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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Neonazis
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607024911/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2005-02-02a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Neonazis

Hintergrund:
Medien und Politiker reagieren auf gezielte Provokationen von NPD-Funktionären und Landtagsabgeordneten mit hysterischer Aufgeregtheit – und damit genauso wie von den Neonazis gewollt.

 

Der Rebellenmythos

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Als Rudi Dutschkes Jünger auf dem Kurfürstendamm Weltrevolution spielten, waren wir Gymnasiasten im postpubertierenden Stadium. Der stärkste Motiv den zornigen Studenten hinterher zu rennen, lieferten Erziehungsberechtigte aller Art sowie das politische Establishment. Es war ihre geradezu hysterische Aufgeregtheit. So empört, entrüstet und gleichzeitig hilflos hatten wir sie noch nie erlebt. Alles was mit diesem Dutschke und seinen Leuten zusammenhing war von da an so verlockend wie eine Faschingsparty in der Mädchenschule.

Dummerweise erzielen ausgerechnet die Neonazis heute den gleichen Effekt. Und das liegt nicht an ihnen selbst. Was sie sagen und tun ist auch unter Public Relations-Gesichtspunkten nicht sonderlich einfallsreich. Eigentlich müssen sie fast gar nichts tun. Denn der von ihnen erwünschte Rebellenmythos wird zuverlässig von Politikern und Journalisten erschaffen.

Vierzehnjährige haben gute Antennen für leere Rituale und scheinheilige Floskeln. Ihr natürlicher Feind ist die Anstandstante, die ständig am Rande der Ohnmacht den Zeigefinger schwingt und zetert: Dies darf man nicht sagen jenes geht zu weit. Heutigen Postpubertanden geht die dauernde Bevormundung der Political Correctness auf die Nerven. Und man kann sie verstehen, die antifaschistische Attitüde der Etablierten klingt wenig glaubwürdig aus dem Munde von Leuten, die sich im gleichen Ton einstudierter Empörung über jedes beliebige Thema hermachen: Von der Verwerflichkeit amerikanischer Buletten bis zur vorgeblichen Homophobie eines angehenden EU-Kommissars. Die perfekte filmische Verkörperung dieses aufgeregten Spießertums war Louis de Funès. In seinen Rollen machte er immer viel Wind, gewann jedoch nie Respekt.

Das Betroffenheitstremolo wirkt nicht sehr glaubwürdig, zumal es obendrein im Chor mit den Abkömmlingen der SED-Diktatur gesungen wird. Deren kanonisierter Antifaschismus war jahrelang nichts weiter als ein undichtes Dach auf einem grauen Lügengebäude. Einem Vierzehnjährigen, der nie Geschichtsbuch gelesen hat, ist schwer zu vermitteln, dass diese Gesinnungs-Hausmeister im Falle NPD plötzlich Recht haben sollten.

Über aufgeregtes Gackern und symbolische Gesten lachen die braunen Bühnenkünstler sich eins. Aber auch das Ignorieren ist keine Lösung, dafür sind sie in Sachsen schon zu stark. Bisher hatten sie offenbar nicht genug Gelegenheiten sich zu blamieren. Man sollte sie ihnen endlich bieten. Das Programm der NPD ist ein Flickenteppich aus zusammengeklaubten ideologischen Restbeständen. Die NPD-Welt riecht nach Mottenkugeln und verdient es in Ihrer Beschränktheit vorgeführt zu werden. Außenpolitik: Achse Berlin-Teheran-Pjöngjang. Wirtschaftspolitik: Dunkelroter Sozialismus (Armut für alle!). Einwanderung: Wenn alle in Deutschland lebenden Ausländer nur einen Tag streiken würden, dann Stünde auch Sachsen samt Krankenhäusern still und die Arier blieben auf ihrem Müll sitzen. Umwelt: Verirrt im deutschen Märchenwald. Kultur: Zurück zum Eintopfsonntag. Plötzlich werden aus Rebellen Würstchen.

Solange sich die Neonazis aber als Stachel im Fleische der Etablierten verkaufen können, werden sie Erfolg haben. Symbolische Empörung ist bequemer, aber um die inhaltliche Auseinandersetzung wird man nicht herumkommen. Doch wenn den NPD-Funktionären die Argumente ausgehen, dann zeigen sie jene rassistischen und hetzerischen Affekte, die den Staatsanwälten das Einschreiten erlauben.

Das Gegenbild zum aufgeregten Leerlauf eines Louis de Funès finden wir bei John Wayne. Banditen sind in der Stadt? Cool bleiben, gut zielen - und erst schießen, wenn auch sicher ist, dass man trifft.

 

 

Erschienen in Die Welt vom 2.2.2004