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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Smalltalk
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Smalltalk

Hintergrund:
Es wird immer schwierige, die Ansichten der Mitmenschen richtig einzuschätzen.

 

Heiteres Gesinnungsraten

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Wir unterhalten uns eigentlich gern mit wildfremden Menschen, weil das so viele Überraschungen birgt. Längst sieht man dem Gegenüber nicht mehr am Äußeren an, was er denkt oder welchen Standpunkt er in bestimmten Fragen vertritt. Birkenstocks können heutzutage durchaus mit aufgeklärtem Gedankengut kombiniert sein. Umgekehrt kann sich hinter dem schniecken Business-Kostüm eine gesinnungstechnische Wollsocke verstecken. Also Vorsicht bei den jetzt allfälligen Weihnachtsfeiern.

Wer keine Lust auf Streit hat, sollte nicht vorschnell mit der eigenen Meinung rausrücken, sondern rhetorisch ein wenig um den heißen Brei kreisen. Als Freunde der grünen Gentechnik haben wir uns beispielsweise angewöhnt bei Geschäftsessen ironisch in die Vorhand zu gehen: "Hoffentlich sind diese Karotten genfrei!" Prasseln nun weitere Anzüglichkeiten herab, handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen naturwissenschaftlichen Kongress. Entspinnt sich, was viel öfter vorkommt, ein Dialog über die Segnungen von Biokost, sollte man das Thema vorsichtig wechseln. Wird neben der Möhre ein Hasenrücken serviert, ließe sich etwa über die Hundemodekollektion unserer Kanzlergattin herziehen. Aber erst checken, ob jemand das vegetarische Menue bestellt hat, es könnte ein zähnefletschender Peta-Sympathisant am Tisch lauern.

Gentechnik, Tierschutz, Atomkraft, Globalisierung, Klimakatastrophe, Islam: Die Welt ist voller Fettnäpfchen. Die Kunst der konfliktfreien Konversation besteht darin, das Gespräch mit einer unverbindlichen Äußerung zu eröffnen und den anderen draufsatteln zu lassen. Mit der Äußerung "Ich habe Sonntag beim Anschauen von Sabine Christiansen körperliche Schmerzen gelitten", liegt man eigentlich immer richtig. Das schöne daran: Es bleibt dem anderen überlassen, welcher der Talkrunden-Kombattanten bei ihm dieses Gefühl auslöste. War es Claudia Roth? Oder Laurenz Meyer? Oder Frau Christiansen selbst? Oder etwa alle zusammen? Das Gegenüber hat gewissermaßen den schwarzen Peter. Im Verlaufe eines Abends kann eine Fülle solcher versteckter Gewissenprüfungen absolviert werden. So entsteht allmählich ein weltanschauliches Phantombild des Gesprächspartners.

Die ganz hohe Schule der vorsorglichen Durchleuchtung ergibt sich jedoch bei der Frage aller Fragen. Wie steht man zu George W. Bush? Wer ihn für einen direkten Nachfolger von Dschingis Khan hält, kann es einfach sagen, weil er statistisch auf der sicheren Seite ist. 90 Prozent aller Deutschen dürften ihm zustimmen und der Rest schweigt vorsichtshalber. Kann man Bushs Politik durchaus auch Positives abgewinnen, wird die Sache delikat. Wer damit offen rausrückt, riskiert für den Rest des Abends als Partypupser in der Ecke zu stehen.

Deshalb gilt es sich der Sache etwas sensibler zu nähern. Beispielsweise so: "Das beste an der Wahl von Bush war das dumme Gesicht seiner Gegner". Vorteil dieser Bemerkung: Einerseits appelliert sie an die Schadenfreude, ist also tendenziell mehrheitsfähig. Andererseits bleibt die Einstellung zum US-Präsidenten selbst offen. Der angesprochene Kreis hat jetzt zwei Möglichkeiten darauf einzugehen. In der Regel wir so etwas kommen wie: "Das ist aber ein schwacher Trost für vier weitere Jahre Dschingis Khan." Dann besser nicht weiterbohren.

Andererseits lässt die Formulierung die Tür auch einen Spalt für jene offen, die George W. Bush aufgeschlossen gegenüber stehen. Bush-Freunde sind hierzulande ein scheues Wild und haben deshalb ein hochsensibles Instrumentarium für versteckte Einladungen zum Bekenntnis entwickelt. So etwas nennt der Waidmann Witterung. Das Outing fängt erst ganz langsam an und geht dann immer schneller. Das Risiko ist groß, die Belohnung aber auch. Fällt endlich der Satz "Ich finde den Bush gar nicht so schlecht", wird aus der Konversation meist ein wärmendes Lagerfeuer, das so manch anderen Gegensatz mühelos dahinschmelzen lässt. Nichts verbindet mehr, als sich ein paar Stündchen harmonisch über den Rest der Welt herzuziehen.

 

Erschienen in Die Welt vom 15.12.2004