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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Eliten
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Eliten

Hintergrund:
Internationale Bürokratien und NGOs bilden eine neue kaum kontrollierte Macht.

 

Die neue Klasse

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Als wir die Schimpansenforscherin Jane Goodall einmal fragten, wie sie ihr dichtes Programm aus Vorträgen, Spendengalas und Konferenzen eigentlich bewältigt, antworte sie lächelnd: "Ich wohne im Flugzeug." Das war nicht ironisch gemeint. Ihr internationales Pensum kriegt sie anders nicht hin. Die Charismatische Wissenschaftlerin hatte Anfang der neunziger Jahre die Forschung an den Nagel gehängt um fortan mit aller Kraft für den Schutz der Menschenaffen zu werben. Das gelingt ihr bis heute vorzüglich. Sie gehört zur Elite eines globalen Ethik-Jet-Sets, der inzwischen viel einflussreicher ist, als mächtige Gewerkschaftsbosse oder Kirchenführer, die noch in nationalen Grenzen agieren. Nicht alle, die dazu gehören sind so bescheiden und integer geblieben wie Jane Goodall. Auch ein Leben in Flugzeugen und exquisiten Hotels kann hart und entbehrungsreich sein - muss aber nicht.

Erfolgreiche Umweltschützer sitzen nicht mehr im gelben Ölzeug im Schlauchboot. Versierte Dritte-Welt-Aktivisten besuchen nur noch selten ein staubiges Dorf. Auch Revolutionäre reisen Businessklasse. Sie treffen sich alle auf dem globalen Parkett, man kennt sich, man sieht sich. Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind immer dabei. Das größte Kontingent an Konferenztouristen wird jedoch von den Regierungen der Nationalstaaten gestellt. Vertreter internationaler Organisationen wie EU und UN bilden die High Society dieser Events. Auch die Gehaltstarife spiegeln das wieder: Bei den Internationalen verdient man besser als bei den Nationalen, und bei den Globalen am besten. Eines ist ihnen allen gemeinsam: Niemand hat sie gewählt und sie haben keine Basis, der sie sich ernsthaft verantworten müssten.

Spätestens seit dem Erdgipfel in Rio 1992, zu dem damals 35 000 Teilnehmer kamen, entsteht eine besondere Form von "neuer Klasse". Dieser Begriff wurde von dem jugoslawischen Kommunisten und späteren Dissidenten Milovan Djilas Ende der fünfziger Jahre in die Welt gesetzt. Er sollte deutlich machen, dass die Partei-Elite in den kommunistischen Ländern mehr war als nur eine Nomenklatur etablierter Ex-Revolutionäre. Die Apparatschiks bildeten eine neue Klasse, die ihre ökonomische Vormachtstellung und ihre Privilegien sicherte und ausbaute.

Die neue Welt-Klasse der rapide wachsenden supranationalen Organisationen und endlosen Kettenkonferenzen ist noch nicht soweit. Doch in Aussehen, Habitus und einer gewissen Art schlechtes Englisch zu sprechen haben sie es bereits zu bemerkenswerter Uniformität gebracht. Ihr gemeinsames Motto lautet: "Mir ist egal was ich mache, aber ich mache es professionell." Und so wechseln sie im zwei Jahres Rhythmus vom IRK zur WHO, vom WWF zum IWF und zurück. Wer jung ist, Fremdsprachen spricht und gute Abschlüsse vorweisen kann, versucht auf dieses Karussell aufzuspringen. Man sieht die Welt und genießt weitaus mehr soziales Renommee als der Studienkollege, der sich bei einem finsteren multinationalen Konzern verdingen muss. Das tut gut, wenn man neben ihm im Flugzeug sitzt.

Doch so losgelöst die neue Klasse auch wirkt, ihre ökonomische Ausstattung wird von den Steuerzahlern der Nationen bestritten. "Sie sind," sagte Josef Joffe einmal, "keine staatstragende, aber eine vom Staat getragene Klasse." Die Bürger beschleicht das Gefühl, mehr erfahren zu wollen, über das Gremientreiben in UN und EU. Sie möchten mal erklärt bekommen, warum bei Klimakonferenzen Zehntausende teilnehmen müssen. Und weshalb jedes modische Problem entschlossen mit einer internationalen Tagung bekämpft wird. Aber die neue Klasse ist längst in den Wolken entschwunden.

 

 

Erschienen in Die Welt vom 18.05.2005