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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Gesunde Ernährung
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Gesunde Ernährung

Hintergrund:
Politiker fordern höhere Mehrwertsteuer auf ungesundes Essen.

 

Die magische Friteuse

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Die Prinzipalin unserer Lieblingswürstchenbude gilt zugleich als begabte Wahrsagerin. Und weil wir Stammkunden sind, durften wir neulich durch ihre magische Friteuse in die Zukunft schauen. Das war an dem Tag, als Renate Künast höhere Steuern auf ungesunde Lebensmittel forderte. Prompt landeten wir im Verbraucherschutzministerium. Wir sahen einen Konferenzraum in dem blasse, magere Menschen heftig diskutierten.

Nach einer Weile stellt sich heraus, dass wir uns im Jahr 2007 befinden (und das Ministerium immer noch grün besetzt ist). Das Gremium, das wir belauschen, ist die "Kommission für unbedenkliche Kost" (KUK). Sie ist vom Kanzler persönlich berufen worden (Chefsache), nachdem die Erhöhung der Mehrwertsteuer für fettes oder ungesundes Essen endlich durchgesetzt war.

Die Verwirrung im Lande ist groß. Niemand begreift, wie welches Gericht korrekt zu versteuern ist. Wird ein Menü im Restaurant insgesamt höher veranschlagt, wenn nur der Nachtisch ungesund ist? Dürfen ungesunde Geschäftsessen noch von der Steuer abgesetzt werden? Dürfen Sozialhilfeempfänger Leberwurst oder Gummibärchen von ihren Zuwendungen kaufen? Die Kardinalfrage lautet: Was ist eigentlich gesund und was ist ungesund?

Die Besetzung der KUK zeugt von vollendeter Ausgewogenheit: Vertreten sind unter anderem ein Ökobauer biologisch-dynamischer Ausrichtung und einer von der organisch-biologischen Schule, zwei Repräsentanten der Zivilgesellschaft (Greenpeace und Foodwatch), eine katholische und eine evangelische Ökotrophologin sowie eine Delegierte aus dem Nachhaltigkeitsrat.

Wir schauen gebannt in unsere brodelnde Friteuse und erleben eine kleine Formkrise des Gremiums. Die Vorsitzende klagt, dass bislang kein einziges Lebensmittel gefunden sei, über dessen Unbedenklichkeit Konsens herrsche. "Wenn das so weitergeht," ruft sie in den Saal, "weiß doch niemand mehr, welches Essen noch erlaubt ist." Die Vertreterin der Tierrechtsbewegung zischt: "Die Welt wäre ohnehin besser, wenn alle aufhören zu essen." Als alle Aufstöhnen und zur Decke blicken, erklärt die junge Dame, sie habe das ironisch gemeint.

Die Vorsitzende ruft zur Ordnung. Heute stehen "Kartoffeln" auf der Liste. "Geht aus unserer Sicht in Ordnung," sagt die Tierrechtlerin, "vorausgesetzt die Kartoffelkäfer werden lebend abgesammelt." "Aber öko müssen sie sein," wirft einer der Biobauern ein. Greenpeace kontert: "Kann eine Pflanze öko sein, die ohne jeden Versuchanbau aus Amerika zu uns eingeschleppt wurde?" Und Foodwatch sorgt sich: "Was machen wir, wenn McDonald's Ökofritten als trojanisches Pferd in seine Speisekarte aufnimmt?" "Keine Aufregung," erhebt sich der Vertreter der Verbraucherverbände: "Die Kartoffel hat sowieso null Chance."

Dann zählt er deren natürliches Giftregister auf: "Solanin, Chakonin, Amylase-Hemmer und Isoflavone, um nur einiges zu nennen." Und er fügt hinzu: "Diese bedenklichen Substanzen können Reizungen des Magen-Darm-Traktes auslösen, das Nervenssystem schädigen und wie weibliche Sexualhormone wirken." Die Vorsitzende fasst genervt zusammen: "Die Kartoffel ist also auch erledigt. Seit Monaten erlebe ich hier das gleiche Spiel: Tomaten? Raus! Wegen Quercetin. Sellerie wegen Psolaren. Sogar Brokkoli wegen Goitrin. Wir können doch nicht ALLES für ungesund erklären."

Als nächster Punkt steht Mineralwasser auf der Agenda. Und, oh Wunder: Zum ersten Mal einigt sich die KUK auf ein unschädliches Lebensmittel. Unglücklicherweise eilt ausgerechnet in diesem Moment der Vertreter des Umweltministeriums verspätet in den Raum. "Also so einfach ist das nicht," setzt er mit einer gewissen Schärfe im Ton an. "Mineralwasser emittiert Kohlendioxid. Das ist mit der Klimapolitik meines Hauses nicht zu vereinbaren." Leider hatte die magische Friteuse plötzlich eine Bildstörung und wir wurden in die Gegenwart zurückgeworfen. Wir bestellten zwei Rindswürste mit Kartoffelsalat und verdauten sie sehr nachdenklich.

 

Erschienen in Die Welt vom 28.07.2004