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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Entwicklung und Umweltschutz
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Entwicklung und Umweltschutz

Hintergrund:
Das wirtschaftlich aufstrebende China produziert gewaltige Umweltprobleme - aber es wird sie lösen.

 

Das China-Syndrom

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Erschienen am 12.05.2006 in DIE WELT

"Ich sage nur China, China, China," raunte dereinst Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Das Riesenreich beflügelte schon immer Phantasie und ängstliche Befürchtungen. In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde gewarnt, die rasch wachsende chinesische Bevölkerung könne niemals ernährt werden. Dies geschah in der Tradition des englischen Geistlichen Thomas Malthus. Der glaubte im 19. Jahrhundert ein Gesetz entdeckt zu haben, wonach sich die Nahrungsproduktion nur linear steigern lasse, während sich die Bevölkerung exponentiell vergrößere.

Doch statt zu Hungern nehmen die Chinesen den westlichen Industrienationen die Märkte ab. Weshalb die Malthusianer auf ein anderes Argument umschwenkten. "Wenn alle Chinesen so leben wollten wie wir, dann bräuchten wir zwei Planeten", heißt nun die Parole. Wegen seines Wirtschaftswachstums und des Ressourcenbedarfs werde das Riesenvolk den Planeten zerstören. Eine deutsche Illustrierte zeigte dazu eine junge Chinesin, die mit Stäbchen die Erdkugel verspeist. So wird der chinesische Erfolg zum Menetekel umgedeutet: Seht her, so zerstört die Globalisierung die Umwelt.

Richtig ist daran: Ja, China hat gewaltige Umweltprobleme. Von zehn der weltweit schmutzigsten Städte liegen laut WHO sieben in China. Zwei Drittel der 350 größten Städte des Landes können nicht einmal die lokalen Grenzwerte einhalten. Die Luft ist um den Faktor 10 bis 50 schlechter als an den extremsten Smog-Tagen in Los Angeles. Ähnliches für die Wasserqualität. Nach Schätzungen der Weltbank entstehen durch Umweltkrankheiten Kosten in Höhe von zwei bis drei Prozent des chinesischen Bruttosozialproduktes. In puncto Umweltschutz ist das Land auf dem Stand von Deutschland im Jahr 1950. China macht ähnliches durch, wie Europa oder Nordamerika viele Jahre zuvor. Eine stürmische Industrialisierung verschlechtert auch hierzulande in ihrer Anfangsphase viele Umwelt-Indikatoren. Soweit die historische Erfahrung Teil I.

Doch es gibt auch einen Teil II. Den veranschaulichen Wissenschaftler mit der so genannten "Umwelt-Kusznets-Kurve". Diese verläuft wie ein auf dem Kopf stehendes U. Nachdem die Umweltverschmutzung zunächst mit wachsendem Wohlstand rapide ansteigt, erreicht sie schließlich ihren Höhepunkt und fällt dann wegen eingeleiteter Umweltschutzmassnahmen genauso rapide wieder ab - trotz weiter steigendem Wohlstand. Eine solche Kurve durchliefen alle heutigen Industrienationen. Mit einem Unterschied: Je später ein Land in die Industrialisierung eintritt, desto schneller scheint der Höhepunkt der Verschmutzung überschritten zu sein. Wofür London noch 100 Jahre brauchte, könnte in Shanghai in 25 Jahren passieren. Asiatische Städte wie Tokio, Seoul oder Singapur haben das bereits vorgemacht.

Nach dem kürzlich vorgestellten "2006 Index of Enviromental Indicators" des Pacific Research Institute werden auch die Chinesen immer umweltbewusster. Die staatlichen Ausgaben in diesem Bereich wachsen jährlich um 15 Prozent, 5 Millionen Hektar Wald wurden angepflanzt, die Zahl und Fläche von Naturschutzgebieten hat sich seit 1990 nahezu verdreifacht. Die Kläranlagen-Kapazitäten in den letzten 5 Jahren verdoppelt, seit 2004 wurden 320 000 Bauprojekte einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen. Stickoxyd- und Schwefeldioxidemissionen beginnen in vielen Städten zurückzugehen.

Dies alles geschah nicht von selbst, sondern aufgrund tausender (!) von Massendemonstrationen. So gingen in der Provinz Zhejiang im April 2005 mehr als 60 000 Menschen auf die Strasse und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Grund: Verschmutzungen durch Chemiefabriken. Sechs davon wurden inzwischen geschlossen. Die vom Umweltgedanken geleiteten Chinesen scheinen auf dem besten Weg, zur stärksten Demokratisierungskraft des Landes zu werden. Das könnte eine weitere umwelthistorische Erfahrung werden, gewissermaßen Teil III.