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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Grüne
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Grüne

Hintergrund:
In den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung werden die Grünen häufig als eine liberale Partei betrachtet.

 

Von wegen liberal!

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Zu Besuch bei einer befreundeten Familie in Hamburg-Eimsbüttel. Großzügige Altbauwohnung, gehobener Standard. Bei einem Spaziergang durchs Viertel fällt ins Auge: Frisch renovierte Fassaden werden allenthalben von Graffiti verunziert. Unsere Freunde sagen entschuldigend: "Damit muss man halt leben, wir sind ja liberal". Aha. Liberal. Ein paar Tage später eine Diskussion am Rande einer Geburtstagsparty in München-Schwabing. Zwischen Pace-Fahne und Designersofa gut eingerichtete Menschen mittleren Alters. Die gewaltsame Befreiung unterjochter Völker lehnt man hier ab, die gewaltsame Befreiung von Laborratten wird hingegen ausdrücklich begrüßt. Man sei halt liberal.

Laut Brockhaus bedeutet das Wort liberal "freiheitlich gesinnt". Laut neuer deutscher Sprachregelung steht es allerdings nur noch für Beliebigkeit und Werte-Relativismus. Man versteht unter Freiheit nicht länger das Gegenteil von Unterdrückung, Unmündigkeit und Bevormundung. Nein, Freiheit heißt für viele: Private Selbstverwirklichung, gerne auch auf Kosten anderer. Die Entpolitisierung der Freiheitsidee ist damit in vollem Gange. Die so genannten liberalen Milieus der Großstädte wählen heute die Grünen. Deren Programm hat das gleiche Erfolgsprinzip wie der Ikea-Katalog. Man kann sich kuschelig damit einrichten: "Alles was wir tun hat Einfluss auf die gesamte Erde - unser gemeinsames Zuhause" (Werbeslogan Ikea). Alls es soll schön bleiben wie es ist. Und ab und zu nimmt man sich die Freiheit zu frechen kleinen Accessoires, der Homo-Ehe beispielsweise. Man ist halt liberal.

In den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung werden die Grünen immer öfter als eine Art FDP mit Wohlfühl-Gewissen betrachtet. Sie gelten als Reformer, die die altbackenen Sozialdemokraten zur Modernisierung treiben. Dank dieses guten Rufs legten sie bei den letzten Länderwalen munter zu. Die FDP dagegen stagniert und steht ohne Ausstrahlungskraft in der Besserwisserecke. Aber was soll sie machen? Vielleicht wäre es Zeit, mal ein paar Dinge deutlicher beim Namen zu nennen.

Beispielsweise diese: In Wahrheit sind die Grünen so liberal wie der Vatikan. Keine Partei übertrifft sie im Verhindern, Regulieren und Bevormunden. Die Verbotsphantasien grüner Politiker reichen von Billigflugreisen bis zum therapeutischen Klonen. Tief sitzt ihre Sehnsucht nach "Regeln und noch einmal Regeln" (Antje Vollmer). Mit frommer Inbrunst wollen sie das Individuum vor sich selbst schützen. Was unterscheidet eigentlich Vollmer, Künast, Höhn und Roth noch von der guten alten Anstandstante aus dem Kirchenkränzchen?

In den Talkshows werden sympathische Ausnahmen wie Christine Scheel oder Oswald Metzger nach vorne geschoben. In den grünen Ressorts sammeln sich währenddessen Planwirtschaftler mit Hausmeistergesinnung, die ein ganzes Volk mit leeren Blechdosen und Getrenntmülltonnen drangsalieren. Und wenn man in die Länder oder gar die Kommunen schaut, trifft man sie in Scharen: Die beharrlichen Kämpfer für Homöopathie und gegen Mobilfunk, für Vegetarismus und gegen Umgehungsstraßen. Noch unbekehrte Mitmenschen sind ihnen ein Gräuel und weil sie Auftrag des Guten unterwegs sind, sitzen sie in den Gremien jeden Liberalen geduldig aus.

Nicht der Gedanke an Freiheit treibt sie, sondern die Angst davor. Das Image der Grünen wird vom "erlaubt sein" geprägt, ihr tatsächliches Wirken vom Gegenteil: dem Verbieten. Hessen Ex-Umweltminister Fischer erlaubte sich Turnschuhe im Dienst. Nicht erlauben wollte er die gentechnische Produktion eines von Diabetikern ersehnten Insulin-Präparats (bis zur Inbetriebnahme der Anlage vergingen 14 Jahre). In diesen Tagen treiben Renate Künast und Jürgen Trittin das gleiche Spiel mit der Pflanzen-Gentechnik. Noch jeder technische Fortschritt kam auf den grünen Verbotsindex. Die Beispiele reichen von der Informationstechnologie (die Partei hatte 1986 allen Ernstes einen Computer-Boykott beschlossen) bis zum Transrapid. Freie Märkte und freie Forschung sind stets mit Risiken verbunden, die im großen gut gemeinten Zukunftsplan aber von vorne herein ausgeschlossen sein sollen. Für Grüne ist die Zukunft kein frei mäandernder Strom, sondern ein bauamtlich genehmigtes Planschbecken für Nichtschwimmer. Das mag für manche eine Glücksverheißung sein. Nur liberal ist es nicht.

 

Erschienen in Die Welt vom 21.10.2003