(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Demographie
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607024522/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2004-03-31a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Demographie

Hintergrund:
Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, stürmt mit seinem Buch "Das Methusalem-Komplott" die Bestseller-Listen. Das Altern der deutschen Gesellschaft werde in "Altersrassismus"mit kriegsähnlichen Zuständen münden.

 

Das Methusalem-Kompott

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Neulich lag eine Abo-Werbung für eine Seniorenzeitschrift im Briefkasten. Adressiert an Maxeiner. Willkommen in der Zielgruppe für "Doppelherz"! Der Tag war natürlich gelaufen. Älter werden trägt nicht zwangsläufig zur guten Laune bei, manchmal aber doch. Beispielsweise wenn sich der Mensch jenseits der 40 daran erinnert, wie viele Weltuntergänge er bereits überlebt hat. Gut erinnern wir uns noch an einen Bestseller der sechziger Jahre: "Die Bevölkerungsbombe". Paul Ehrlich beklagte darin die rasante Zunahme der Kinderzahl und sagte todsicher voraus, dass die Hälfte der Menschheit verhungern würde. Als dies nicht eintraf, suchte sich die vagabundierende Katastrophensehnsucht neue Schlachtfelder. Mal sollte wegen den Industrieabgase eine neue Eiszeit ausbrechen, dann bis zur Jahrhundertwende alle Rohstoffe ausgehen (Dennis Meadows). Ein andermal bedrohte uns der Atomstaat mit "Technofaschismus" (Robert Jungk). Zwischendurch starb der Wald und es wuchsen die Raketen, so dass der damalige Chefredakteur der Illustrierten "Stern" besorgt fragte: "Ist dem Bundeskanzler nicht klar, dass sein Vaterland in Gefahr ist, zu einer Pershing-geschützten Dioxin-Steppe zu verkommen?". Haben wir was vergessen? Ach ja, das Aussterbend er Deutschen durch Aids war in den Schlagzeilen von1985 beschlossene Sache. Nun wir leben, der Wald ist noch da und die Sowjetunion weg, was soll noch kommen? Natürlich Frank Schirrmacher.

Der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen hat ein Buch geschrieben und via Bildzeitung mit Flammenschrift unters Volk gebracht. Es heißt "Das Methusalem Komplott" könnte aber auch frei nach Paul Ehrlich "Die Bevölkerungsbombe, Teil 2" heißen. Allerdings knallt die Bombe jetzt ganz anders: Schirrmacher beklagt die rasante Abnahme der Bevölkerung. Irgendwie schließt sich da ein Kreis. Todsicher sagt er voraus: "Jedes zweite kleine Mädchen, das wir heute auf den Strassen sehen, hat eine Lebenserwartung von 100 Jahren!" Grande Katastrophe! Der Geburtenrückgang in vielen, vor allem westlichen Ländern (also etwas, was man sich früher gewünscht hat), führt jetzt angeblich direkt ins Verderben. "Alters-Rassismus" werde um sich greifen. Alles in allem: "Gesellschaft und Kultur werden so erschüttert sein wie nach einem lautlosen Krieg". Pardon: Geht's nicht auch ne Nummer kleiner?

Offenbar nicht: "Deutschland wird im Jahre 2050 zwölf Millionen Menschen verloren haben - das sind mehr als die Gefallenen aller Länder im ersten Weltkrieg". Wir glauben, dass man eine sinkende Geburtenrate nicht unbedingt mit den Schrecken des Krieges vergleichen sollte. Ältere Gesellschaften sind ohnehin friedlicher. Der erfreuliche Rückgang von Gewaltverbrechen, den die Kriminalstatistik verzeichnet, wird von Fachleuten genau darauf zurückgeführt. Es mag einschneidende Veränderungen geben, aber warum muss das mit solchem Bombast zu einem Katastrophen-Eintopf verrührt werden? "Unsere Kinder werden wieder zu Zeitgenossen der Wölfe! Bundesländer werden verwildern, Brandenburg, Meck-Pomm, Thüringen, Pfälzer Wald, Hunsrück." Man könnte diese Sentenz auch anders formulieren: Rüstige Naturführer werden junge und staunende chinesische Touristen durch die wunderbaren deutschen Nationalparks leiten. Es wird wieder mehr Platz im Lande sein, auf der Autobahn wird weniger gerast, wir verbrauchen weniger Energie und Ressourcen und das Kyoto-Protokoll erfüllen wir mit links. Statt dessen: "Unsere Erde wird wie ein riesiges Altersheim durchs Weltall kreisen!" Wir haben nichts gegen kreisende Altersheime. Und wer weiß, vielleicht kommt's ja ganz anders, und die Deutschen entschließen sich plötzlich wieder Kinder zu kriegen, weil es ohne so langweilig ist. Methusalem hatte damit jedenfalls kein Problem. Er zeugte im Alter von 187 Jahren seinen ersten Sohn Lamech.

 

Erschienen in Die Welt vom 31.03.2004