeitgestaltung.

Wieder daheim am Schreibtisch lasen wir dann vom Verhandlungsmarathon des Europäischen Agrarrates in Brüssel zur Neuausrichtung der gemeinsamen Agrarpolitik. Ein Abenteuer, mindestens so geheimnisvoll wie Kanufahren im Morgennebel - nur viel teurer. Wie immer hatte Frankreichs oberster Bauernführer Jacques Chirac darauf geachtet, dass die Interessen seinen leicht erregbaren Klienten gewahrt bleiben. Er konnte diesmal aber er nicht ganz verhindern, dass ein paar zarte Reformpflänzchen gesät wurden. So fassten die Minister kühn ins Auge, schon im Jahre 2015 die Milchmarktordnung eventuell zu modifizieren.

Doch obwohl das Brüsseler Gezerre theoretisch dazu gedacht war, die Subventionen zu senken, werden sie praktisch noch mal erhöht. Bisher kostete die Agrarplanwirtschaft alljährlich etwa 50 Milliarden Euro, die Hälfte des gesamten europäischen Haushalts (dazu kommen die Subventionen der Einzelstaaten). Trotz "Modulation", "Degression", "Cross Compliance" und wie die ausgetüftelten Reforminstrumente alle heißen, müssen die Europäischen Bürger nun jedes Jahr drei Milliarden mehr bezahlen. Das kapiert eigentlich niemand mehr, und wir schon gar nicht.

Am wenigsten verstehen wir ein Argument, dass in der Hierarchie der Begründungen für die Agrarsubventionen unaufhaltsam nach oben rückt: Die Milliarden seien notwendig, um die Landschaft zu pflegen. Ohne unsere fleißigen Landwirte, da sind sich Renate Künast und Gert Sonnleitner, Ökobauern und konventionelle Agrarier ungewöhnlich einig, würde unsere schöne europäische Kulturlandschaft zu einem hässlichen Gestrüpp verkommen. Das bringt uns zu der Frage: Wie hässlich muss die Natur gewesen sein, bevor sie mit EU-Milliarden gepflegt wurde?

Wenn man gerade im Kanu an vollkommen ungepflegten und von bäuerlicher Fürsorge verschonten Mecklenburger Ufern vorbei gepaddelt ist, kommt man stark ins Grübeln. Wie konnte diese urwüchsige Schönheit bloß entstehen? Warum reisen eigentlich so viele Deutsche in die völlig ungepflegten Wildnisgebiete Australiens, Kenias oder Nordamerikas? Sie könnten schließlich auch dort den Anblick ordentlicher Obstplantagen und Weizenfelder genießen. Warum lachen wir über Vorgartenspießer, die ihre rechteckige Hecke mit dem Rasierapparat stutzen - haben nicht auch sie ein Recht auf Subventionen und Landschaftspflegegeld? Fragen über Fragen.

Aldo Leopold, einer der Gründerväter der amerikanischen Naturschutzbewegung, notierte nach einer Deutschlandreise in den dreißiger Jahren: "Die Deutschen haben einen unnötigen Hang zur Landschaftsgeometrie, die jeden Kubisten erfreuen würde." Beliebt ist was gefällt, aber muss Großraumästhetik gleich so teuer sein? Erstaunlich, wie tief der Horror vor grüner Anarchie in Deutschland sitzt. Schon vor Jahren lasen wir in einer durchaus ökologisch orientierten Zeitschrift: "Bauminvasion gefährdet Almwiesen." Aber hallo! War nicht irgendwann mal vom Waldsterben die Rede? Und jetzt machen sich heimtückische Lärchen, Tannen und Ahorne über den rasierten Milka-Rasen her, der von untersubventionierten Bergbauern verlassen wurde. Wohin das führen kann, sehen wir in Österreich, wo massive Bauminvasionen Bären zurück in die Alpentäler lockten.

So weit darf es nicht kommen. Auf die Traktoren ihr europäischen Bauern, bekämpft die Bauminvasion, wascht die Maulwürfe und rasiert die Igel! Denn was wäre die Natur ohne euch? Ein ungepflegtes grünes Kuddelmuddel in dem sich womöglich gefährliche Tiere versteckt halten. In jedem Grimms-Märchenbuch können wir lesen, wie bedrohlich die Natur außer Kontrolle geraten kann. Es sollte uns Steuerzahlern doch locker mal 53 Milliarden Euro und den halben EU-Etat wert sein, dass ein bis zwei Prozent der Bevölkerung die Landschaft pflegen, Kühe aufstellen und nebenbei ein paar Nahrungsmittel produzieren, die auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig sind. Der Landschaftsgeometrie gehört die Zukunft! Sie stiftet europäische Identität, denn schon im Rokoko war der französische Garten das Ideal europäischer Fürsten. Nieder mit der Laissez-faire-Wildnis! Und hoch die Heckenscheren!

 

Erschienen in Die Welt vom 11.07.03