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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Menschenbild
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Menschenbild

Hintergrund:
Der SPD-Fraktions-Vorsitzende erklärt: "Das Menschenbild, das wir hatten, war vielleicht zu positiv.

 

Hartz- und Hühnerdiebe

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Erschienen am 30.06.2006 in DIE WELT

Wie einfach könnte das Leben doch so sein, wenn die Welt sich so verhielte, wie die Obrigkeit sich das vorstellt. Da ist man in Bayern stolz auf seinen amtlichen Naturschutz und freut sich über den ersten Bären seit 170 Jahren. Doch der da kommt ist kein Steiftier und auch nicht Balu aus dem Dschungelbuch, sondern Bruno aus dem richtigen Leben, ein Hühnerdieb, der Pranken und Klauen hat, beißt und randaliert. Huch! Edmund Stoiber legte sogleich eine ethische Bärennorm fest, fortan unterscheidet die bayrische Staatskanzlei zwischen dem "sich normal verhaltenden Bär" ("ein bis zwei Schafe pro Jahr"), dem "Schadbär" und dem "äh, Problembär". Es gibt jetzt in Bayern zwar keinen Bären mehr, aber dafür einen Bärenbeauftragten, der ein Bärenmanagement aufbauen soll, auf dass der neue Bär geschaffen werde.

Während man sich in München im Bärenbild geirrt hat, lief man in Berlin mit dem neuen Menschen auf Grund. Der SPD-Fraktions-Vorsitzende Peter Struck erklärte zu den Hartz-Gesetzen: "Das Menschenbild, das wir hatten, war vielleicht zu positiv. Es war zu optimistisch anzunehmen, dass Menschen das System nur in Anspruch nehmen, wenn sie es wirklich brauchen." Huch! Unerhört: Menschen, denen man dazu die Gelegenheit gibt, suchen ihren Vorteil - und das mitten in Deutschland! Die Parallele zwischen Hartz- und Hühnerdieb drängt sich geradezu auf. Und auch die Frage, wie es einer Regierung anno 2005 noch passieren kann, Gesetze auf Basis des Gedankens zu verabschieden, der Mensch trachte ausschließlich danach, edel, hilfreich, gut, gebärfreudig und gelassen patriotisch zu sein.

Von der glorreichen Sowjetrevolution bis zum deutschen Arbeiter- und Bauernstaat gibt es eine reiche historische Auswahl an Projekten, die an einem "zu positiven Menschenbild" scheiterten. Und wenn der neue Mensch lieber der alte blieb, ließ man ihn erschießen - so wie Bruno, als er nicht das erwünschte Benehmen an den Tag legte.

Wenn es ein strukturelles Defizit in Deutschland gibt, dann im Unvermögen eines großen Teils der politischen Klasse daraus zu lernen. Die ganz große Koalition der deutschen Politik sieht sich unverdrossen als begabter Sozialingenieur, der den Menschen nach seinem Willen formen möchte, anstatt ihn zu nehmen wie er ist. Nachdem sie den Bürger jahrzehntelang auf staatliche Fütterung konditioniert haben, beklagen sie nun, dass Empfänger zum Arbeitsamt gehen "und für sich und ihre Kinder das Geld wie Gehälter fordern" (Struck).

Die Herrschaften gleichen einem Gastwirt, der pleite ist, es aber nicht lassen kann zum Freibier einzuladen, damit die Kneipe voll ist und alle bei Laune bleiben. Und wenn dann alle kommen und sich einen Schluck aus der Pulle gönnen, ist man furchtbar erschrocken, dass nicht nur die Freibier trinken, "die es wirklich brauchen". Und dann geht der Wirt polternd von Tisch zu Tisch und fordert "mehr Anstand", schließlich "müsse man nicht alles rausholen, was geht" (Kurt Beck).

Wer so handelt, hat weder von Menschen noch von Anstand eine Ahnung. Anstand ist eine Kategorie, die den Staat überhaupt nichts angeht. Er soll wenige, aber ordentliche Gesetze machen, die das friedliche Zusammenleben der Bürger verbindlich regeln. Dafür müssen sie nicht anständig sein, sondern nur lesen können. Anstand und Rücksichtnahme aber gedeihen ganz ohne Staat in direkten Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen. Die Verheißung einer anhaltenden Kooperation führt dazu, dass Menschen sich beispielsweise bei freiem Handel und Tausch meist anständig benehmen, weil sie einen langfristigen beiderseitigen Vorteil, kurzfristiger einseitiger Übertölpelung vorziehen. Man nennt das "prosoziales" Verhalten. Sobald eine staatliche Umverteilungsmaschinerie diesen Vorgang anonymisiert, kommt der Anstand auf den Hund.

Und genau dies leistet ein über Jahrzehnte ausgeufertes Umverteilungsdickicht, bei dem das Geld scheinbar vom Himmel fällt, weshalb beim Plündern niemand ein schlechtes Gewissen haben muss. Und wie lautet die aktuelle Antwort auf die Verheerungen von zu viel Staat? Noch mehr Staat! Die Kontrolle der Konten ist bereits lückenlos, die der Schlafzimmer macht Fortschritte (Hartz), die der Gesinnung steht bevor (Anti-Diskriminierungsgesetz). Und so basteln sie in Berlin weiter am neuen Menschen und in München am neuen Bären, was historisch zwangsläufig zum ersten deutschen Bären- und Bauernparadies führen muss.