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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Gute Sitten
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Gute Sitten

Hintergrund:
Die Kultur der verbindlichen Absage stirbt aus.

 

Nein

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Unlängst bot einer von uns dem Ressortleiter einer Zeitschrift eine Geschichte an. Die Antwort kam prompt per E-Mail und bestand nur aus einem Wort: „Nein“. Das verletzte zwar die zarte Autorenseele, war andererseits aber schnell und eindeutig wie eine Replik von Donald Rumsfeld. Der kurze Anflug von Verärgerung machte denn auch rasch einem anderen Gefühl Platz: Hier hat jemand eine klare Position und er teilt sie auch ohne Umschweife mit. Er ist damit eine rühmliche Ausnahme, bei der man wenigstens weiß, woran man ist. So etwas erleichtert die Zusammenarbeit ungemein. Oder - wie im vorliegenden Fall - verhindert es eine Zusammenarbeit. Lieber fest auf den Boden der Tatsachen geholt werden, als in einem Meer von Watte umherirren.

Wir haben durchaus nichts gegen den Wandel von Sitten und Gebräuchen. Eine Konvention, deren Ableben wir ausdrücklich bedauern, ist jedoch die verbindliche Absage. Viele Menschen - besonders im Berufsleben - sagen oder schreiben nicht mehr „nein danke“. Sie denken es nur. Oder sie denken gar nichts. Gedankenlesen ist ja schon schwer genug, das Lesen von Nicht-Gedanken bedauerlicherweise unmöglich.

Anstatt sich klar auszudrücken, wird geschwiegen oder bis auf weiteres zugestimmt. Der jeweilige Geschäftspartner kann dann nach ein paar Wochen Schweigen im Walde allenfalls vermuten, dass sein Vorschlag nicht angenommen oder seine Frage abschlägig beschieden wurde. Da er seinen übersinnlichen Fähigkeiten jedoch misstraut, fängt er an zu Grübeln: Vielleicht ist die E-mail gar nicht angekommen? Oder braucht derjenige etwas lange zum Nachdenken? Ist das jetzt ein gutes oder schlechtes Zeichen? Gegenüber jungen Leuten, die beispielsweise Bewerbungen abschicken und keine rasche Antwort bekommen, ist es weder das eine noch das andere, sondern ganz und gar rücksichtslos. Und doch hält man es vielfach nicht einmal für nötig, Bewerbungsunterlagen zurückzuschicken.

Aber auch in allen anderen Fällen entsteht statt einer klaren Antwort eine unklare Situation. Das ganze ist so effizient wie eine Verkehrsampel bei der alle drei Farben zugleich aufleuchten. Die Zeit des Rätselns und der Hoffnungen auf Grün könnte auch produktiver verbracht werden. In Afrika hörten wir mal den Spruch „perhaps ist white man’s no“ (‘vielleicht‘ ist das ‘nein‘ des weißen Mannes). Man liest auch viel von asiatischen Umgangsformen, bei denen ein direktes „nein“ als blanker Affront und Gesichtsverlust gewertet würde. Wir haben allerdings ganz und gar nicht das Gefühl, dass sich in deutschen Unternehmen asiatische Höflichkeit ausbreiten könnte. Jürgen Schrempp ist doch nicht der Dalai Lama.

Woran liegt es also? Ein Mangel an Ratgebern mit Titeln wie „Neinsagen ohne zu verletzen“ besteht ja auch nicht. Darin ist meist zu Lesen, dass die Unfähigkeit zum Nein einem schwachen Ego entspringe und der Angst, „abgelehnt und nicht mehr gemocht zu werden“. Unserer Erfahrung nach trifft solches zumindest im gewerbsmäßigen Umgang miteinander nicht zu. Die dort vorherrschenden schwachen Egos wissen meist, dass sie eh keiner mag.

Oder hängt es mit der Sozialisierung in der Kuschelgesellschaft zusammen, in der jede Ablehnung und Kritik so lange weichgespült wird, bis sie als Zustimmung und Lob empfunden werden kann? Es beginnt in der Kindererziehung, wo auch noch das allerschlampigste Gekritzel zum Kunstwerk erklärt wird (Was sich bei erwachsenen Künstlern mitunter fortsetzt). Null Frustration lautet das Ziel. Piep, piep, piep, wir ham’ uns alle lieb. Wer wissen will woran er ist, wird so lange angelächelt bis er nicht mehr fragt. Nein, danke.

 

 

Erschienen in Die Welt vom 2.3.2005