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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Robbenjagd
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607024542/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2004-04-21a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Robbenjagd

Hintergrund:
Im Frühjahr 2004 gab die Kanadische Regierung weit mehr Robben zur Jagd frei als in den Jahren zuvor. Wieder geht ein Aufschrei der Empörung durch Europa. Und wieder kursieren die Jahrzehnte alten Falschbehauptungen in den Medien.

 

40 Jahre Robbenmythos

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Beachten Sie bitte folgenden Warnhinweis: Diese Kolumne enthält hässliche Details über das Töten von Tieren. Wer nicht darüber nachdenken möchte, woher Leberwürste, Schuhe oder Federbetten kommen, sollte sie also besser nicht lesen. Nun zum Thema: Dieses Frühjahr jährt sich zum vierzigsten Mal einer der am meisten missbrauchten Öko-Irrtümer der 20. Jahrhunderts: Der Robbenmythos. Es fing damit an, dass 1964 zwei Kameraleute des kanadischen Fernsehens die Robbenjagd auf dem Eis vor der Ostküste filmten. Die Bilder lösten zunächst in Kanada und kurz darauf weltweit Empörung aus. Wir und Millionen andere sahen sie damals im Fernsehen. Einer von uns nahm sogar sein Taschengeld und spendete es an Bernhard Grzimek, der die deutsche Kampagne gegen Robbenjagd ins Leben rief. Bald darauf ließ die Regierung Kanadas die Zustände von Wissenschaftlern, Artenschutz- und Tierschutzexperten untersuchen, erließ Verbote und Regulierungen. Vier Jahre später erklärte Grzimek, dass die Kampagne erfolgreich war und die Missstände größtenteils beseitigt seien.

Für andere war dies der Beginn einer erfolgreichen Geschäftsidee. Die Fotos von den niedlichen Gesichtern junger Robben lösten eine zuvor nie gekannte Spendenflut aus. Mehrere internationale Tierschutzorganisationen sind darüber reich und mächtig geworden. Die zehn größten von ihnen nehmen allein in den USA (vorsichtig geschätzt) jährlich etwa 150 Millionen Dollar ein. Kanadas 12 000 Robbenjäger erwirtschaften ein knappes Zehntel davon.

Der Platz hier reicht bei weitem nicht, um alle Lügen zu widerlegen, die im Laufe der Jahre etabliert wurden, um die Spendenmaschine in Gang zu halten. Hier nur die wichtigsten: Lange hieß es, die kanadischen Robben seien bedroht. Heute hat sogar Greenpeace akzeptiert, was die Zähler sagen: Die beiden betroffenen Arten (Sattelrobbe und Klappmützenrobbe) sind weder selten noch gefährdet. Ganz im Gegenteil: Die Bestände der Sattelrobbe wuchsen infolge niedriger Jagdquoten auf 5,2 Millionen Tiere an. In diesem Jahr, so hat das Fischereiministerium beschlossen, sollen nun 350 000 davon getötet werden. Ein Massenabschlachten? Deutsche Jäger erlegen jedes Jahr dreimal so viele Rehe.

Ist Robbenjagd grausam? Ältere Tiere werden geschossen, Jungtieren wird aus nächster Nähe mit einer Art Spitzhacke der Schädel zertrümmert. Das entspricht der Präzision des Bolzenschusses auf deutschen Schlachthöfen. Auf jeden Fall ist es treffsicherer als die bei uns übliche Jagd mit dem Gewehr auf sich bewegendes Wild in großer Distanz.

Seit Jahren wird die Robbenkampagne von einem grausigen Verdacht angefacht, den einige Spendenorganisationen heftig schüren: Manche Robben würde bei lebendigem Leibe gehäutet. Dies konnte bei der Aufdeckung der Missstände 1964 belegt werden. Heute ist diese Behauptung höchst zweifelhaft. Dagegen sprechen mehrere Studien von Regierungskommissionen und unabhängigen Tierärzteverbänden. Dagegen spricht auch, dass die Jäger von zahlreichen Inspektoren überprüft werden, die per Motorschlitten und Hubschrauber die Fanggründe überwachen. Wer nicht schnell und sicher tötet verliert seine Lizenz und wird bestraft.

Doch es existieren Filmaufnahmen von Jungrobben, die bei der Häutung noch zappeln. Für eine davon wurde nachgewiesen, dass das Filmteam den Jäger für seine Brutalität bezahl hatte. Und die anderen? Zeigen sie Qual oder Reflexe? Wer mal einen Schlachthof von innen gesehen hat weiß: Tierkörper zucken oftmals noch Minuten nach dem sie ausgeblutet sind.

Fazit: In Deutschland werden Wildtiere in größerer Zahl und mit weniger sicheren Methoden getötet (von den landwirtschaftlichen Nutztieren ganz zu schweigen). Die kanadischen Jäger haben einfach das Pech, dass ihre Beutetiere so niedlich sind. Und dass es schauerlich aussieht, wenn ein Mann mit einem Knüppel ein kleines Lebewesen erschlägt, dessen Blut auf den Schnee spritzt. Der Robbenmythos zeigt: Ästhetik ist stärker als Ethik. Von der Vernunft ganz zu schweigen.

 

Erschienen in Die Welt vom 21.04.2004